{"title":"Ehren und Erinnern (re-)konstruieren – ein Kommentar.","authors":"Priv.-Doz. Dr. Alexander Pinwinkler","doi":"10.1002/bewi.202300027","DOIUrl":"10.1002/bewi.202300027","url":null,"abstract":"<p>Das Themenfeld „Erinnern“ und „Gedächtnis“ und die damit verknüpften Praktiken und Diskurse werden seit vielen Jahren breit bearbeitet und diskutiert. Stellvertretend für den enormen Korpus an Studien und Veröffentlichungen sei hier nur auf die wegweisenden Arbeiten von Jan und Aleida Assmann zum kulturellen Gedächtnis und zur Erinnerungskultur verwiesen.<sup>1</sup> Das vorliegende Themenheft bewegt sich damit zwar in einem sehr gut erforschten Arbeitsbereich, es vermittelt aber zugleich weiterführende Anregungen und Impulse. Diese beziehen sich vor allem auf akademische Ehrungen und deren Relevanz und symbolische Bedeutung für Wissenschaft, Gesellschaft und Politik.</p><p>Thorsten Halling und Anne Oommen-Halbach heben denn auch in ihrer Einführung zum Themenheft als einen wesentlichen Ausgangspunkt ihrer Überlegungen hervor, dass gesellschaftliche und wissenschaftliche „Gedächtniskulturen“ wechselseitig stark aufeinander bezogen sind.<sup>2</sup> Die Beiträge des Themenhefts greifen diese Feststellung auf und fragen danach, inwiefern es zu „Erinnerungstransfers“ zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit kommt. Welche Bedeutung der (Re−)Produktion und Dekonstruktion der Memoria von Wissenschaftler:innen für gesellschaftliche Identitätsentwürfe wie auch der historisch informierten Selbstdarstellung von wissenschaftlichen Fachdisziplinen, akademischen Institutionen und Fachverbänden zukommt, bildet einen weiteren Gegenstand der hier veröffentlichten Artikel.</p><p>Mit dem skizzierten konzeptionellen Ansatz leisten die Studien des Themenhefts einen wesentlichen Beitrag zu einer Verknüpfung von Gedächtniskulturforschung und Wissenschaftsgeschichte. Der vorliegende Kommentar bezieht sich auf die im Themenheft vorgestellten Fallbeispiele und stellt weitere Beispiele von Wissenschaftlern vor, deren Biografien und wissenschaftliche Memoria in den vergangenen Jahren öffentlich stark diskutiert wurden. Der Kommentar fragt danach, welche individuellen und institutionellen Akteur:innen sich an diesen Debatten beteiligten und welche Interessen und Motive diese jeweils verfolgten. Welche allgemeinen Muster sich dabei abzeichnen, und welche Fragen vorerst offenbleiben, bildet den Gegenstand abschließender Überlegungen und Reflexionen.</p>","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":null,"pages":null},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2024-04-19","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300027","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"140635276","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Forscher:innen in wissenschaftlichen und öffentlichen Erinnerungskulturen. Konjunkturen und Transformationsprozesse","authors":"Thorsten Halling, Anne Oommen-Halbach","doi":"10.1002/bewi.202300024","DOIUrl":"10.1002/bewi.202300024","url":null,"abstract":"<p>Forscher:innen sind im öffentlichen Gedächtnis als Namensgeber:innen von Straßen, Plätzen und Institutionen weit über den Kontext von Universitäten und Forschungseinrichtungen hinaus allgegenwärtig. Insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Kolonialpolitik, des Nationalsozialismus und der SED-Herrschaft sind jedoch viele dieser Benennungen zunehmend umstritten.<sup>1</sup> Gerade erinnerungspolitische Debatten führ(t)en oft zu wissenschaftshistorischen (Auftrags-)Studien und einer veränderten öffentlichen Wahrnehmung historischer Persönlichkeiten. Dieses Wechselverhältnis ist in der Wissenschaftsgeschichte vor allem für den deutschen Sprachraum bislang nur punktuell beleuchtet worden.