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Erinnerungskulturen in den Wissenschaften – eine Frage hegemonialer Narrative? 科学中的记忆文化--霸权叙事问题?
IF 0.6 2区 哲学
Berichte zur Wissenschaftsgeschichte Pub Date : 2024-04-04 DOI: 10.1002/bewi.202300019
Felicitas Söhner
{"title":"Erinnerungskulturen in den Wissenschaften – eine Frage hegemonialer Narrative?","authors":"Felicitas Söhner","doi":"10.1002/bewi.202300019","DOIUrl":"10.1002/bewi.202300019","url":null,"abstract":"<p>Erinnerungskulturen sind in den Wissenschaften allgegenwärtig. Ausgehend von Halbwachs‘ Grundüberlegung existieren in differenzierten Gesellschaften verschiedene Erinnerungen (individuell-biographisch, kollektiv-kulturell) an denselben historischen Bezugspunkt (Pluralität kollektiver Gedächtnisse).<sup>1</sup> Oft treten neben eine positivistisch geprägte „Meistererzählung“<sup>2</sup> unterschiedliche interessensbeeinflusste Narrative.<sup>3</sup> Die Praktiken des Erinnerns und der Darstellung von Erfahrungen werden durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen und deren hegemoniale Diskurse beeinflusst. Darüber hinaus werden in der Erzählung Vernetzungen in der untersuchten Gruppe deutlich.<sup>4</sup></p><p>Gleichzeitig bildet einheitliche, etablierte und unhinterfragte Vergangenheitswahrnehmung innerhalb einer Gruppe ein Identitätskriterium einer Wir-Gruppe – also einer Gruppe, der sich Personen zugehörig fühlen, mit der sie sich identifizieren, der sie in Loyalität verbunden sind und mit der sie sich von anderen Personen oder Gruppen abgrenzen.<sup>5</sup> Die weitgehend homogene Erinnerung bestimmt die Grenzen des anerkannten Wissens.<sup>6</sup> Unter einer „kulturellen Hegemonie“ versteht man nach Laclau und Mouffe, wenn es gelingt, einen Diskurs als allgemeingültig und alternativlos zu präsentieren und zu instituieren.<sup>7</sup> Wird dieser Konsens gebrochen, werden die Grenzen des Sagbaren neu gesetzt<sup>8</sup> und ein Diskurswechsel kann stattfinden.<sup>9</sup></p><p>Ein Individuum partizipiert stets gleichzeitig an mehreren sich überschneidenden gruppenspezifischen Gedächtnissen.<sup>10</sup> Die kollektiven Bestandteile sind insbesondere dann wirkmächtig im Sinne einer Dekonstruktion tradierter Narrative, wenn das individuelle Erleben mit der kollektiven Erinnerung in Konflikt gerät oder wenn die zurückliegenden Ereignisse nicht zum aktuellen Zugehörigkeitsgefühl bzw. -wunsch passen.<sup>11</sup> Meist zeichnet sich ein Spannungsverhältnis mehrerer zentraler Akteur:innen oder Gruppen ab, die miteinander um die Darstellung und Deutung der Vergangenheit innerhalb des Netzwerkes ringen.<sup>12</sup></p><p>In Bezug auf Ullrich Oevermann lassen sich Deutungsmuster als „Angelpunkt zwischen Diskurs und Erfahrung“ verstehen.<sup>13</sup> Rixta Wundrak beschreibt sie als „kollektive, typisierte Sinngehalte [mit] normativem Charakter und […] nicht ständig dem Bewusstsein zugänglich“.<sup>14</sup> Nach Schetsche strukturieren sie das kollektive Alltagshandeln und dienen als meist implizites und selbstverständliches Orientierungswissen, wie mit Phänomenen umzugehen ist und wie diese einzuordnen sind.<sup>15</sup> Im Unterschied zu temporären Diskursen oder Handlungsorientierungen bedeuten Deutungsmuster kulturell mächtige und langlebige normative Strukturen. Deutungsmuster sind zum einen sozial konstruiert, zum anderen lassen sie sich auf unterschiedlichen sozialen Ebenen zeigen (Individuum, Institution, Gesellschaft), außerdem sind sie his","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":"47 1-2","pages":"128-150"},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2024-04-04","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300019","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"140613753","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
