{"title":"β-内酰胺类抗生素 I 型和 IV 型反应的频率和诊断结果--临床反应与皮试之间的时间间隔的重要性","authors":"Kimberley Farmer, Elsbeth Oestmann, Margitta Worm","doi":"10.1111/ddg.15506_g","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<p>Antibiotika, insbesondere Beta-Laktam-Antibiotika (Penicilline und Cephalosporine), gehören zu den häufigsten Auslösern unerwünschter Arzneimittelreaktionen.<span><sup>1, 2</sup></span> Die Prävalenz von Antibiotikaallergien wird jedoch häufig auf Grundlage unklarer anamnestischer Angaben und fehlerhafter Diagnosestellung überschätzt.<span><sup>3-5</sup></span> Die „Diagnose“ beruht nicht selten auf unklaren, nicht oder unzureichend dokumentierten oder verifizierbaren meist länger zurückliegenden Reaktionen im Säuglings- und Kleinkindalter sowie auf klinisch schwer abgrenzbare Differenzialdiagnosen wie das Infekt-assoziierte Exanthem und die Infekt-getriggerte spontane Urtikaria.<span><sup>3, 6</sup></span> Dies führt zur unnötigen Gabe von Reserveantibiotika, gegebenenfalls zu längeren Therapiedauern oder stationären Behandlungen mit zum Teil erheblichen medizinischen und ökonomischen Folgen wie Resistenzförderung und hohen Therapiekosten.<span><sup>3, 4</sup></span> Infolgedessen ist eine adäquate Diagnostik zur richtigen Diagnosestellung und Beratung essenziell.</p><p>Die S2k-Leitlinie <i>„</i>Diagnostik bei Verdacht auf eine Betalaktamantibiotika-Überempfindlichkeit<i>“</i> gibt eindeutige Empfehlungen zur standardisierten Diagnostik bei Verdacht auf Typ-I-Soforttyp- sowie Typ-IV-Spättypreaktionen auf Beta-Laktam-Antibiotika.<span><sup>4</sup></span> Aufgrund der mangelhaften allergologischen Ausbildung, des geringen diagnostischen Angebotes, der fehlenden Standardisierung, der mangelnden Verfügbarkeit von Testpräparaten, der langen Latenzzeiten zwischen Reaktion und Testung sowie der geringen Patientenbereitschaft wird die Diagnostik nicht selten gar nicht oder limitiert durchgeführt. Zudem sind die Ergebnisse der bisherigen publizierten Studien zu Beta-Laktam-Antibiotika-Allergien aufgrund großer Unterschiede der Studienpopulationen, dem Spektrum der eingesetzten Antibiotika und den jeweils verwendeten diagnostischen Protokollen sehr heterogen.<span><sup>7</sup></span> Ziel unserer Erhebung war es, die Häufigkeit von Sofort- und Spättypreaktionen gegenüber Beta-Laktam-Antibiotika innerhalb eines Untersuchungskollektivs einer allergologischen universitären Ambulanz zu bestimmen, um dadurch Diagnostik und Therapie zu optimieren. Hierzu wurden die Daten von Patienten mit Verdacht auf Beta-Laktam-Antibiotika-Allergie, die zwischen 2020–2022 in der Allergologie und Immunologie der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin mittels eines standardisierten Vorgehens untersucht wurden, ausgewertet.</p><p>In dieser retrospektiven Querschnittsstudie wurden die Daten von allen Patienten, die sich im Zeitraum vom 01.01.2020 bis 31.12.2022 in der Allergologie und Immunologie der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie mit Verdacht auf Beta-Laktam-Antibiotika-Allergie vom Sofort- oder Spättyp vorstellten, berücksichtigt. Die Daten wurden aus den elektronischen Patientenakten im SAP-System extrahiert. Unvollständige Datensätze wurden nicht berücksichtigt. Folgende Daten wurden in die Analyse aufgenommen: demographische Parameter, relevante Nebendiagnosen des atopischen Formenkreis (allergische Rhinokonjunktivitis, allergisches Asthma bronchiale, orales Allergiesyndrom), Laborwerte (Tryptase, Gesamt-IgE, spezifisches IgE gegen Amoxicillin, Ampicillin, Cefaclor, Penicilloyl-G und Penicilloyl-V), Ergebnisse der Hauttestung (Pricktest, Intrakutantest, Epikutantest), Ergebnisse der stationären Arzneimittelprovokationstestung sowie der Zeitabstand zwischen Diagnostik und stattgehabter Reaktion. Als Messsystem für das Gesamt-IgE und für die spezifischen IgE-Antikörper wurde die ImmunoCAP<sup>®</sup> Methode von Thermo Fisher Scientific angewendet. Der Gesamt-IgE-Test ist ein vollständig quantitativer Test, der genaue Werte in einem Messbereich von 2 bis 5000 kU/l liefert. Für spezifisches IgE handelt es sich um eine semiquantitative Methode mit Einteilung in die CAP-Klassen 1 bis 6: CAP-Klasse 0: < 0,35 (< 0,1 nicht sensibilisiert, 0,10–0,35 gering sensibilisiert), CAP-Klasse 1: ≥ 0,35 und < 0,70 (gering sensibilisiert), CAP-Klasse 2: ≥ 0,70 und < 3,50 (mäßig sensibilisiert), CAP-Klasse 3: ≥ 3,50 und < 17,5 (mäßig sensibilisiert), CAP-Klasse 4: ≥ 17,5 und < 50,0 (stark sensibilisiert), CAP-Klasse 5: ≥ 50,0 und < 100 (stark sensibilisiert) und CAP-Klasse 6: ≥ 100 (stark sensibilisiert).