{"title":"全部证据并不能保证:不确定性的瞬间,以及seneca的次原子传导事件","authors":"Meike Rühl","doi":"10.1515/9783110239171.74","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Senecas Apocolocyntosis, die ‹Verkürbissung› des Kaisers Claudius, ist ein Werk, über dessen Bedeutung in der Forschung keine endgültige Meinung erzielt werden kann. Der Bericht über Claudius’ Tod, seine Ankunft im Himmel, wie die Götter ihm nach längerer Debatte die Aufnahme verweigern, ihn statt dessen in die Unterwelt schicken, wo er per Gerichtsbeschluss dazu verurteilt wird, seinen Tod als Diener eines früheren Sklaven zu fristen, lässt in der Regel einen amüsierten bis irritierten Leser zurück: Kann der Leser doch nicht so recht einordnen, welches die durch den Text transportierte Botschaft sein soll. Wir haben es demnach mit einem Text zu tun, der in seiner formalen, strukturellen und inhaltlichen Gestaltung ‹offen› ist, weil die Kommunikation mit dem Leser nicht nach den üblichen Mustern abläuft und dem Leser auf diese Weise vielfältige Möglichkeiten der Interpretation überlässt.1 Offenheit bedeutet jedoch nicht, dass die Interpretation dieses Textes beliebig wäre, sondern lediglich, dass die Zahl der Interpretationsmöglichkeiten für diesen Text nahezu unbegrenzt ist. In diesem Sinne offene Kunstoder Literaturwerke setzen jedoch einen Leser voraus, der mit dieser Offenheit umgehen kann und reflektiert, wenn Signale im Text, die ihn gewöhnlich zu einer bestimmten Interpretation verleiten, nicht vorhanden sind oder unkonventionell gebraucht werden. Dieser Reflexionsprozess führt dann zu einer der möglichen Interpretationen und Aktualisierungen des Textes, impliziert aber, dass es zur selben Zeit viele andere Deutungsmöglichkeiten gäbe. Ein Blick in die Untersuchungen, Anmerkungen und Kommentare der Forschung zur Apocolocyntosis belegt die Pluralität der Deutungsmöglichkeiten.2 Da der Gedanke eines offenen Kunstwerkes methodisch die Involvierung des Lesers voraussetzt, basieren die Gliederungspunkte meiner Untersuchung auf einem Kommunikationsmodell, in dem Produzent wie Rezipient eines Textes auf ein Sprachund Kontextwissen zurückgreifen müssen, dass sich im Idealfall weitestgehend deckt, wenn sie erfolgreich miteinander kommunizieren wollen. Ist dies nicht der Fall, kommt es zu Störungen und Missverständnissen. Die Offenheit der Apocolocyntosis lässt sich als eine Offenheit der Kommunikation des Textes und der in ihm repräsentierten Sprecherinstanzen mit dem jeweiligen Rezipienten beschreiben. Dabei wird nicht nur auf einer textexternen Ebene, sondern auch auf einer textinternen Ebene kommuniziert. Mittel und Teil dieser Kommunikation sind freilich nicht allein Sprache und Text, sondern in einem weiter gefassten Sinne auch kulturelle und soziale Praktiken. So wird im vorliegenden Aufsatz nicht allein auf die Kommunikation durch Wort und Schrift eingegangen, sondern werden zur Klärung der Offenheit des Textes","PeriodicalId":42033,"journal":{"name":"ANTIKE UND ABENDLAND","volume":"57 1","pages":"74 - 93"},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2011-01-15","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://sci-hub-pdf.com/10.1515/9783110239171.74","citationCount":"1","resultStr":"{\"title\":\"Alle Angaben ohne Gewähr: Momente der Unsicherheit und des Übergangs in Senecas Apocolocyntosis\",\"authors\":\"Meike Rühl\",\"doi\":\"10.1515/9783110239171.74\",\"DOIUrl\":null,\"url\":null,\"abstract\":\"Senecas Apocolocyntosis, die ‹Verkürbissung› des Kaisers Claudius, ist ein Werk, über dessen Bedeutung in der Forschung keine endgültige Meinung erzielt werden kann. 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Alle Angaben ohne Gewähr: Momente der Unsicherheit und des Übergangs in Senecas Apocolocyntosis