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Waldorf, Montessori und Pestalozzi-Hype? – Schulnamen im Spiegel der Geschichte der Pädagogik 华德福、蒙台梭利和裴斯泰洛齐的炒作?- 教育史上的学校名称
IF 0.6 2区 哲学
Berichte zur Wissenschaftsgeschichte Pub Date : 2024-04-04 DOI: 10.1002/bewi.202300020
Sebastian Engelmann, Katharina Weiand
{"title":"Waldorf, Montessori und Pestalozzi-Hype? – Schulnamen im Spiegel der Geschichte der Pädagogik","authors":"Sebastian Engelmann,&nbsp;Katharina Weiand","doi":"10.1002/bewi.202300020","DOIUrl":"10.1002/bewi.202300020","url":null,"abstract":"<p>In der Bundesrepublik Deutschland gibt es aktuell über 32.000 allgemeinbildende Schulen – und jede dieser Schulen hat einen Namen. Mit Blick auf ihre Namensgebung unterscheiden sich die Schulen aber deutlich. Zahlreiche von ihnen sind nach ihrer geographischen Verortung benannt. Einige Namen beziehen sich beispielweise auf eine regionale Besonderheit („Schule an der Donauschleife“). Andere Schulen verweisen mit ihrem Namen auf eine lokale Gegebenheit, wie die „Turmbergschule in Weingarten“, die am Fuß des Turmbergs des kleinen Ortes in Baden-Württemberg liegt. Und wiederum andere tragen den Namen der Straße, in der sie liegen, wie die „Grundschule an der Zunftmeisterstraße“ in Mülheim an der Ruhr. Neben diesen regional- oder lokalspezifischen Namen tragen zahlreiche Schulen in Deutschland aber auch Namen bekannter Personen des öffentlichen Lebens, die in einer Verbindung zur Geschichte der Literatur, der Kunst, der Philosophie oder der Politik stehen, wie Astrid Lindgren, Friedrich Schiller oder die Geschwister Scholl. Beliebte Namenspat:innen, in der Mehrheit Namenspaten, sind auch Anne Frank, Albert Einstein, Albert Schweitzer, Alexander von Humboldt, Erich Kästner, Freiherr vom Stein, Johann Wolfgang von Goethe oder Theodor Heuss – die meisten kennen sicher eine Schule, die nach einer dieser Personen benannt ist. Aber auch die Namen mehr oder weniger bekannter Pädagog:innen finden sich an allgemeinbildenden Schulen in allen Bundesländern wieder, wie Adolf Reichwein, Friedrich Fröbel, Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Montessori.</p><p>Diese kurze Darstellung sagt zunächst wenig über Erinnerungsgemeinschaften oder die Identifikation von Mustern des Erinnerns aus. Relevant werden Schulnamen in diesem Sinne erst dann, wenn man sie in ein Verhältnis zu einer Referenzgröße setzt. In diesem Beitrag ist die Referenzgröße nicht etwa die in den <i>critical place-name studies</i><sup>1</sup> schon als Hintergrundfolie für Benennungspraktiken ausgewiesene erinnerte Geschichte der Nationalstaaten, in denen die Schulen liegen. Schon seit geraumer Zeit ist bekannt, dass durch die Benennung öffentlicher Institutionen eine Geografie der Erinnerung entsteht, die zumeist eine Heldengeschichte von denen transportiert, die die Nation geschaffen haben oder einen essenziellen Part zur politischen Ordnung dieser Nation beigetragen haben. Gerade bei anhaltenden Kämpfen um die Benennung von Straßen wird dies deutlich.<sup>2</sup> In unserem Fall ist die Referenzgröße die Geschichte der Pädagogik, verstanden als über Tradition und Rezeption hergestellter Kanon.<sup>3</sup> Dieser Kanon – und seine Repräsentation in der Öffentlichkeit – ist unweigerlich auch für die Wissenschaftsgeschichte (der Pädagogik) von Interesse, denn die aufgerufenen Personen sind zugleich Vorreiter:innen und Stichwortgeber:innen der wissenschaftlichen Pädagogik und später auch der Erziehungswissenschaft. Personen wie Johann Heinrich Pestalozzi als einer der Begründer der modernen Didakti","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":"47 1-2","pages":"27-45"},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2024-04-04","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300020","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"140597252","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
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Inhaltsverzeichnis: Ber. Wissenschaftsgesch. 4/2023 目录Ber.科学史4/2023