</p><p>Gedächtnis und Erinnerung als individuelle und soziale Phänomene verbinden Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften wie wenige andere, so konstatiert die Literaturwissenschaftlerin Astrid Erll in ihrer Einführung <i>Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen</i>.<sup>2</sup> Inzwischen wird dieser als kulturwissenschaftliches Paradigma bezeichnete Forschungsansatz einer andauernden (Selbst-)Historisierung unterzogen.<sup>3</sup> Im deutschen Sprachraum sind es vor allem die Arbeiten von Aleida und Jan Assmann, die sich seit den 1990er Jahren in vielen Studien als anschlussfähig erwiesen haben, gleichwohl sie konzeptuell kritisch hinterfragt wurden.<sup>4</sup> Aleida Assmann selbst wies darauf hin, dass die Einzeldisziplinen ihre jeweils spezifischen Perspektiven auf das Gedächtnis entwickelt haben.<sup>5</sup></p><p>Anhand zentraler Themenfelder der <i>Memory Studies</i> möchten wir in dieser Einleitung entsprechende Ansätze in der Wissenschaftsgeschichte skizzieren. Der im anglo-amerikanischen Sprachraum geprägte Begriff wird hier bewusst genutzt, da er den Forschungsansatz betont, den die seit 2008 erscheinende gleichnamige Zeitschrift prägnant definiert hat:</p><p>Memory Studies examine[s] the social, cultural, cognitive, political and technological shifts affecting how, what and why individuals, groups and societies remember, and forget. The journal responds to and seeks to shape public and academic discourses on the nature, manipulation, and contestation of memory in the contemporary era.<sup>6</sup></p><p>Der deutsche Begriff der Erinnerungskultur umfasst verschiedene Bedeutungsebenen: Analysekategorie, Forschungsgegenstand sowie einen intentionalen Aspekt, der auch als Erinnerungspolitik bezeichnet wird.<sup>7</sup></p><p>Ausführlich diskutiert wurden die Schnittmengen von Erinnerungskultur zur <i>Public History</i>, verstanden als angewandte Geschichtswissenschaft, zu der Oral History, Museen, Gedenkstätten, Medien und Archive zählen.<sup>8</sup> Traditionelle wissenschafts- und medizinhistorische Sammlungen an den Universitäten, interaktive Wissenschafts- und Technikmuseen sowie Industriedenkmale sind Bestandteil dieser Geschichtsvermittlung, die immer auch einzelne Forscher:innen ins öffentliche Gedächtnis rückt: Jüngst präsentierte die","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":null,"pages":null},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2024-04-12","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300024","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"140710697","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Die Robert-Rössle-Straße in Berlin-Pankow. Zum Streit um die ehrende Erinnerung an einen „relativ belasteten“ Pathologen in der NS-Zeit","authors":"Thomas Beddies","doi":"10.1002/bewi.202300021","DOIUrl":"10.1002/bewi.202300021","url":null,"abstract":"<p>Die Medizinhistoriographie weiß seit langem, dass die Medizin im „Dritten Reich“ nicht auf das kriminelle Vorgehen und die Taten einer kleinen Zahl wahlweise „verführter“ oder „verbrecherischer“ Medizinerinnen und Mediziner zu beschränken ist. Die umstandslose Anerkennung von „Machtübernahme“, „Gleichschaltung“ und „Führerprinzip“, die rücksichtslose Ausschaltung politisch oder „rassisch“ unliebsamer Kolleginnen und Kollegen, die bereitwillige Anpassung an das NS-Gesundheitssystem und die konsequente Anwendung rassenhygienischer Grundsätze und Maßnahmen durch den überwiegenden Teil der Ärzte- und Hochschullehrerschaft nach 1933 spricht gegen die Sichtweise, dass lediglich eine radikalisierte Minderheit an der NS-Medizin und ihren strafwürdigen Auswüchsen Anteil gehabt hätte. Um die Schattierungen von Täterschaft, Teilhabe, Mitläufertum und gewolltem Nichtwissen ausleuchten zu können, müssen individuelle wie auch kollektive Handlungen und Handlungsspielräume von Ärztinnen und Ärzten in der Krankenversorgung und der medizinischen Forschung im NS-Staat in den Blick genommen werden. In zahlreichen Untersuchungen, die sich auf Einzelpersonen ebenso bezogen wie auf Krankenhäuser, medizinische Fakultäten, Forschungseinrichtungen, Fachverbände und andere mehr, ist diese Arbeit in den vergangenen Jahren bereits umfangreich geleistet worden.