</p><p>Die Hauttestungen erfolgten gemäß der 2020 etablierten Testprotokolle, die auf Basis der aktuellen Leitlinienempfehlungen erstellt wurden.<span><sup>4, 8</sup></span> Aufgrund der höheren Sensitivität der Intrakutantestung im Vergleich zur Prick- und Epikutantestung (Spätablesung),<span><sup>9</sup></span> wurde diese in die Hauttestprotokolle aufgenommen (siehe Tabellen S1 und S2 im Online-Supplement). Bei Verdacht auf Soforttypreaktion erfolgte für Benzylpenicillin (Penicillin G), Ampicillin, Amoxicillin, Cefuroxim, Phenoxymethylpenicillin (Penicillin V), Cephalexin und Cefpodoxim eine Prick-Testung mit Ablesung nach 15 Minuten sowie für Benzylpenicillin (Penicillin G), Ampicillin, Amoxicillin und Cefuroxim zusätzlich eine Intrakutan-Testung mit Ablesung nach 20 Minuten und gegebenenfalls eine Spätablesung. Bei Verdacht auf Spättypreaktion erfolgte für Penicillin G, Ampicillin, Amoxicillin und Cefuroxim eine Prick-Testung mit Ablesung nach 15 Minuten sowie anschließend eine Intrakutantestung mit Ablesung nach 20 Minuten, 48 und 72 Stunden. Für Penicillin V, Cephalexin und Cefpodoxim erfolgte nach der Prick-Testung eine Epikutantestung mit Ablesung nach 48 und 72 Stunden. Bei jedem Patienten wurde der komplette Testblock getestet sowie andere verdächtigte Substanzen hinzugefügt. Bei negativer Hauttestung wurde allen Patienten die Durchführung einer stationären Arzneimittelprovokationstestung angeboten.</p><p>Das kommerziell verfügbare DAP<sup>®</sup> Penicillin-Testsystem ermöglicht eine standardisierte Abklärung einer (Amino-)Penicillinallergie. Da das Projekt 2020 begonnen wurde und das Produkt erst seit 2022 verfügbar ist, erfolgten die Testungen ausschließlich gemäß dem hausinternen Standard.</p><p>Die Analyse der erhobenen Daten erfolgte deskriptiv und nach Einteilung in klinische Subgruppen: Typ-I/Soforttypreaktion vs. Typ-IV/Spättypreaktion; positive Hauttestung vs. negative Hauttestung. Eine statistische Analyse zum Vergleich der Häufigkeiten von positivem und negativem Hauttest innerhalb der Typ-I- und Typ-IV-Reaktionen zu den beiden Zeitintervallen wurde mittels zweiseitigem Chi-Quadrat-Test durchgeführt, p < 0,05 wurde dabei als statistisch signifikant angesehen. Die Analyse wurde mit Graphpad Prism 8 (Version 8.4.3; GraphPad Software, La Jolla, CA, USA) durchgeführt. Ein positives Ethikvotum der Ethikkommission der Charité – Universitätsmedizin Berlin mit der Registriernummer EA2/181/23 zur Durchführung der Untersuchung liegt vor.</p><p>Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Befunde eines Patientenkollektivs, das sich in den Jahren 2020 bis 2022 mit Verdacht auf eine Beta-Laktam-Allergie im Allergie-Centrum der Charité vorstellte, hinsichtlich der allergologischen Befunde und insbesondere der Zeitachse (Zeitintervall Symptome und Testung) zu analysieren, um gegebenenfalls die derzeitigen Diagnostikpfade zu optimieren.</p><p>Die Ergebnisse der Hauttestungen zeigen bei 23% (27/116) der untersuchten Patienten positive Befunde. Es zeigten sich große Unterschiede bezüglich der Typ-I- und Typ-IV-Diagnostik. Während von den Patienten mit vermuteter Typ-I-Allergie nur 11% (4/35) eine positive Reaktion zeigten, war die Hauttestung bei Patienten mit vermuteter Typ-IV-Allergie in 28% (23/83) der Fälle positiv. Die Häufigkeit positiver Hauttestreaktionen war vergleichbar mit anderen Arbeiten; so lag die Testpositivität in der Schweizer Studie von Joerg et al. bei 25%.<span><sup>10</sup></span> Im Gegensatz zu unserer Studie war die Anzahl positiver Testreaktionen in der Gruppe der Patienten mit einer Soforttypreaktion jedoch deutlich höher (27,8% vs. 11%), in der Gruppe der Patienten mit einer Spättypreaktion etwas geringer (20% vs. 28%). Die Verteilung von Patienten mit Soforttyp- und Spättypreaktion war in beiden Studien vergleichbar (28% vs. 25,7% beziehungsweise 70% vs. 74,3%).</p><p>Die Untersuchung der Relevanz des Zeitintervalls zeigte, wie auch bereits in der Literatur beschrieben,<span><sup>10-12</sup></span> einen klaren Zusammenhang. Insgesamt lag das mittlere Zeitintervall zwischen der stattgehabten Reaktion und der Testung bei 82 Monaten, während bei positiver Reaktion in der Hauttestung das Zeitintervall nur 9 Monate betrug. Die stationäre Arzneimittelprovokationstestung mit dem angeschuldigten Beta-Laktam-Antibiotikum war bei 15% (2/13) der exponierten Patienten mit Soforttypreaktion positiv. Das mittlere Zeitintervall zwischen der stattgehabten Reaktion und Provokationstestung lag bei 8 Monaten. In der Gruppe der Patienten mit vermuteter Spättypreaktion reagierten nur 10% der exponierten Patienten. Hier lag das mittlere Zeitintervall bei 19 Monaten.