IF 0.6 2区 哲学
Berichte zur Wissenschaftsgeschichte Pub Date : 2023-12-18 DOI: 10.1002/bewi.202380411
{"title":"Inhaltsverzeichnis: Ber. Wissenschaftsgesch. 4/2023","authors":"","doi":"10.1002/bewi.202380411","DOIUrl":"https://doi.org/10.1002/bewi.202380411","url":null,"abstract":"","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":"46 4","pages":"302"},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2023-12-18","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202380411","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"138739703","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
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Titelbild: (Ber. Wissenschaftsgesch. 4/2023) 封面图片: (Ber. Wissenschaftsgesch. 4/2023)
IF 0.6 2区 哲学
Berichte zur Wissenschaftsgeschichte Pub Date : 2023-12-18 DOI: 10.1002/bewi.202380401
{"title":"Titelbild: (Ber. Wissenschaftsgesch. 4/2023)","authors":"","doi":"10.1002/bewi.202380401","DOIUrl":"https://doi.org/10.1002/bewi.202380401","url":null,"abstract":"<p>\u0000 <figure>\u0000 <div><picture>\u0000 <source></source></picture><p></p>\u0000 </div>\u0000 </figure>\u0000 </p>","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":"46 4","pages":"297"},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2023-12-18","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202380401","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"138739695","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
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Bausteine zu einer Oral History der Wissenschaftsgeschichte Interview mit Dieter Hoffmann 它有关于老霍夫曼的口述历史的记录。
IF 0.6 2区 哲学
Berichte zur Wissenschaftsgeschichte Pub Date : 2023-11-14 DOI: 10.1002/bewi.202300029
Mathias Grote, Anke te Heesen, Dieter Hoffmann
{"title":"Bausteine zu einer Oral History der Wissenschaftsgeschichte Interview mit Dieter Hoffmann","authors":"Mathias Grote,&nbsp;Anke te Heesen,&nbsp;Dieter Hoffmann","doi":"10.1002/bewi.202300029","DOIUrl":"10.1002/bewi.202300029","url":null,"abstract":"<p>Dieter Hoffmann (*1948) studierte Physik an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und promovierte 1975 ebendort. Zwischen 1976 und 1990 war Hoffmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Wissenschaftsgeschichte am Institut für Theorie, Geschichte und Organisation der Wissenschaften an der Akademie der Wissenschaften der DDR. In den 1990er Jahren führten ihn Gastaufenthalte nach Harvard, New York und Cambridge. Zwischen 1995 und 2014 war Hoffmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (MPIWG) in Berlin. Daneben fungierte er zwischen 1991 und 2011 als Vorsitzender des Fachverbands Geschichte der Physik in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), die ihn 2010 mit der Ehrennadel der DPG ehrte. Im gleichen Jahr wählte ihn die Leopoldina, Nationale Akademie der Wissenschaften, zu ihrem Mitglied; 2020 erhielt er den renommierten Abraham-Pais-Prize for History of Physics der American Physical Society.</p><p><b>Anke te Heesen (AtH</b>): Zu Beginn möchten wir Dich fragen, wie Du zur Wissenschaftsgeschichte gekommen bist: Du hast Physik studiert, bist dann aber relativ schnell in die Wissenschaftsgeschichte gegangen, oder?</p><p><b>Dieter Hoffmann (DH)</b>: Na gut, das hängt mit meinem Leben und auch mit meinem sozialen Hintergrund zusammen. Ich wurde in einer Familie groß, die in ihren Grundsätzen nicht pro-DDR, sondern dezidiert pro-westlich war – anti-DDR wäre wohl etwas übertrieben. Mitte der 1950er Jahren hatten meine Eltern auch mit dem Gedanken gespielt, in den Westen zu gehen, und wir waren zur „Sondierung“ zu meinem Onkel ins Ruhrgebiet gefahren, doch wurde man mit den Rheinländern nicht „warm“, so dass wir wieder nach Hause fuhren; letztendlich haben meine Eltern wohl die zweite Fluchterfahrung innerhalb eines Jahrzehnts gescheut, denn 1945 war man aus Schlesien vertrieben worden und hatte sich inzwischen in (Ost-)Berlin eine bescheidene Existenz aufgebaut.