{"title":"学校与研究","authors":"Prof. Dr. Timm Wilke","doi":"10.1002/ckon.202400044","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<p>Liebe Leser:innen,</p><p>zurzeit mangelt es wirklich nicht an Herausforderungen, denen wir uns als Gesamtgesellschaft stellen müssen – der Klimawandel, Umweltschäden, eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft und Pandemien sind nur ausgewählte Beispiele hierfür. Glücklicherweise werden an Universitäten, Forschungszentren oder Forschungsabteilungen von Unternehmen für diese und viele weiteren Probleme Strategien zur Bewältigung sowie Lösungen und Produkte entwickelt, die uns allen zugutekommen. Ein gutes Beispiel für den konkreten Nutzen von innovativer Forschung ist sicherlich die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen, die durch nanoskalige Kapseln („Nanocarrier“) geschützt ihre Wirkung im Körper entfalten können und zahlreiche Krankheitsverläufe abgemildert haben.</p><p>Die Entwicklung der klassischen und mRNA-Impfstoffe mit ihren klinischen Studien hatte neben der medizinischen Wirkung noch einen positiven „Nebeneffekt“: Während im Regelfall die Entwicklung, Prototypisierung und Erprobung von naturwissenschaftlichen oder technischen Innovationen wenig beachtet wird, hat in diesem Fall eine breite Öffentlichkeit daran Anteil genommen und den Prozess intensiv verfolgt. Mit Schaubildern, Animationen und in hohem Detailgrad haben große Medienhäuser die zugrunde liegenden Prinzipien des Wirkmechanismus erläutert und mit Interviews und Reportagen zahlreiche Einblicke in die oftmals fernen „Elfenbeintürme der Wissenschaft“ geboten.</p><p>Für einen spannenden und zukunftsweisenden Chemieunterricht ist es wünschenswert, dass (auch ganz ohne Pandemie) durch die Behandlung von aktuellen Forschungsthemen ein starker Bezug zur Lebenswelt von Schüler:innen hergestellt werden kann. An interessanten Fragestellungen, etwa im Themenfeld Klimawandel, mangelt es nicht: Wie können neue Solarzellen zur Deckung des Strombedarfs beitragen? Können dezentrale Natrium-Ionen-Akkumulatoren Stromüberschüsse und -bedarfe ausgleichen? Sind eFuels wirklich eine sinnvolle und klimaneutrale Alternative? Und, und, und …</p><p>Die didaktische Erschließung solcher innovativer Themenfelder benötigt Zeit und Expertise im Spannungsfeld zwischen Fachdidaktik, Fachwissenschaft und Unterrichtspraxis. Von zentraler Bedeutung für den Erfolg dieses Prozesses ist einerseits die Entwicklung von einfachen, aber aussagekräftigen Experimenten, die mit günstigen, ungefährlichen Chemikalien und Materialien durchgeführt werden können. Hohe Anschaffungskosten wurden hierbei in Studien verständlicherweise als Barriere für den Unterrichtseinsatz identifiziert. Andererseits ist die konsequente Anbindung der Inhalte an die Vorgaben des jeweiligen Kerncurriculums oder Lehrplans wichtig, da Unterrichtszeit grundsätzlich knapp bemessen ist. Wenn es aber gelingt, klassische Inhalte der Schulchemie anhand von modernen, bedeutsamen und attraktiven Kontexten zu vermitteln, profitieren Schüler:innen und Lehrkräfte im Chemieunterricht gleichermaßen. Dieser Herausforderung widmen sich zahlreiche Arbeitsgruppen im Bereich der experimentell-konzeptionellen Chemiedidaktik.</p><p>In der aktuellen Ausgabe mit dem Titel „Schule trifft Forschung“ wird in fünf Beiträgen vorgestellt, wie aktuelle Forschungsthemen gewinnbringend in den Chemieunterricht integriert werden können. Der erste Beitrag präsentiert zwei Versuchsreihen zur Nanomedizin aus dem Sonderforschungsbereich PolyTarget, die das Prinzip der Nanocarrier für den zielgerichteten Wirkstofftransport behandeln. Durch einfache Experimente lernen Schüler:innen der Sek. II, wie Polymere als Transportmittel genutzt werden können, um Wirkstoffe gezielt zu Organen und infiziertem Gewebe zu bringen. Diese Experimente verbinden die Themen „Nano“ und „Polymere“ und ermöglichen es, klassische Inhalte des Chemieunterrichts in einem attraktiven Kontext zu vermitteln.