</p><p>Dass die Testreaktivität mit zunehmender Dauer zur Reaktion abnimmt, ist ein bekanntes Phänomen und spiegelt die abnehmende Immunreaktivität bei fehlender Antigenexposition wider. Dies scheint insbesondere bei der Soforttypreaktion von Bedeutung zu sein. Die Leitlinie zur allergologischen Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel empfiehlt dementsprechend die allergologische Diagnostik innerhalb von 4 Wochen bis 6 Monaten nach Abklingen der Symptome durchzuführen.<span><sup>8</sup></span> Auch in der Leitlinie zur Diagnostik bei Verdacht auf eine Beta-Laktam-Antibiotika-Überempfindlichkeit wird die Durchführung der Diagnostik innerhalb eines Jahres nach der Reaktion empfohlen.<span><sup>4</sup></span> Auch in unserer Kohorte zeigte sich nach zeitlicher Stratifizierung der Patienten in eine Gruppe mit einem Zeitintervall zwischen stattgehabter Reaktion und Hauttestung < 1 Jahr und eine Gruppe mit Zeitintervall > 1 Jahr ein klarer Trend positiver Testreaktivität: 19% vs. 4% in der Gesamtkohorte, 9% vs. 3% bei Soforttypreaktion und 23% vs. 5% bei Spättypreaktion. Die deutlich geringere Testreaktivität in der Gruppe der Patienten mit Soforttypreaktion in unserer Studie ist somit zumindest teilweise auf das lange mittlere Zeitintervall von 150 Monaten (12,5 Jahre) zurückzuführen. In der oben genannten Arbeit von Joerg et al. lag die Testreaktivität bei einem Zeitintervall von > 3 Jahren zur stattgehabten Reaktion vom Soforttyp jedoch trotzdem wesentlich höher bei 23,5%. In der Leitlinie wird bei Soforttypreaktion auf Beta-Laktam-Antibiotika eine sehr heterogene Hauttestpositivität von 0,8% bis 75,5% angegeben.<span><sup>4</sup></span> Dies ist maßgeblich auf die variable Schwere der Typ-I-Reaktionen zurückzuführen: So ist bekannt, dass Patienten mit höhergradigen anaphylaktischen Reaktionen häufiger eine positive Reaktion im Hauttest zeigen als Patienten mit einer alleinigen Urtikaria oder einem Angioödem. In unserer Studie beschrieben die meisten der 35 Patienten mit vermuteter Typ-I-Allergie eine Reaktion mit akuter, generalisierter Urtikaria oder Angioödem. Bei nur einem Patienten war eine schwere anaphylaktische Reaktion Grad III beschrieben. In der Studie von Joerg et al. hatten nur 4/45 der Patienten mit Soforttyp-Reaktion ausschließlich eine Urtikaria, bei der Mehrzahl (41/45) lag eine anaphylaktische Reaktion Grad II–IV vor. In dieser Untergruppe war die Anzahl der Patienten mit positiver Hauttestung deutlich höher als in der Gruppe mit alleiniger Urtikaria (39% vs. 20%).<span><sup>10</sup></span></p><p>Aufgrund der höheren Sensitivität des Intrakutantests mit Spätablesung im Vergleich zum Epikutantest bei der Diagnostik von Typ-IV-Allergien wurde dieser in unser aktuelles Testprotokoll aufgenommen und wird nun bei allen Patienten mit Verdacht auf eine Spättypreaktion auf Benzylpenicillin (Penicillin G), Ampicillin, Amoxicillin und Cefuroxim durchgeführt. Obwohl sich gemäß der Literatur bei Spättypreaktionen im Vergleich zu Soforttypreaktionen insgesamt seltener eine positive Reaktion im Hauttest zeigt,<span><sup>4</sup></span> könnte die relativ hohe Testpositivität in der Gruppe der Patienten mit vermuteter Typ-IV-Allergie in unserer Studie durch das aktualisierte Hauttestverfahren mit der intrakutanen statt der epikutanen Applikation bedingt sein.</p><p>Bei einem nicht unbedeutenden Anteil der untersuchten Patienten konnte auf Grundlage der detaillierten Anamnese eine Beta-Laktam-Allergie bereits im Vorfeld mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Viele Patienten berichteten von unklaren, meist leichten Reaktionen in der Kindheit die eher als virales Exanthem oder als Infekt-getriggerte Urtikaria einzuordnen waren. Diese Patienten wurden trotzdem alle nach dem standardisierten Testprotokoll untersucht. Die Etablierung von Leitlinienempfehlungen zum vereinfachten diagnostischen Procedere im Fall länger zurückliegender, unklarer Reaktionen mit niedrigem Risiko ist wünschenswert mit dem Ziel eines vereinfachten Ausschlusses von Beta-Laktam-Antibiotika-Allergien.</p><p>Die Anwendung des seit 2022 kommerziell verfügbaren DAP<sup>®</sup> Penicillin-Test-Kits wird unter dem Aspekt einer standardisierten Abklärung einer (Amino-)Penicillinallergie empfohlen. Da unser Projekt bereits 2020 begonnen wurde, wurden die Patienten in dieser Kohorte ausschließlich gemäß des hausinternen Standardprotokolls untersucht. In zukünftigen Untersuchungen prüfen wir die Wirtschaftlichkeit des Test-Kits im Rahmen der Standarddiagnostik.