Senecas Apocolocyntosis, die ‹Verkürbissung› des Kaisers Claudius, ist ein Werk, über dessen Bedeutung in der Forschung keine endgültige Meinung erzielt werden kann. Der Bericht über Claudius’ Tod, seine Ankunft im Himmel, wie die Götter ihm nach längerer Debatte die Aufnahme verweigern, ihn statt dessen in die Unterwelt schicken, wo er per Gerichtsbeschluss dazu verurteilt wird, seinen Tod als Diener eines früheren Sklaven zu fristen, lässt in der Regel einen amüsierten bis irritierten Leser zurück: Kann der Leser doch nicht so recht einordnen, welches die durch den Text transportierte Botschaft sein soll. Wir haben es demnach mit einem Text zu tun, der in seiner formalen, strukturellen und inhaltlichen Gestaltung ‹offen› ist, weil die Kommunikation mit dem Leser nicht nach den üblichen Mustern abläuft und dem Leser auf diese Weise vielfältige Möglichkeiten der Interpretation überlässt.1 Offenheit bedeutet jedoch nicht, dass die Interpretation dieses Textes beliebig wäre, sondern lediglich, dass die Zahl der Interpretationsmöglichkeiten für diesen Text nahezu unbegrenzt ist. In diesem Sinne offene Kunstoder Literaturwerke setzen jedoch einen Leser voraus, der mit dieser Offenheit umgehen kann und reflektiert, wenn Signale im Text, die ihn gewöhnlich zu einer bestimmten Interpretation verleiten, nicht vorhanden sind oder unkonventionell gebraucht werden. Dieser Reflexionsprozess führt dann zu einer der möglichen Interpretationen und Aktualisierungen des Textes, impliziert aber, dass es zur selben Zeit viele andere Deutungsmöglichkeiten gäbe. Ein Blick in die Untersuchungen, Anmerkungen und Kommentare der Forschung zur Apocolocyntosis belegt die Pluralität der Deutungsmöglichkeiten.2 Da der Gedanke eines offenen Kunstwerkes methodisch die Involvierung des Lesers voraussetzt, basieren die Gliederungspunkte meiner Untersuchung auf einem Kommunikationsmodell, in dem Produzent wie Rezipient eines Textes auf ein Sprachund Kontextwissen zurückgreifen müssen, dass sich im Idealfall weitestgehend deckt, wenn sie erfolgreich miteinander kommunizieren wollen. Ist dies nicht der Fall, kommt es zu Störungen und Missverständnissen. Die Offenheit der Apocolocyntosis lässt sich als eine Offenheit der Kommunikation des Textes und der in ihm repräsentierten Sprecherinstanzen mit dem jeweiligen Rezipienten beschreiben. Dabei wird nicht nur auf einer textexternen Ebene, sondern auch auf einer textinternen Ebene kommuniziert. Mittel und Teil dieser Kommunikation sind freilich nicht allein Sprache und Text, sondern in einem weiter gefassten Sinne auch kulturelle und soziale Praktiken. So wird im vorliegenden Aufsatz nicht allein auf die Kommunikation durch Wort und Schrift eingegangen, sondern werden zur Klärung der Offenheit des Textes
期刊介绍:
The ANTIKE UND ABENDLAND yearbook was founded immediately after the Second World War by Bruno Snell as a forum for interdisciplinary discussion of topics from Antiquity and the history of their later effects. The Editorial Board contains representatives from the disciplines of Classical Studies, Ancient History, Germanic Studies, Romance Studies and English Studies. Articles are published on classical literature and its reception, the history of science, Greek myths, classical mythology and its European heritage; in addition, there are contributions on Ancient history, art, philosophy, science, religion and their significance for the history of European culture and thought.