</p><p>Der zweite Beitrag aus dem Graduiertenkolleg <sup>1,2,3</sup>H stellt ein Schülerlaborkonzept vor, das einen Einblick in die Arbeit der chemischen Forschung bietet. Durch Experimente zur photokatalytischen Deuterierung lernen die Schüler:innen nicht nur die chemischen Eigenschaften von Wasserstoff und Deuterium kennen, sondern auch die Photokatalyse und die spezifischen Methoden der Deuterierung. Videobasierte Interviews mit Forschenden runden das Konzept ab und geben einen authentischen Einblick in die Welt der Wissenschaft.</p><p>Der dritte Beitrag greift das Thema der Decarbonisierung auf und stellt die Umstellung der Stahlproduktion auf klimafreundlichere Methoden vor. Anstatt des traditionellen Hochofens wird die Direktreduktion mit Ammoniak als eine kostengünstige Alternative zu Wasserstoff vorgestellt. Ein einfaches Schulexperiment zur Herstellung von Ammoniak und zur Reduktion von Eisenoxid macht dieses komplexe Thema für den Unterricht greifbar und zeigt den Wandel industrieller Prozesse.</p><p>Der vierte Beitrag aus dem Sonderforschungsbereich 1073 widmet sich der Elektro-Fenton-Reaktion als nachhaltige Methode zur Beseitigung von Schadstoffen in Abwässern. Durch die Kombination elektrosynthetischer Methoden mit der Bildung von Radikalen können organische Schadstoffe effektiv abgebaut werden. Dieser experimentelle Unterrichtsgang bietet eine anschauliche Möglichkeit, grundlegende Konzepte der Elektrochemie, Katalyse und Radikalchemie zu erarbeiten und die Bedeutung nachhaltiger Verfahren zu verdeutlichen.</p><p>Abschließend behandelt der fünfte Beitrag aus der Kategorie „Das Experiment“ die elektrochemische Reduktion als innovative Methode, um Kohlenstoffdioxid als Rohstoff nutzbar zu machen. Durch katalytische Reduktionsreaktionen kann Kohlenstoff in nützlichen Verbindungen wie Kohlenstoffmonoxid oder Ameisensäure fixiert werden. Der Beitrag bietet ein praxisnahes Experiment, das dieses aktuelle Forschungsthema in den Chemieunterricht integriert und den Schüler:innen die Relevanz und Möglichkeiten der CO<sub>2</sub>-Nutzung aufzeigt.</p><p>Wir hoffen, dass diese Ausgabe Ihnen wertvolle Anregungen und Ideen für Ihren Unterricht bietet und Sie inspiriert, aktuelle Forschungsergebnisse in Ihre Lehre zu integrieren.</p><p>Timm Wilke, Jahrgang 1988, promovierte 2017 an der Universität Göttingen mit Gastaufenthalten am Florida Institute of Technology und am IPN in Kiel. Nach Stationen an den Universitäten Braunschweig, Graz, Jena und paralleler Unterrichtstätigkeit hat er seit 2023 eine Niedersachsen-Profil-Professur für Didaktik der Chemie an der Universität Oldenburg inne. Die fachdidaktische Erschließung aktueller Themenfelder für Schule und Schülerlabor ist ein Schwerpunkt seiner Forschung.</p>","PeriodicalId":43673,"journal":{"name":"ChemKon","volume":"31 6","pages":"206"},"PeriodicalIF":0.4000,"publicationDate":"2024-08-24","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/ckon.202400044","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"Schule trifft Forschung\",\"authors\":\"Prof. Dr. Timm Wilke\",\"doi\":\"10.1002/ckon.202400044\",\"DOIUrl\":null,\"url\":null,\"abstract\":\"<p>Liebe Leser:innen,</p><p>zurzeit mangelt es wirklich nicht an Herausforderungen, denen wir uns als Gesamtgesellschaft stellen müssen – der Klimawandel, Umweltschäden, eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft und Pandemien sind nur ausgewählte Beispiele hierfür. 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Die Entwicklung der klassischen und mRNA-Impfstoffe mit ihren klinischen Studien hatte neben der medizinischen Wirkung noch einen positiven „Nebeneffekt“: Während im Regelfall die Entwicklung, Prototypisierung und Erprobung von naturwissenschaftlichen oder technischen Innovationen wenig beachtet wird, hat in diesem Fall eine breite Öffentlichkeit daran Anteil genommen und den Prozess intensiv verfolgt. Mit Schaubildern, Animationen und in hohem Detailgrad haben große Medienhäuser die zugrunde liegenden Prinzipien des Wirkmechanismus erläutert und mit Interviews und Reportagen zahlreiche Einblicke in die oftmals fernen „Elfenbeintürme der Wissenschaft“ geboten.