</p><p>Die spezifischen IgE-Antikörper gegen Penicilline, Amoxicillin, Ampicillin, Cefaclor, Penicilloyl-G und Penicilloyl-V waren bei allen untersuchten Patienten negativ. In der Leitlinie wird die Bestimmung der spezifischen IgE-Antikörper innerhalb von 2 Wochen bis 6 Monaten nach stattgehabter Reaktion empfohlen.<span><sup>4</sup></span> Bei nur 7/35 Patienten betrug das Zeitintervall zwischen der Reaktion und der Blutentnahme bis zu 6 Monaten (3–6 Monate), bei den restlichen 28 Patienten war das Zeitintervall in der Mehrzahl der Fälle bedeutend länger (8–684 Monate). Somit ist von einer Negativierung im zeitlichen Verlauf auszugehen. In der zellulären Diagnostik von Soforttyp-Reaktionen auf Beta-Laktam-Antibiotika ist die höchste Aussagekraft für den Basophilenaktivierungstest (BAT) beschrieben.<span><sup>4</sup></span> Dieser wurde jedoch in keinem unserer Patienten bestimmt.</p><p>Open access Veröffentlichung ermöglicht und organisiert durch Projekt DEAL.</p><p>Keiner.</p>","PeriodicalId":14758,"journal":{"name":"Journal Der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft","volume":"22 10","pages":"1383-1391"},"PeriodicalIF":5.5000,"publicationDate":"2024-10-11","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/ddg.15506_g","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"Häufigkeit und diagnostische Befunde von Typ-I- und Typ-IV-Reaktionen gegen Beta-Laktam-Antibiotika – Bedeutung des Zeitintervalls zwischen klinischer Reaktion und Hauttestung\",\"authors\":\"Kimberley Farmer, Elsbeth Oestmann, Margitta Worm\",\"doi\":\"10.1111/ddg.15506_g\",\"DOIUrl\":null,\"url\":null,\"abstract\":\"<p>Antibiotika, insbesondere Beta-Laktam-Antibiotika (Penicilline und Cephalosporine), gehören zu den häufigsten Auslösern unerwünschter Arzneimittelreaktionen.<span><sup>1, 2</sup></span> Die Prävalenz von Antibiotikaallergien wird jedoch häufig auf Grundlage unklarer anamnestischer Angaben und fehlerhafter Diagnosestellung überschätzt.<span><sup>3-5</sup></span> Die „Diagnose“ beruht nicht selten auf unklaren, nicht oder unzureichend dokumentierten oder verifizierbaren meist länger zurückliegenden Reaktionen im Säuglings- und Kleinkindalter sowie auf klinisch schwer abgrenzbare Differenzialdiagnosen wie das Infekt-assoziierte Exanthem und die Infekt-getriggerte spontane Urtikaria.<span><sup>3, 6</sup></span> Dies führt zur unnötigen Gabe von Reserveantibiotika, gegebenenfalls zu längeren Therapiedauern oder stationären Behandlungen mit zum Teil erheblichen medizinischen und ökonomischen Folgen wie Resistenzförderung und hohen Therapiekosten.<span><sup>3, 4</sup></span> Infolgedessen ist eine adäquate Diagnostik zur richtigen Diagnosestellung und Beratung essenziell.</p><p>Die S2k-Leitlinie <i>„</i>Diagnostik bei Verdacht auf eine Betalaktamantibiotika-Überempfindlichkeit<i>“</i> gibt eindeutige Empfehlungen zur standardisierten Diagnostik bei Verdacht auf Typ-I-Soforttyp- sowie Typ-IV-Spättypreaktionen auf Beta-Laktam-Antibiotika.<span><sup>4</sup></span> Aufgrund der mangelhaften allergologischen Ausbildung, des geringen diagnostischen Angebotes, der fehlenden Standardisierung, der mangelnden Verfügbarkeit von Testpräparaten, der langen Latenzzeiten zwischen Reaktion und Testung sowie der geringen Patientenbereitschaft wird die Diagnostik nicht selten gar nicht oder limitiert durchgeführt. 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Während von den Patienten mit vermuteter Typ-I-Allergie nur 11% (4/35) eine positive Reaktion zeigten, war die Hauttestung bei Patienten mit vermuteter Typ-IV-Allergie in 28% (23/83) der Fälle positiv. Die Häufigkeit positiver Hauttestreaktionen war vergleichbar mit anderen Arbeiten; so lag die Testpositivität in der Schweizer Studie von Joerg et al. bei 25%.<span><sup>10</sup></span> Im Gegensatz zu unserer Studie war die Anzahl positiver Testreaktionen in der Gruppe der Patienten mit einer Soforttypreaktion jedoch deutlich höher (27,8% vs. 11%), in der Gruppe der Patienten mit einer Spättypreaktion etwas geringer (20% vs. 28%). Die Verteilung von Patienten mit Soforttyp- und Spättypreaktion war in beiden Studien vergleichbar (28% vs. 25,7% beziehungsweise 70% vs. 74,3%).</p><p>Die Untersuchung der Relevanz des Zeitintervalls zeigte, wie auch bereits in der Literatur beschrieben,<span><sup>10-12</sup></span> einen klaren Zusammenhang. 