</p><p>Wenn ich im Westen großgeworden wäre, hätte ich wahrscheinlich Geschichte oder Philosophie studiert. Das wollte ich in der DDR nicht, weil damit sofort politische Implikationen verbunden gewesen wären. Für diese Fächer war, mehr oder weniger, die <i>conditio sine qua non</i>, Parteimitglied zu werden. Eine Generation später, in den 1980er Jahren, gab es da schon Ausnahmen. In meiner aber wurde erwartet, dass man Mitglied der SED wird, und das wollte ich nicht, zumal man das in unserer Familie eben nicht tat.</p><p>Ich war kein Wunderkind, aber ich war ein ziemlich guter Schüler und nicht zuletzt in den Naturwissenschaften stark. Bereits mit dreizehn, vierzehn Jahren hatte ich mich für Einstein begeistert. So bin ich „auf den Spuren von Einstein“ mit dem Fahrrad durch die Mark gefahren, unter anderem zum Sommerhaus Einsteins in Caputh, wo ich mich wunderte, dass in einer solchen Bruchbude – so jedenfalls das Erscheinungsbild des Hauses Mitte der 1960er Jahre – ein Genie wie Einstein gelebt haben soll. Es lag nah, Physik zu studier","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":"46 4","pages":"378-412"},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2023-11-14","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300029","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"107592911","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
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Die Lücke als Fund: Über eine Fehlstelle zur Familiengeschichte im Nachlass von Walther Gerlach (1889–1979)** 《发现的缺口》(1889至1979年)
IF 0.6 2区 哲学
Berichte zur Wissenschaftsgeschichte Pub Date : 2023-11-13 DOI: 10.1002/bewi.202300008
Johannes-Geert Hagmann
{"title":"Die Lücke als Fund: Über eine Fehlstelle zur Familiengeschichte im Nachlass von Walther Gerlach (1889–1979)**","authors":"Johannes-Geert Hagmann","doi":"10.1002/bewi.202300008","DOIUrl":"10.1002/bewi.202300008","url":null,"abstract":"<p>„Ich muß schließen. Was wird man in 50 Jahren über uns erzählen?“<sup>1</sup> So beendete Walther Gerlach (1889–1979) einen im Jahr 1963 für die <i>Physikalischen Blätter</i> verfassten Aufsatz, in dem er eine kurze Chronologie der Physik in München von der Zeit Joseph von Fraunhofers (1787–1826) bis zu den Arbeiten Max von Laues (1879–1960) skizzierte. Die Beschäftigung mit der Geschichte seines eigenen Fachs, der Physik, aber auch dem Leben der vor ihm porträtierten Persönlichkeiten, gab dem 73-jährigen Wissenschaftler Anlass zur Selbstreflexion: Wie er zum damaligen Zeitpunkt für seine Studien, würden andere sich in Zukunft in seine Arbeit historisch vertiefen und hierzu Quellen heranziehen. Wenn nun nicht nach fünfzig, sondern nach sechzig Jahren der vorliegende Beitrag eine Lücke in Nachlass von Walther Gerlach diskutiert, so muss hier an erster Stelle das ausgeprägte Verständnis Gerlachs für die Mechanismen biographischer Überlieferungen und die Entstehung von Erinnerung hervorgehoben werden, das im Eingangszitat exemplarisch zu Ausdruck kommt.</p><p>Walther Gerlach gehörte zu den profiliertesten Physikern in Deutschland im 20. Jahrhundert. Das nach dem Physiker Otto Stern (1888–1969) und ihm selbst benannte Experiment (Stern-Gerlach-Experiment) zum Nachweis der Richtungsquantelung des Drehimpulses bei Silberatomen von 1922 zählt zu den kanonischen Versuchen der Quantenmechanik<sup>2</sup> und ist auch heute noch unter diesem Namen ein Fixpunkt in der physikalischen Ausbildung an Universitäten weltweit. Während des Zweiten Weltkriegs gelangte Gerlach in die einflussreiche Position des Bevollmächtigten für Physik des Reichsforschungsrats (RFR) mit Beteiligung am deutschen Uranprojekt,<sup>3</sup> nach Ende des Krieges und der Internierung in Farm Hall<sup>4</sup> führte ihn seine Karriere als Hochschullehrer an der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) München unter anderem in die Ämter des Rektors der LMU (1948–1951), des Gründungspräsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft (1949–1951) und des Vize-Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1951–1961).