{"title":"都明白了,对吧","authors":"P. U. Henß","doi":"10.1055/a-1969-2471","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Zusammenfassung Der Schmerz nimmt als primum movens für den Arztbesuch, durch seinen diagnostischen Stellenwert und als Indikator für die Therapiewirksamkeit eine zentrale Stellung im Arzt-Patienten-Verhältnis ein. Die Frage, ob und ggf. wie der Schmerz des anderen erfahrbar ist, hat epistemische Bedeutung. Der Schmerz als Sinneszustand muss vom Schmerz als Bewusstseinsphänomen unterschieden werden. Qualia werden von Nagel als „ what is it like “- Zustände beschrieben, die im phänomenalen Bewusstsein erlebt werden. Sie sind phänomenale Zustände und charakterisiert durch den qualitativen Charakter eines unmittelbar gegebenen subjektiven Gefühlsinhaltes. Der Schmerz als Quale ist subjektiv und an die Erste-Person-Perspektive gebunden. Phänomenale Zustände entziehen sich der begrifflichen Beschreibbarkeit. Wissenschaftler und Ärzte untersuchen den Schmerz objektiv aus der Dritte-Person-Perspektive. Abstraktion und Objektivierung werden dem subjektiven phänomenalen Schmerzerleben nicht gerecht. Die Erklärungslücke bei Levine besteht, weil es keinen Nexus zwischen der physischen Reizung einer C-Schmerzfaser und dem Auftreten der phänomenalen Eigenschaft des Schmerzes (Bewusstseinsphänomen) gibt. Nagels Thesen zeigen, dass Tatsachen, die phänomenale Zustände betreffen, keine physikalischen Tatsachen sind. Erstere sind nur Wesen zugänglich, die die geeignete Erfahrungsperspektive einnehmen können. Der Schmerz des anderen als Quale ist für den Arzt nicht erfahrbar. Medizinische Untersuchungsverfahren in der Medizin sind Surrogate für das Schmerzverständnis, die zugleich für die ärztliche Diagnostik und Therapie unverzichtbar sind Wiehl postuliert (in der Auseinandersetzung mit Viktor von Weizsäckers Aufsatz „Die Schmerzen“), aufgrund der polaren Struktur des Schmerzes, dass der Schmerz, indem er individuell und spezifisch sei, gerade auch ein allgemeiner Schmerz sei. 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Der Mensch und seine Schmerzen – Möglichkeiten und Grenzen der Erfahrbarkeit der Schmerzen des anderen
Zusammenfassung Der Schmerz nimmt als primum movens für den Arztbesuch, durch seinen diagnostischen Stellenwert und als Indikator für die Therapiewirksamkeit eine zentrale Stellung im Arzt-Patienten-Verhältnis ein. Die Frage, ob und ggf. wie der Schmerz des anderen erfahrbar ist, hat epistemische Bedeutung. Der Schmerz als Sinneszustand muss vom Schmerz als Bewusstseinsphänomen unterschieden werden. Qualia werden von Nagel als „ what is it like “- Zustände beschrieben, die im phänomenalen Bewusstsein erlebt werden. Sie sind phänomenale Zustände und charakterisiert durch den qualitativen Charakter eines unmittelbar gegebenen subjektiven Gefühlsinhaltes. Der Schmerz als Quale ist subjektiv und an die Erste-Person-Perspektive gebunden. Phänomenale Zustände entziehen sich der begrifflichen Beschreibbarkeit. Wissenschaftler und Ärzte untersuchen den Schmerz objektiv aus der Dritte-Person-Perspektive. Abstraktion und Objektivierung werden dem subjektiven phänomenalen Schmerzerleben nicht gerecht. Die Erklärungslücke bei Levine besteht, weil es keinen Nexus zwischen der physischen Reizung einer C-Schmerzfaser und dem Auftreten der phänomenalen Eigenschaft des Schmerzes (Bewusstseinsphänomen) gibt. Nagels Thesen zeigen, dass Tatsachen, die phänomenale Zustände betreffen, keine physikalischen Tatsachen sind. Erstere sind nur Wesen zugänglich, die die geeignete Erfahrungsperspektive einnehmen können. Der Schmerz des anderen als Quale ist für den Arzt nicht erfahrbar. Medizinische Untersuchungsverfahren in der Medizin sind Surrogate für das Schmerzverständnis, die zugleich für die ärztliche Diagnostik und Therapie unverzichtbar sind Wiehl postuliert (in der Auseinandersetzung mit Viktor von Weizsäckers Aufsatz „Die Schmerzen“), aufgrund der polaren Struktur des Schmerzes, dass der Schmerz, indem er individuell und spezifisch sei, gerade auch ein allgemeiner Schmerz sei. Wenn in der empathischen Begegnung von Patient und Arzt der Schmerz des anderen mitteilbar wird, könnte durch diesen sprachlichen Annäherungsversuch auf der Seite des Therapeuten modifiziert etwas vom phänomenalen Erleben des Patienten erfahrbar werden.