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Die deutlich geringere Testreaktivität in der Gruppe der Patienten mit Soforttypreaktion in unserer Studie ist somit zumindest teilweise auf das lange mittlere Zeitintervall von 150 Monaten (12,5 Jahre) zurückzuführen. In der oben genannten Arbeit von Joerg et al. lag die Testreaktivität bei einem Zeitintervall von > 3 Jahren zur stattgehabten Reaktion vom Soforttyp jedoch trotzdem wesentlich höher bei 23,5%. In der Leitlinie wird bei Soforttypreaktion auf Beta-Laktam-Antibiotika eine sehr heterogene Hauttestpositivität von 0,8% bis 75,5% angegeben.<span><sup>4</sup></span> Dies ist maßgeblich auf die variable Schwere der Typ-I-Reaktionen zurückzuführen: So ist bekannt, dass Patienten mit höhergradigen anaphylaktischen Reaktionen häufiger eine positive Reaktion im Hauttest zeigen als Patienten mit einer alleinigen Urtikaria oder einem Angioödem. 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Die Etablierung von Leitlinienempfehlungen zum vereinfachten diagnostischen Procedere im Fall länger zurückliegender, unklarer Reaktionen mit niedrigem Risiko ist wünschenswert mit dem Ziel eines vereinfachten Ausschlusses von Beta-Laktam-Antibiotika-Allergien.</p><p>Die Anwendung des seit 2022 kommerziell verfügbaren DAP<sup>®</sup> Penicillin-Test-Kits wird unter dem Aspekt einer standardisierten Abklärung einer (Amino-)Penicillinallergie empfohlen. Da unser Projekt bereits 2020 begonnen wurde, wurden die Patienten in dieser Kohorte ausschließlich gemäß des hausinternen Standardprotokolls untersucht. In zukünftigen Untersuchungen prüfen wir die Wirtschaftlichkeit des Test-Kits im Rahmen der Standarddiagnostik.</p><p>Die spezifischen IgE-Antikörper gegen Penicilline, Amoxicillin, Ampicillin, Cefaclor, Penicilloyl-G und Penicilloyl-V waren bei allen untersuchten Patienten negativ. 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In der zellulären Diagnostik von Soforttyp-Reaktionen auf Beta-Laktam-Antibiotika ist die höchste Aussagekraft für den Basophilenaktivierungstest (BAT) beschrieben.<span><sup>4</sup></span> Dieser wurde jedoch in keinem unserer Patienten bestimmt.</p><p>Open access Veröffentlichung ermöglicht und organisiert durch Projekt DEAL.</p><p>Keiner.</p>\",\"PeriodicalId\":14758,\"journal\":{\"name\":\"Journal Der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft\",\"volume\":\"22 10\",\"pages\":\"1383-1391\"},\"PeriodicalIF\":5.5000,\"publicationDate\":\"2024-10-11\",\"publicationTypes\":\"Journal Article\",\"fieldsOfStudy\":null,\"isOpenAccess\":false,\"openAccessPdf\":\"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/ddg.15506_g\",\"citationCount\":\"0\",\"resultStr\":null,\"platform\":\"Semanticscholar\",\"paperid\":null,\"PeriodicalName\":\"Journal Der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft\",\"FirstCategoryId\":\"3\",\"ListUrlMain\":\"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ddg.15506_g\",\"RegionNum\":4,\"RegionCategory\":\"医学\",\"ArticlePicture\":[],\"TitleCN\":null,\"AbstractTextCN\":null,\"PMCID\":null,\"EPubDate\":\"\",\"PubModel\":\"\",\"JCR\":\"Q1\",\"JCRName\":\"DERMATOLOGY\",\"Score\":null,\"Total\":0}","platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Journal Der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft","FirstCategoryId":"3","ListUrlMain":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ddg.15506_g","RegionNum":4,"RegionCategory":"医学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q1","JCRName":"DERMATOLOGY","Score":null,"Total":0}
Häufigkeit und diagnostische Befunde von Typ-I- und Typ-IV-Reaktionen gegen Beta-Laktam-Antibiotika – Bedeutung des Zeitintervalls zwischen klinischer Reaktion und Hauttestung
Antibiotika, insbesondere Beta-Laktam-Antibiotika (Penicilline und Cephalosporine), gehören zu den häufigsten Auslösern unerwünschter Arzneimittelreaktionen.1, 2 Die Prävalenz von Antibiotikaallergien wird jedoch häufig auf Grundlage unklarer anamnestischer Angaben und fehlerhafter Diagnosestellung überschätzt.3-5 Die „Diagnose“ beruht nicht selten auf unklaren, nicht oder unzureichend dokumentierten oder verifizierbaren meist länger zurückliegenden Reaktionen im Säuglings- und Kleinkindalter sowie auf klinisch schwer abgrenzbare Differenzialdiagnosen wie das Infekt-assoziierte Exanthem und die Infekt-getriggerte spontane Urtikaria.3, 6 Dies führt zur unnötigen Gabe von Reserveantibiotika, gegebenenfalls zu längeren Therapiedauern oder stationären Behandlungen mit zum Teil erheblichen medizinischen und ökonomischen Folgen wie Resistenzförderung und hohen Therapiekosten.3, 4 Infolgedessen ist eine adäquate Diagnostik zur richtigen Diagnosestellung und Beratung essenziell.