<sup>1</sup></p><p>Die für den vorliegenden Beitrag relevanten Forschungen zur Pathologie (und zu den Pathologen) im Nationalsozialismus wurden vornehmlich in Aachen und in Düsseldorf geleistet. In Aachen, wo bereits umfangreich zu den medizinischen Fachgesellschaften im NS gearbeitet wurde,<sup>2</sup> identifizierte man (im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Pathologie, kurz DGP) in zwei Projektphasen nicht nur die Opfer von Verfolgung, Vertreibung und Entrechtung unter den Pathologen, sondern nahm auch die Fachvertreter in den Blick, die in der NS-Zeit Verantwortung innerhalb der DGP übernommen hatten.<sup>3</sup> Aus dem Kontext dieser Forschungen gingen auch Publikationen hervor, die sich mit der Rolle des Berliner Pathologen Robert Rössle (1876–1956) im Nationalsozialismus auseinandersetzten.<sup>4</sup> In Düsseldorf untersuchte Timo Baumann (mit Unterstützung des Bundesverbandes Deutscher Pathologen) wissenschaftliche Inhalte und Forschungsschwerpunkte der medizinischen Spezialdisziplin Pathologie in der Zeit des Nationalsozialismus; dazu gehörten auch die Schwerpunktsetzungen „Wehrpathologie“ und „Erbpathologie“.<sup>5</sup> Auf der Grundlage der genannten und weiterer Arbeiten soll im vorliegenden Beitrag der Streit um die Person Rössles, Ordinarius für Pathologie der Berliner Universität und Direktor des Pathologischen Instituts der Charité, in der konkurrierenden Erinnerungs- und Gedächtniskultur zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit in den Vordergrund gestellt werden. Anlass dazu gibt eine seit längerem anhaltende Umbenennungsdebatte um die Robert-Rössle-Straße im Berliner Ortsteil Buch.</p><p>Rob","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":null,"pages":null},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2024-04-08","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300021","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"140730074","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Before Mnemosyne: Wilhelmine Cultural History Exhibitions and the Genesis of Warburg's Picture Atlas**","authors":"Matthew Vollgraff","doi":"10.1002/bewi.202300014","DOIUrl":"https://doi.org/10.1002/bewi.202300014","url":null,"abstract":"Aby Warburg's <jats:italic>Bilderatlas Mnemosyne</jats:italic>, left unfinished in 1929, has attracted significant interest in recent decades. This essay offers a new interpretation of Warburg's “picture atlas,” not in relation to modernist collage and photomontage, but as an heir to scientific pedagogical exhibitions of the late Wilhelmine period. It deals in particular with two “public enlightenment” shows curated by the Leipzig medical historian Karl Sudhoff, whose work Warburg admired and employed: the first on with the history of hygiene in Dresden in 1911, the second in Leipzig, three years later, on the development of scientific images. Like Warburg, Sudhoff appreciated artworks and artifacts as sources for the history of science and medicine. His exhibitions consisted of assemblages of photographic reproductions—some of which were provided by Warburg himself—and uncannily anticipate <jats:italic>Mnemosyne</jats:italic> in both form and content. By examining the exchange of materials and display methods between the two