<sup>5</sup> In der Nachkriegszeit erlangte Gerlach den Status einer öffentlichen Autorität in wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Fragen, die Ulrich Herbert treffend mit dem Terminus „public intellectual“ charakterisiert hat.<sup>6</sup> Mit Blick auf seine herausragende Position überrascht es daher nicht, dass es in wissenschaftshistorischen Forschungsprojekten bereits mehrfach Ansätze zur Erarbeitung einer Biographie Gerlachs gegeben hat.<sup>7</sup> Ungeachtet dieser und weiterer Bemühungen liegt jedoch bis heute keine umfassende Darstellung seines Lebens und Wirkens vor.<sup>8</sup></p><p>Zu Gerlachs vielseitigen Tätigkeiten gehörte auch die Beschäftigung mit Themen der Geschichte seiner eigenen Disziplin, die er insbesondere nach seiner Emeritierung im Jahr 1957 intensiv verfolgte. Seine Forschungen zu den Arbeiten Johannes Kepler (1571–1630), aus denen mehrere populärw","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":"46 4","pages":"320-335"},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2023-11-13","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300008","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"89720657","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
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Operation Epsilon. 伊普西龙行动
IF 0.6 2区 哲学
Berichte zur Wissenschaftsgeschichte Pub Date : 2023-10-30 DOI: 10.1002/bewi.202300009
Mark Walker
{"title":"Operation Epsilon.","authors":"Mark Walker","doi":"10.1002/bewi.202300009","DOIUrl":"10.1002/bewi.202300009","url":null,"abstract":"<p>Review of Dieter Hoffmann (ed.), Operation Epsilon: Die Farm-Hall-Protokolle erstmals vollständig, ergänzt um zeitgenössische Briefe und weitere Dokumente der 1945 in England internierten deutschen Atomforscher, 2nd edn. (Diepholz: GNT-Verlag, 2023), 588 pages, 57 figures, notes, bibliography, index, ISBN 978-3-86225-111-7, 44,80 €.</p><p>At the end of the Second World War Allied forces arrested ten German scientists and interned them in a British country house named Farm Hall. Most of these scientists had been connected to the “uranium project,” research into the technical and military applications of nuclear fission. The scientists’ conversations were overheard via hidden microphones, selectively transcribed, translated, and distributed to a few people as secret reports. The original recordings were not saved, and with a few exceptions, the original German conversations were not included.</p><p>The Farm Hall transcripts have a long history. They were first used in print by the physicist Samuel Goudsmit in his popular 1947 book <i>Alsos</i>. Goudsmit, who had been part of the Alsos Mission scientific-intelligence gathering mission sent to Europe to find and neutralize any German atomic bomb, argued that the Nazis had ruined German science, with the wartime German uranium project as his main example. Although Goudsmit clearly read and used the transcripts, he did not explicitly reveal their existence.<sup>1</sup> This became clear in 1962 when the former general in charge of the American Manhattan Project, Leslie Groves, quoted from the transcripts in his memoirs.<sup>2</sup> Indeed Groves appears to have gone out of his way to select some of the most embarrassing and unflattering quotations in order to discredit the German scientists.</p><p>When in 1989/1990 this author published his book on the uranium project, a revised version of his dissertation,<sup>3</sup> it appeared that the Farm Hall transcripts might never appear. In fact, they were released shortly thereafter in 1992. They quickly appeared in two English-language editions: a straight-forward publication of the transcripts by the British physicist Charles Frank and an extensively annotated version by the American physicist Jeremy Bernstein. Both editions have problems.