Die S2k-Leitlinie „Diagnostik bei Verdacht auf eine Betalaktamantibiotika-Überempfindlichkeit“ gibt eindeutige Empfehlungen zur standardisierten Diagnostik bei Verdacht auf Typ-I-Soforttyp- sowie Typ-IV-Spättypreaktionen auf Beta-Laktam-Antibiotika.4 Aufgrund der mangelhaften allergologischen Ausbildung, des geringen diagnostischen Angebotes, der fehlenden Standardisierung, der mangelnden Verfügbarkeit von Testpräparaten, der langen Latenzzeiten zwischen Reaktion und Testung sowie der geringen Patientenbereitschaft wird die Diagnostik nicht selten gar nicht oder limitiert durchgeführt. Zudem sind die Ergebnisse der bisherigen publizierten Studien zu Beta-Laktam-Antibiotika-Allergien aufgrund großer Unterschiede der Studienpopulationen, dem Spektrum der eingesetzten Antibiotika und den jeweils verwendeten diagnostischen Protokollen sehr heterogen.7 Ziel unserer Erhebung war es, die Häufigkeit von Sofort- und Spättypreaktionen gegenüber Beta-Laktam-Antibiotika innerhalb eines Untersuchungskollektivs einer allergologischen universitären Ambulanz zu bestimmen, um dadurch Diagnostik und Therapie zu optimieren. Hierzu wurden die Daten von Patienten mit Verdacht auf Beta-Laktam-Antibiotika-Allergie, die zwischen 2020–2022 in der Allergologie und Immunologie der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin mittels eines standardisierten Vorgehens untersucht wurden, ausgewertet.
In dieser retrospektiven Querschnittsstudie wurden die Daten von allen Patienten, die sich im Zeitraum vom 01.01.2020 bis 31.12.2022 in der Allergologie und Immunologie der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie mit Verdacht auf Beta-Laktam-Antibiotika-Allergie vom Sofort- oder Spättyp vorstellten, berücksichtigt. Die Daten wurden aus den elektronischen Patientenakten im SAP-System extrahiert. Unvollständige Datensätze wurden nicht berücksichtigt. Folgende Daten wurden in die Analyse aufgenommen: demographische Parameter, relevante Nebendiagnosen des atopischen Formenkreis (allergische Rhinokonjunktivitis, allergisches Asthma bronchiale, orales Allergiesyndrom), Laborwerte (Tryptase, Gesamt-IgE, spezifisches IgE gegen Amoxicillin, Ampicillin, Cefaclor, Penicilloyl-G und Penicilloyl-V), Ergebnisse der Hauttestung (Pricktest, Intrakutantest, Epikutantest), Ergebnisse der stationären Arzneimittelprovokationstestung sowie der Zeitabstand zwischen Diagnostik und stattgehabter Reaktion. Als Messsystem für das Gesamt-IgE und für die spezifischen IgE-Antikörper wurde die ImmunoCAP® Methode von Thermo Fisher Scientific angewendet. Der Gesamt-IgE-Test ist ein vollständig quantitativer Test, der genaue Werte in einem Messbereich von 2 bis 5000 kU/l liefert. Für spezifisches IgE handelt es sich um eine semiquantitative Methode mit Einteilung in die CAP-Klassen 1 bis 6: CAP-Klasse 0: < 0,35 (< 0,1 nicht sensibilisiert, 0,10–0,35 gering sensibilisiert), CAP-Klasse 1: ≥ 0,35 und < 0,70 (gering sensibilisiert), CAP-Klasse 2: ≥ 0,70 und < 3,50 (mäßig sensibilisiert), CAP-Klasse 3: ≥ 3,50 und < 17,5 (mäßig sensibilisiert), CAP-Klasse 4: ≥ 17,5 und < 50,0 (stark sensibilisiert), CAP-Klasse 5: ≥ 50,0 und < 100 (stark sensibilisiert) und CAP-Klasse 6: ≥ 100 (stark sensibilisiert).
Die Hauttestungen erfolgten gemäß der 2020 etablierten Testprotokolle, die auf Basis der aktuellen Leitlinienempfehlungen erstellt wurden.4, 8 Aufgrund der höheren Sensitivität der Intrakutantestung im Vergleich zur Prick- und Epikutantestung (Spätablesung),9 wurde diese in die Hauttestprotokolle aufgenommen (siehe Tabellen S1 und S2 im Online-Supplement). Bei Verdacht auf Soforttypreaktion erfolgte für Benzylpenicillin (Penicillin G), Ampicillin, Amoxicillin, Cefuroxim, Phenoxymethylpenicillin (Penicillin V), Cephalexin und Cefpodoxim eine Prick-Testung mit Ablesung nach 15 Minuten sowie für Benzylpenicillin (Penicillin G), Ampicillin, Amoxicillin und Cefuroxim zusätzlich eine Intrakutan-Testung mit Ablesung nach 20 Minuten und gegebenenfalls eine Spätablesung. Bei Verdacht auf Spättypreaktion erfolgte für Penicillin G, Ampicillin, Amoxicillin und Cefuroxim eine Prick-Testung mit Ablesung nach 15 Minuten sowie anschließend eine Intrakutantestung mit Ablesung nach 20 Minuten, 48 und 72 Stunden. Für Penicillin V, Cephalexin und Cefpodoxim erfolgte nach der Prick-Testung eine Epikutantestung mit Ablesung nach 48 und 72 Stunden. Bei jedem Patienten wurde der komplette Testblock getestet sowie andere verdächtigte Substanzen hinzugefügt. Bei negativer Hauttestung wurde allen Patienten die Durchführung einer stationären Arzneimittelprovokationstestung angeboten.