Für einen spannenden und zukunftsweisenden Chemieunterricht ist es wünschenswert, dass (auch ganz ohne Pandemie) durch die Behandlung von aktuellen Forschungsthemen ein starker Bezug zur Lebenswelt von Schüler:innen hergestellt werden kann. An interessanten Fragestellungen, etwa im Themenfeld Klimawandel, mangelt es nicht: Wie können neue Solarzellen zur Deckung des Strombedarfs beitragen? Können dezentrale Natrium-Ionen-Akkumulatoren Stromüberschüsse und -bedarfe ausgleichen? Sind eFuels wirklich eine sinnvolle und klimaneutrale Alternative? Und, und, und …
Die didaktische Erschließung solcher innovativer Themenfelder benötigt Zeit und Expertise im Spannungsfeld zwischen Fachdidaktik, Fachwissenschaft und Unterrichtspraxis. Von zentraler Bedeutung für den Erfolg dieses Prozesses ist einerseits die Entwicklung von einfachen, aber aussagekräftigen Experimenten, die mit günstigen, ungefährlichen Chemikalien und Materialien durchgeführt werden können. Hohe Anschaffungskosten wurden hierbei in Studien verständlicherweise als Barriere für den Unterrichtseinsatz identifiziert. Andererseits ist die konsequente Anbindung der Inhalte an die Vorgaben des jeweiligen Kerncurriculums oder Lehrplans wichtig, da Unterrichtszeit grundsätzlich knapp bemessen ist. Wenn es aber gelingt, klassische Inhalte der Schulchemie anhand von modernen, bedeutsamen und attraktiven Kontexten zu vermitteln, profitieren Schüler:innen und Lehrkräfte im Chemieunterricht gleichermaßen. Dieser Herausforderung widmen sich zahlreiche Arbeitsgruppen im Bereich der experimentell-konzeptionellen Chemiedidaktik.
In der aktuellen Ausgabe mit dem Titel „Schule trifft Forschung“ wird in fünf Beiträgen vorgestellt, wie aktuelle Forschungsthemen gewinnbringend in den Chemieunterricht integriert werden können. Der erste Beitrag präsentiert zwei Versuchsreihen zur Nanomedizin aus dem Sonderforschungsbereich PolyTarget, die das Prinzip der Nanocarrier für den zielgerichteten Wirkstofftransport behandeln. Durch einfache Experimente lernen Schüler:innen der Sek. II, wie Polymere als Transportmittel genutzt werden können, um Wirkstoffe gezielt zu Organen und infiziertem Gewebe zu bringen. Diese Experimente verbinden die Themen „Nano“ und „Polymere“ und ermöglichen es, klassische Inhalte des Chemieunterrichts in einem attraktiven Kontext zu vermitteln.
Der zweite Beitrag aus dem Graduiertenkolleg 1,2,3H stellt ein Schülerlaborkonzept vor, das einen Einblick in die Arbeit der chemischen Forschung bietet. Durch Experimente zur photokatalytischen Deuterierung lernen die Schüler:innen nicht nur die chemischen Eigenschaften von Wasserstoff und Deuterium kennen, sondern auch die Photokatalyse und die spezifischen Methoden der Deuterierung. Videobasierte Interviews mit Forschenden runden das Konzept ab und geben einen authentischen Einblick in die Welt der Wissenschaft.
Der dritte Beitrag greift das Thema der Decarbonisierung auf und stellt die Umstellung der Stahlproduktion auf klimafreundlichere Methoden vor. Anstatt des traditionellen Hochofens wird die Direktreduktion mit Ammoniak als eine kostengünstige Alternative zu Wasserstoff vorgestellt. Ein einfaches Schulexperiment zur Herstellung von Ammoniak und zur Reduktion von Eisenoxid macht dieses komplexe Thema für den Unterricht greifbar und zeigt den Wandel industrieller Prozesse.
Der vierte Beitrag aus dem Sonderforschungsbereich 1073 widmet sich der Elektro-Fenton-Reaktion als nachhaltige Methode zur Beseitigung von Schadstoffen in Abwässern. Durch die Kombination elektrosynthetischer Methoden mit der Bildung von Radikalen können organische Schadstoffe effektiv abgebaut werden. Dieser experimentelle Unterrichtsgang bietet eine anschauliche Möglichkeit, grundlegende Konzepte der Elektrochemie, Katalyse und Radikalchemie zu erarbeiten und die Bedeutung nachhaltiger Verfahren zu verdeutlichen.
Abschließend behandelt der fünfte Beitrag aus der Kategorie „Das Experiment“ die elektrochemische Reduktion als innovative Methode, um Kohlenstoffdioxid als Rohstoff nutzbar zu machen. Durch katalytische Reduktionsreaktionen kann Kohlenstoff in nützlichen Verbindungen wie Kohlenstoffmonoxid oder Ameisensäure fixiert werden. Der Beitrag bietet ein praxisnahes Experiment, das dieses aktuelle Forschungsthema in den Chemieunterricht integriert und den Schüler:innen die Relevanz und Möglichkeiten der CO2-Nutzung aufzeigt.
Wir hoffen, dass diese Ausgabe Ihnen wertvolle Anregungen und Ideen für Ihren Unterricht bietet und Sie inspiriert, aktuelle Forschungsergebnisse in Ihre Lehre zu integrieren.
Timm Wilke, Jahrgang 1988, promovierte 2017 an der Universität Göttingen mit Gastaufenthalten am Florida Institute of Technology und am IPN in Kiel. Nach Stationen an den Universitäten Braunschweig, Graz, Jena und paralleler Unterrichtstätigkeit hat er seit 2023 eine Niedersachsen-Profil-Professur für Didaktik der Chemie an der Universität Oldenburg inne. Die fachdidaktische Erschließung aktueller Themenfelder für Schule und Schülerlabor ist ein Schwerpunkt seiner Forschung.