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Materielle und immaterielle Kosten einer Abweisung an der Grenze bzw. einer Ausweisung oder Abschiebung vom Territorium lassen sich, so das Kalkül in den Transitund Ankunftsstaaten, vermeiden: keine Aufwendungen für den Rücktransport, keine mentalen Belastungen für Beschäftigte von Grenzschutz und Polizei, keine Konflikte mit Hilfsorganisationen und Staaten, in die oder durch die rückgeführt wird. Die folgenden Bemerkungen ordnen die Fluchtverhältnisse der 2010er Jahren in eine längere Linie der Externalisierung von Grenzkontrollen im „langen“ 20. Jahrhundert ein, das vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die Gegenwart reicht. Auf diese Weise soll es erstens gelingen, Einblicke in die Mechanismen und Funktionen der Infrastrukturen zur Kontrolle und Steuerung von Migration zu gewinnen. Zweitens wird die Frage verfolgt, warum trotz einer ausgeprägten Externalisierungspolitik der Europäischen Union (EU) seit den 1990er Jahren die Zahl der Asylsuchenden in Europa von 2011 bis 2016 erheblich anstieg.","PeriodicalId":44275,"journal":{"name":"Journal of Modern European History","volume":"20 1","pages":"8 - 16"},"PeriodicalIF":0.3000,"publicationDate":"2022-02-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"Die Fluchtbewegungen „2015“ im Jahrhundert der Externalisierung\",\"authors\":\"Jochen Oltmer\",\"doi\":\"10.1177/16118944221077411\",\"DOIUrl\":null,\"url\":null,\"abstract\":\"AmAnfang stand ein recht simples Instrument, umGrenzen neu zu ziehen: Das Visum ermöglicht die Auslagerung von Grenzkontrollen auf das Territorium anderer Staaten. 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Die Fluchtbewegungen „2015“ im Jahrhundert der Externalisierung
AmAnfang stand ein recht simples Instrument, umGrenzen neu zu ziehen: Das Visum ermöglicht die Auslagerung von Grenzkontrollen auf das Territorium anderer Staaten. Konsulate der Transitund Ankunftsländer kategorisieren Intention und Merkmale einer potentiell mobilen Person bereits vor einer Durchoder Einreise und legen Reisebedingungen (Zeitpunkt, Dauer, Sicherheitsleistungen) fest. Menschen können abgewiesen werden, ehe sie aufgrund des Eintreffens an einer Grenze und des Betretens eines Territoriums Rechte auf Prüfung eines Einreisebzw. Asylgesuchs erwerben. Damit verhindert ein Staat auch, dass Grenzgänger:innen womöglich vor Ort Unterstützung für einen Bleibewunsch durch Grenzbeamte, Rechtsbeistände, Mitreisende, Verwandte oder Bekannte finden. Materielle und immaterielle Kosten einer Abweisung an der Grenze bzw. einer Ausweisung oder Abschiebung vom Territorium lassen sich, so das Kalkül in den Transitund Ankunftsstaaten, vermeiden: keine Aufwendungen für den Rücktransport, keine mentalen Belastungen für Beschäftigte von Grenzschutz und Polizei, keine Konflikte mit Hilfsorganisationen und Staaten, in die oder durch die rückgeführt wird. Die folgenden Bemerkungen ordnen die Fluchtverhältnisse der 2010er Jahren in eine längere Linie der Externalisierung von Grenzkontrollen im „langen“ 20. Jahrhundert ein, das vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die Gegenwart reicht. Auf diese Weise soll es erstens gelingen, Einblicke in die Mechanismen und Funktionen der Infrastrukturen zur Kontrolle und Steuerung von Migration zu gewinnen. Zweitens wird die Frage verfolgt, warum trotz einer ausgeprägten Externalisierungspolitik der Europäischen Union (EU) seit den 1990er Jahren die Zahl der Asylsuchenden in Europa von 2011 bis 2016 erheblich anstieg.