Das kommerziell verfügbare DAP® Penicillin-Testsystem ermöglicht eine standardisierte Abklärung einer (Amino-)Penicillinallergie. Da das Projekt 2020 begonnen wurde und das Produkt erst seit 2022 verfügbar ist, erfolgten die Testungen ausschließlich gemäß dem hausinternen Standard.
Die Analyse der erhobenen Daten erfolgte deskriptiv und nach Einteilung in klinische Subgruppen: Typ-I/Soforttypreaktion vs. Typ-IV/Spättypreaktion; positive Hauttestung vs. negative Hauttestung. Eine statistische Analyse zum Vergleich der Häufigkeiten von positivem und negativem Hauttest innerhalb der Typ-I- und Typ-IV-Reaktionen zu den beiden Zeitintervallen wurde mittels zweiseitigem Chi-Quadrat-Test durchgeführt, p < 0,05 wurde dabei als statistisch signifikant angesehen. Die Analyse wurde mit Graphpad Prism 8 (Version 8.4.3; GraphPad Software, La Jolla, CA, USA) durchgeführt. Ein positives Ethikvotum der Ethikkommission der Charité – Universitätsmedizin Berlin mit der Registriernummer EA2/181/23 zur Durchführung der Untersuchung liegt vor.
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Befunde eines Patientenkollektivs, das sich in den Jahren 2020 bis 2022 mit Verdacht auf eine Beta-Laktam-Allergie im Allergie-Centrum der Charité vorstellte, hinsichtlich der allergologischen Befunde und insbesondere der Zeitachse (Zeitintervall Symptome und Testung) zu analysieren, um gegebenenfalls die derzeitigen Diagnostikpfade zu optimieren.
Die Ergebnisse der Hauttestungen zeigen bei 23% (27/116) der untersuchten Patienten positive Befunde. Es zeigten sich große Unterschiede bezüglich der Typ-I- und Typ-IV-Diagnostik. Während von den Patienten mit vermuteter Typ-I-Allergie nur 11% (4/35) eine positive Reaktion zeigten, war die Hauttestung bei Patienten mit vermuteter Typ-IV-Allergie in 28% (23/83) der Fälle positiv. Die Häufigkeit positiver Hauttestreaktionen war vergleichbar mit anderen Arbeiten; so lag die Testpositivität in der Schweizer Studie von Joerg et al. bei 25%.10 Im Gegensatz zu unserer Studie war die Anzahl positiver Testreaktionen in der Gruppe der Patienten mit einer Soforttypreaktion jedoch deutlich höher (27,8% vs. 11%), in der Gruppe der Patienten mit einer Spättypreaktion etwas geringer (20% vs. 28%). Die Verteilung von Patienten mit Soforttyp- und Spättypreaktion war in beiden Studien vergleichbar (28% vs. 25,7% beziehungsweise 70% vs. 74,3%).
Die Untersuchung der Relevanz des Zeitintervalls zeigte, wie auch bereits in der Literatur beschrieben,10-12 einen klaren Zusammenhang. Insgesamt lag das mittlere Zeitintervall zwischen der stattgehabten Reaktion und der Testung bei 82 Monaten, während bei positiver Reaktion in der Hauttestung das Zeitintervall nur 9 Monate betrug. Die stationäre Arzneimittelprovokationstestung mit dem angeschuldigten Beta-Laktam-Antibiotikum war bei 15% (2/13) der exponierten Patienten mit Soforttypreaktion positiv. Das mittlere Zeitintervall zwischen der stattgehabten Reaktion und Provokationstestung lag bei 8 Monaten. In der Gruppe der Patienten mit vermuteter Spättypreaktion reagierten nur 10% der exponierten Patienten. Hier lag das mittlere Zeitintervall bei 19 Monaten.