scholars, the article explores how their respective visual projects reflected deeper disagreements over the public role of science, the epistemic power of images, and the persistence of the irrational in the human psyche.","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":null,"pages":null},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2024-04-08","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"140564552","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Transformation von Gedächtnis zwischen wissenschaftlicher Rezeption und Popularisierung: Die posthume Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Janusz Korczak","authors":"Anne Oommen-Halbach, Thorsten Halling","doi":"10.1002/bewi.202300022","DOIUrl":"10.1002/bewi.202300022","url":null,"abstract":"<p>Im Jahr 1972 gerieten Leben und Werk von Janusz Korczak (1878/79–1942) für einige Monate in den Fokus der bundesrepublikanischen Feuilletons und damit einer interessierten Öffentlichkeit in Gesellschaft, Politik und Wissenschaft. Der Hintergrund für dieses plötzliche Interesse an dem aus Warschau stammenden Arzt<sup>1</sup>, Pädagogen und Schriftsteller war die posthume Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Mit dieser vielfältig symbolisch aufgeladenen<sup>2</sup> und öffentlichkeitswirksam inszenierten<sup>3</sup> Auszeichnung wird bereits seit 1950 jährlich eine Persönlichkeit geehrt,<sup>4</sup> die zur Verwirklichung des Gedankens des „Friedens, der Menschlichkeit und der Verständigung unter den Völkern“<sup>5</sup> beigetragen hat. Wie umstritten der hier formulierte Anspruch, die Auswahl der jeweiligen Preisträger:innen und auch ihrer Laudator:innen in der Vergangenheit gewesen sind, belegt die 2009 erschienene Chronik des Friedenspreises mit dem bezeichnenden Titel <i>Widerreden</i>.<sup>6</sup> Gerade wegen dieser permanenten kritischen Auseinandersetzung räumte Aleida Assmann (geb. 1947) im gleichen Band dem Friedenspreis einen festen Platz „im kulturellen Gedächtnis der Deutschen“ ein.<sup>7</sup> Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin prägte zusammen mit ihrem Ehemann Jan Assmann (1938–2024) im deutschsprachigen Diskurs seit den 1990er Jahren den Begriff des „kulturellen Gedächtnisses“, beide wurden im Jahr 2018 selbst mit dem Friedenspreis ausgezeichnet.<sup>8</sup> In der Preisbegründung wurde betont: „Angesichts einer wachsenden politischen Instrumentalisierung der jüngeren deutschen Geschichte leistet sie [Aleida Assmann] in hohem Maße Aufklärung zu Fragen eines kulturellen Gedächtnisses einer Nation.“<sup>9</sup> Ein wesentlicher Aspekt ihres Forschungsansatzes ist die Analyse jenes Transformationsprozesses von unmittelbar oder zumindest mittelbar selbst Erlebtem und Erinnertem (kommunikatives Gedächtnis) zu einem von zeitgenössischen Berichten losgelösten Erinnern (kulturelles Gedächtnis).<sup>10</sup></p><p>Für die Konjunktur von Erinnerung an Gelehrte, wie Korczak, sind Jubiläen, Jahrestage und selten auch die Verleihung von Preisen von großer Bedeutung. In den mit ihnen verbundenen öffentlichen und fachinternen Diskursen lassen sich nicht nur spezifische (erinnerungspolitische) Interessen der jeweiligen Akteure erkennen, sondern sie vermitteln auch wirkmächtige Narrative und spiegeln Aushandlungsprozesse.<sup>11</sup> Letztere werden insbesondere im Kontext von Erinnerungen an den Holocaust oftmals als Konflikte wahrgenommen,<sup>12</sup> die es zu reflektieren gilt. Ein zentraler Aspekt in der Analyse erinnerungskultureller Phänomene ist der virulente Gegenwartsbezug: „Erinnerungen drehen sich nicht um Vergangenheit, sondern um die Gegenwart. Die Dissonanzen der Erinnerung erklären sich weniger aus der Konfliktträchtigkeit von Vergangenheit, sondern aus Konfliktlagen und Bedürfnissen der Gegenwart.