</p><p>In his introduction, Frank argued that “Heisenberg's estimate [at Farm Hall] of the critical mass for a nuclear explosion in <sup>235</sup>U,” which was a “gross overestimate,” was “of crucial importance for determining German nuclear energy policy during the war.” Here Frank subtly misquotes Heisenberg (or at least the transcripts) by writing that “he never worked it out properly,”<sup>4</sup> when in fact according to the Farm Hall transcripts Heisenberg said: “[…] quite honestly I have never worked it out as I never believed that one could get pure ‘235.’”<sup>5</sup> Like many other readers of these transcripts, Frank also did not take into account both how shocked and skeptical the scientists initially were","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":"46 4","pages":"373-377"},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2023-10-30","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300009","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"136068596","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
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Becoming Natural: The Naturalization of Synthetic Flavors in the Twentieth Century and the Introduction of Konsumstoff 天然:20世纪合成香料的自然化和Konsumstoff的引入。
IF 0.6 2区 哲学
Berichte zur Wissenschaftsgeschichte Pub Date : 2023-10-18 DOI: 10.1002/bewi.202300016
Paulina S. Gennermann
{"title":"Becoming Natural: The Naturalization of Synthetic Flavors in the Twentieth Century and the Introduction of Konsumstoff","authors":"Paulina S. Gennermann","doi":"10.1002/bewi.202300016","DOIUrl":"10.1002/bewi.202300016","url":null,"abstract":"<p>Is it possible that non-natural chemical substances become natural without changing their chemical, physical or physiological characteristics? The history of synthetic flavors with a special emphasis on vanillin suggests that yes, it is possible. This process is called naturalization and means in this case the change of status of a synthetic flavor to something <i>natural</i>. In this article the history of vanillin as a frequently used flavor and its transformation into a natural ingredient in the twentieth century will be presented and analyzed. Studying the particular characteristics of vanillin, it seems that known concepts in the history of science like <i>Ersatzstoff</i> (surrogate) or <i>Wirkstoff</i> (active agent) do not constitute the best fit in describing this flavoring agent. Categorizing vanillin as a <i>Konsumstoff</i> (commodity agent) seems more useful in order to classify its characteristics and its historical development. I suggest using <i>Konsumstoff</i> as a new theoretical and methodological approach to study the history of chemical substances. In this article, the concept of <i>Konsumstoff</i> will be outlined and developed using the vanillin case as a paradigmatic example.</p>","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":"46 4","pages":"303-319"},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2023-10-18","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300016","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"41241157","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
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Inhaltsverzeichnis: Ber. Wissenschaftsgesch. 2-3/2023 目录:Ber。科学2023年3月2-3日
IF 0.6 2区 哲学
Berichte zur Wissenschaftsgeschichte Pub Date : 2023-09-12 DOI: 10.1002/bewi.202380211
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Titelbild: (Ber. Wissenschaftsgesch. 2-3/2023) 封面图片:(Ber.Wissenschaftsgesch.2-3/2023)
IF 0.6 2区 哲学
Berichte zur Wissenschaftsgeschichte Pub Date : 2023-09-12 DOI: 10.1002/bewi.202380201
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