Dass die Testreaktivität mit zunehmender Dauer zur Reaktion abnimmt, ist ein bekanntes Phänomen und spiegelt die abnehmende Immunreaktivität bei fehlender Antigenexposition wider. Dies scheint insbesondere bei der Soforttypreaktion von Bedeutung zu sein. Die Leitlinie zur allergologischen Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel empfiehlt dementsprechend die allergologische Diagnostik innerhalb von 4 Wochen bis 6 Monaten nach Abklingen der Symptome durchzuführen.8 Auch in der Leitlinie zur Diagnostik bei Verdacht auf eine Beta-Laktam-Antibiotika-Überempfindlichkeit wird die Durchführung der Diagnostik innerhalb eines Jahres nach der Reaktion empfohlen.4 Auch in unserer Kohorte zeigte sich nach zeitlicher Stratifizierung der Patienten in eine Gruppe mit einem Zeitintervall zwischen stattgehabter Reaktion und Hauttestung < 1 Jahr und eine Gruppe mit Zeitintervall > 1 Jahr ein klarer Trend positiver Testreaktivität: 19% vs. 4% in der Gesamtkohorte, 9% vs. 3% bei Soforttypreaktion und 23% vs. 5% bei Spättypreaktion. Die deutlich geringere Testreaktivität in der Gruppe der Patienten mit Soforttypreaktion in unserer Studie ist somit zumindest teilweise auf das lange mittlere Zeitintervall von 150 Monaten (12,5 Jahre) zurückzuführen. In der oben genannten Arbeit von Joerg et al. lag die Testreaktivität bei einem Zeitintervall von > 3 Jahren zur stattgehabten Reaktion vom Soforttyp jedoch trotzdem wesentlich höher bei 23,5%. In der Leitlinie wird bei Soforttypreaktion auf Beta-Laktam-Antibiotika eine sehr heterogene Hauttestpositivität von 0,8% bis 75,5% angegeben.4 Dies ist maßgeblich auf die variable Schwere der Typ-I-Reaktionen zurückzuführen: So ist bekannt, dass Patienten mit höhergradigen anaphylaktischen Reaktionen häufiger eine positive Reaktion im Hauttest zeigen als Patienten mit einer alleinigen Urtikaria oder einem Angioödem. In unserer Studie beschrieben die meisten der 35 Patienten mit vermuteter Typ-I-Allergie eine Reaktion mit akuter, generalisierter Urtikaria oder Angioödem. Bei nur einem Patienten war eine schwere anaphylaktische Reaktion Grad III beschrieben. In der Studie von Joerg et al. hatten nur 4/45 der Patienten mit Soforttyp-Reaktion ausschließlich eine Urtikaria, bei der Mehrzahl (41/45) lag eine anaphylaktische Reaktion Grad II–IV vor. In dieser Untergruppe war die Anzahl der Patienten mit positiver Hauttestung deutlich höher als in der Gruppe mit alleiniger Urtikaria (39% vs. 20%).10
Aufgrund der höheren Sensitivität des Intrakutantests mit Spätablesung im Vergleich zum Epikutantest bei der Diagnostik von Typ-IV-Allergien wurde dieser in unser aktuelles Testprotokoll aufgenommen und wird nun bei allen Patienten mit Verdacht auf eine Spättypreaktion auf Benzylpenicillin (Penicillin G), Ampicillin, Amoxicillin und Cefuroxim durchgeführt. Obwohl sich gemäß der Literatur bei Spättypreaktionen im Vergleich zu Soforttypreaktionen insgesamt seltener eine positive Reaktion im Hauttest zeigt,4 könnte die relativ hohe Testpositivität in der Gruppe der Patienten mit vermuteter Typ-IV-Allergie in unserer Studie durch das aktualisierte Hauttestverfahren mit der intrakutanen statt der epikutanen Applikation bedingt sein.
Bei einem nicht unbedeutenden Anteil der untersuchten Patienten konnte auf Grundlage der detaillierten Anamnese eine Beta-Laktam-Allergie bereits im Vorfeld mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Viele Patienten berichteten von unklaren, meist leichten Reaktionen in der Kindheit die eher als virales Exanthem oder als Infekt-getriggerte Urtikaria einzuordnen waren. Diese Patienten wurden trotzdem alle nach dem standardisierten Testprotokoll untersucht. Die Etablierung von Leitlinienempfehlungen zum vereinfachten diagnostischen Procedere im Fall länger zurückliegender, unklarer Reaktionen mit niedrigem Risiko ist wünschenswert mit dem Ziel eines vereinfachten Ausschlusses von Beta-Laktam-Antibiotika-Allergien.
Die Anwendung des seit 2022 kommerziell verfügbaren DAP® Penicillin-Test-Kits wird unter dem Aspekt einer standardisierten Abklärung einer (Amino-)Penicillinallergie empfohlen. Da unser Projekt bereits 2020 begonnen wurde, wurden die Patienten in dieser Kohorte ausschließlich gemäß des hausinternen Standardprotokolls untersucht. In zukünftigen Untersuchungen prüfen wir die Wirtschaftlichkeit des Test-Kits im Rahmen der Standarddiagnostik.
Die spezifischen IgE-Antikörper gegen Penicilline, Amoxicillin, Ampicillin, Cefaclor, Penicilloyl-G und Penicilloyl-V waren bei allen untersuchten Patienten negativ. In der Leitlinie wird die Bestimmung der spezifischen IgE-Antikörper innerhalb von 2 Wochen bis 6 Monaten nach stattgehabter Reaktion empfohlen.4 Bei nur 7/35 Patienten betrug das Zeitintervall zwischen der Reaktion und der Blutentnahme bis zu 6 Monaten (3–6 Monate), bei den restlichen 28 Patienten war das Zeitintervall in der Mehrzahl der Fälle bedeutend länger (8–684 Monate). Somit ist von einer Negativierung im zeitlichen Verlauf auszugehen. In der zellulären Diagnostik von Soforttyp-Reaktionen auf Beta-Laktam-Antibiotika ist die höchste Aussagekraft für den Basophilenaktivierungstest (BAT) beschrieben.4 Dieser wurde jedoch in keinem unserer Patienten bestimmt.
Open access Veröffentlichung ermöglicht und organisiert durch Projekt DEAL.
期刊介绍:
The JDDG publishes scientific papers from a wide range of disciplines, such as dermatovenereology, allergology, phlebology, dermatosurgery, dermatooncology, and dermatohistopathology. Also in JDDG: information on medical training, continuing education, a calendar of events, book reviews and society announcements.
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