“","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":null,"pages":null},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2024-04-05","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300022","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"140564401","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Gelehrte als Identifikationsfiguren? Vom Umgang mit fachkultureller Erinnerung in medizinischen Fächern","authors":"Matthis Krischel, Julia Nebe, Timo Baumann","doi":"10.1002/bewi.202300018","DOIUrl":"10.1002/bewi.202300018","url":null,"abstract":"<p>Medizinische Fachgesellschaften, Berufsverbände und Standesvertretungen verfügen über eine ausgeprägte fachkulturelle Erinnerung mit langen Traditionen. Solche Institutionen richten Jubiläums- und Gedenkveranstaltungen aus, haben historische Arbeitskreise – und neben externen Historiker:innen publizieren auch Mitglieder in wissenschaftlich-klinischen sowie berufspolitischen Zeitschriften über die Geschichte des jeweiligen medizinisches Fachs. Die parallel zu fast jedem Fach existierenden wissenschaftlichen Gesellschaften, Berufsverbände und Standesvertretungen beschäftigen sich nicht zuletzt auch mit der Benennung von Preisen und betreiben „Aufarbeitungsprojekte“, etwa zur Medizin im Nationalsozialismus. Viele wissenschaftliche Auszeichnungen, die insbesondere Fachgesellschaften verleihen, tragen den Namen einer Identifikationsfigur, typischerweise eines bekannten früheren Mitglieds; darüber hinaus sind auch oft ganze Institutionen nach einer solchen Person benannt. Mittels Beispielen aus den Fächern Humangenetik, Kreislaufforschung, Urologie und Zahnheilkunde möchten wir in diesem Beitrag schlaglichtartig aufzeigen, nach welchen Kriterien Fachvertreter:innen als Identifikationsfiguren ausgewählt werden, um Preise und Institutionen zu benennen – oder eben auch nicht; und, warum andere Personen eine solche Rolle erst erlangten, mittlerweile aber wieder verloren haben. Einleitend stellen wir dar, wie sich die Beschäftigung mit der (nationalsozialistischen) Geschichte der Medizin und Lebenswissenschaften historisch verändert hat und reflektieren kritisch die Aufarbeitungsforschung, die im Spannungsfeld zwischen historischem Erkenntnisinteresse, historisch-politischer Bildung, Geschichtspolitik und Auftragsforschung verortet ist.</p><p>Die gewählten Fallbeispiele stammen insbesondere aus unseren eigenen Forschungen zur Medizingeschichte und der Erinnerungskultur in medizinischen Institutionen mit Bezug zum Nationalsozialismus und deren Reflexion in der Nachkriegszeit. Die Frage nach einer Verstrickung in den Nationalsozialismus („NS-Belastung“) ist relevant, weil sie noch immer schwerer zu wiegen scheint als die nach dem Verhalten von Akteuren in anderen (Unrechts-)Kontexten.<sup>1</sup> In diesem Beitrag werden nun Bezüge zu diesem Themenkomplex eröffnet, um das Spektrum von möglichen Konjunkturen von Erinnerungskultur und Geschichtspolitik von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart exemplarisch zu illustrieren.<sup>2</sup> Gleichzeitig versuchen wir, durch den Vergleich übergreifende Trends aufzufinden.</p><p>Um als Identifikationsfigur dienen zu können, nach der etwa ein Preis oder eine Institution benannt sein kann, muss die Person sowohl <i>nach innen</i>, also für die benennende Körperschaft, eine Projektionsfläche für Identität und Gemeinschaft bieten als auch geeignet sein, diese Körperschaft <i>nach außen</i> hin zu repräsentieren. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich u. a. durch generationellen Wandel und das damit verbundene Wegfal","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":null,"pages":null},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2024-04-05","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300018","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"140613651","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Erinnerungskulturen in den Wissenschaften – eine Frage hegemonialer Narrative?","authors":"Felicitas Söhner","doi":"10.1002/bewi.202300019","DOIUrl":"10.1002/bewi.202300019","url":null,"abstract":"<p>Erinnerungskulturen sind in den Wissenschaften allgegenwärtig. Ausgehend von Halbwachs‘ Grundüberlegung existieren in differenzierten Gesellschaften verschiedene Erinnerungen (individuell-biographisch, kollektiv-kulturell) an denselben historischen Bezugspunkt (Pluralität kollektiver Gedächtnisse).<sup>1</sup> Oft treten neben eine positivistisch geprägte „Meistererzählung“<sup>2</sup> unterschiedliche interessensbeeinflusste Narrative.<sup>3</sup> Die Praktiken des Erinnerns und der Darstellung von Erfahrungen werden durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen und deren hegemoniale Diskurse beeinflusst. Darüber hinaus werden in der Erzählung Vernetzungen in der untersuchten Gruppe deutlich.<sup>4</sup></p><p>Gleichzeitig bildet einheitliche, etablierte und unhinterfragte Vergangenheitswahrnehmung innerhalb einer Gruppe ein Identitätskriterium einer Wir-Gruppe – also einer Gruppe, der sich Personen zugehörig fühlen, mit der sie sich identifizieren, der sie in Loyalität verbunden sind und mit der sie sich von anderen Personen oder Gruppen abgrenzen.<sup>5</sup> Die weitgehend homogene Erinnerung bestimmt die Grenzen des anerkannten Wissens.<sup>6</sup> Unter einer „kulturellen Hegemonie“ versteht man nach Laclau und Mouffe, wenn es gelingt, einen Diskurs als allgemeingültig und alternativlos zu präsentieren und zu instituieren.<sup>7</sup> Wird dieser Konsens gebrochen, werden die Grenzen des Sagbaren neu gesetzt<sup>8</sup> und ein Diskurswechsel kann stattfinden.<sup>9</sup></p><p>Ein Individuum partizipiert stets gleichzeitig an mehreren sich überschneidenden gruppenspezifischen Gedächtnissen.<sup>10</sup> Die kollektiven Bestandteile sind insbesondere dann wirkmächtig im Sinne einer Dekonstruktion tradierter Narrative, wenn das individuelle Erleben mit der kollektiven Erinnerung in Konflikt gerät oder wenn die zurückliegenden Ereignisse nicht zum aktuellen Zugehörigkeitsgefühl bzw. -wunsch passen.<sup>11</sup> Meist zeichnet sich ein Spannungsverhältnis mehrerer zentraler Akteur:innen oder Gruppen ab, die miteinander um die Darstellung und Deutung der Vergangenheit innerhalb des Netzwerkes ringen.<sup>12</sup></p><p>In Bezug auf Ullrich Oevermann lassen sich Deutungsmuster als „Angelpunkt zwischen Diskurs und Erfahrung“ verstehen.<sup>13</sup> Rixta Wundrak beschreibt sie als „kollektive, typisierte Sinngehalte [mit] normativem Charakter und […] nicht ständig dem Bewusstsein zugänglich“.<sup>14</sup> Nach Schetsche strukturieren sie das kollektive Alltagshandeln und dienen als meist implizites und selbstverständliches Orientierungswissen, wie mit Phänomenen umzugehen ist und wie diese einzuordnen sind.<sup>15</sup> Im Unterschied zu temporären Diskursen oder Handlungsorientierungen bedeuten Deutungsmuster kulturell mächtige und langlebige normative Strukturen. Deutungsmuster sind zum einen sozial konstruiert, zum anderen lassen sie sich auf unterschiedlichen sozialen Ebenen zeigen (Individuum, Institution, Gesellschaft), außerdem sind sie his","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":null,"pages":null},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2024-04-04","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300019","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"140613753","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}
{"title":"Waldorf, Montessori und Pestalozzi-Hype? – Schulnamen im Spiegel der Geschichte der Pädagogik","authors":"Sebastian Engelmann, Katharina Weiand","doi":"10.1002/bewi.202300020","DOIUrl":"10.1002/bewi.202300020","url":null,"abstract":"<p>In der Bundesrepublik Deutschland gibt es aktuell über 32.000 allgemeinbildende Schulen – und jede dieser Schulen hat einen Namen. Mit Blick auf ihre Namensgebung unterscheiden sich die Schulen aber deutlich. Zahlreiche von ihnen sind nach ihrer geographischen Verortung benannt. Einige Namen beziehen sich beispielweise auf eine regionale Besonderheit („Schule an der Donauschleife“). Andere Schulen verweisen mit ihrem Namen auf eine lokale Gegebenheit, wie die „Turmbergschule in Weingarten“, die am Fuß des Turmbergs des kleinen Ortes in Baden-Württemberg liegt. Und wiederum andere tragen den Namen der Straße, in der sie liegen, wie die „Grundschule an der Zunftmeisterstraße“ in Mülheim an der Ruhr. Neben diesen regional- oder lokalspezifischen Namen tragen zahlreiche Schulen in Deutschland aber auch Namen bekannter Personen des öffentlichen Lebens, die in einer Verbindung zur Geschichte der Literatur, der Kunst, der Philosophie oder der Politik stehen, wie Astrid Lindgren, Friedrich Schiller oder die Geschwister Scholl. Beliebte Namenspat:innen, in der Mehrheit Namenspaten, sind auch Anne Frank, Albert Einstein, Albert Schweitzer, Alexander von Humboldt, Erich Kästner, Freiherr vom Stein, Johann Wolfgang von Goethe oder Theodor Heuss – die meisten kennen sicher eine Schule, die nach einer dieser Personen benannt ist. Aber auch die Namen mehr oder weniger bekannter Pädagog:innen finden sich an allgemeinbildenden Schulen in allen Bundesländern wieder, wie Adolf Reichwein, Friedrich Fröbel, Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Montessori.</p><p>Diese kurze Darstellung sagt zunächst wenig über Erinnerungsgemeinschaften oder die Identifikation von Mustern des Erinnerns aus. Relevant werden Schulnamen in diesem Sinne erst dann, wenn man sie in ein Verhältnis zu einer Referenzgröße setzt. In diesem Beitrag ist die Referenzgröße nicht etwa die in den <i>critical place-name studies</i><sup>1</sup> schon als Hintergrundfolie für Benennungspraktiken ausgewiesene erinnerte Geschichte der Nationalstaaten, in denen die Schulen liegen. Schon seit geraumer Zeit ist bekannt, dass durch die Benennung öffentlicher Institutionen eine Geografie der Erinnerung entsteht, die zumeist eine Heldengeschichte von denen transportiert, die die Nation geschaffen haben oder einen essenziellen Part zur politischen Ordnung dieser Nation beigetragen haben. Gerade bei anhaltenden Kämpfen um die Benennung von Straßen wird dies deutlich.<sup>2</sup> In unserem Fall ist die Referenzgröße die Geschichte der Pädagogik, verstanden als über Tradition und Rezeption hergestellter Kanon.<sup>3</sup> Dieser Kanon – und seine Repräsentation in der Öffentlichkeit – ist unweigerlich auch für die Wissenschaftsgeschichte (der Pädagogik) von Interesse, denn die aufgerufenen Personen sind zugleich Vorreiter:innen und Stichwortgeber:innen der wissenschaftlichen Pädagogik und später auch der Erziehungswissenschaft. Personen wie Johann Heinrich Pestalozzi als einer der Begründer der modernen Didakti","PeriodicalId":55388,"journal":{"name":"Berichte zur Wissenschaftsgeschichte","volume":null,"pages":null},"PeriodicalIF":0.6,"publicationDate":"2024-04-04","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/bewi.202300020","citationCount":null,"resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":"140597252","PeriodicalName":null,"FirstCategoryId":null,"ListUrlMain":null,"RegionNum":2,"RegionCategory":"哲学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":"OA","EPubDate":null,"PubModel":null,"JCR":null,"JCRName":null,"Score":null,"Total":0}