{"title":"福柯在伊朗","authors":"Georg Stauth","doi":"10.14361/9783839400470-003","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Es ist an sich erstaunlich, daß Foucault die während des Iran-Projekts gesammelten Erfahrungen und die in seinen »Reportagen« entwickelten Vorstellungen über Islam, Revolution in »geistloser« (sprich religionsbeladener) Zeit und in einem peripheren Land in seinem wissenschaftlichen Œuvre nicht weiter verfolgt und nicht weiter verarbeitet hat. Man darf dennoch annehmen, daß die vor allem im »Corriere della Sera« und im »Nouvel Observateur« erschienenen Reportagen über die islamische Revolution im Iran einigen Einfluß auf das Spätwerk Foucaults hatten. Sicherlich beeinflußten sie auch die ersten sozialwissenschaftlichen Interpretationen und Studien zum islamischen Fundamentalismus. Gegenstand des vorliegenden Essays sind die »reportages des idées«, mit denen Foucault die iranischen Ereignisse begleitete. Hier sollen einige Parallelen zu seiner politischen Theorie aufgezeigt werden. Eine Studie der Wirkung, die diese Berichte auf die Soziologie des islamischen Fundamentalismus gehabt haben mögen, kann hier jedoch nicht vorgelegt werden. Es ist behauptet worden, daß man Foucaults »infantilen Linksradikalismus« von seiner politischen Theorie trennen müsse (Walzer 1986). Ich teile diese Meinung nicht. Foucaults Interesse, unmittelbare Rebellion zu verstehen, ist in seiner Machttheorie ebenso präsent wie in seinen Reportagen über den Iran und seinen vielseitigen, oft auch nur pamphletistischen Interventionen in praktische Auflehnung. Im Iran suchte er, die Motive und Werkzeuge der sich als bloße Menschen im Aufstand begegnenden Massen zu untersuchen. Dabei blieb, wie ich zeigen will, seine politische Theorie der eigentliche Fokus des Interesses. Es ist dies der Versuch, als Ganzes zu verstehen, warum Menschen in bestimmten Situationen den Kampf der Unterwerfung vorziehen. Man kann deshalb auch nicht von einem »Irrtum« Foucaults in der Beurteilung der iranischen Ereignisse sprechen, wie manche seiner Freunde ihm vorhielten. Foucault hat einen solchen Irrtum nie zugestanden. 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Man darf dennoch annehmen, daß die vor allem im »Corriere della Sera« und im »Nouvel Observateur« erschienenen Reportagen über die islamische Revolution im Iran einigen Einfluß auf das Spätwerk Foucaults hatten. Sicherlich beeinflußten sie auch die ersten sozialwissenschaftlichen Interpretationen und Studien zum islamischen Fundamentalismus. Gegenstand des vorliegenden Essays sind die »reportages des idées«, mit denen Foucault die iranischen Ereignisse begleitete. Hier sollen einige Parallelen zu seiner politischen Theorie aufgezeigt werden. Eine Studie der Wirkung, die diese Berichte auf die Soziologie des islamischen Fundamentalismus gehabt haben mögen, kann hier jedoch nicht vorgelegt werden. Es ist behauptet worden, daß man Foucaults »infantilen Linksradikalismus« von seiner politischen Theorie trennen müsse (Walzer 1986). Ich teile diese Meinung nicht. Foucaults Interesse, unmittelbare Rebellion zu verstehen, ist in seiner Machttheorie ebenso präsent wie in seinen Reportagen über den Iran und seinen vielseitigen, oft auch nur pamphletistischen Interventionen in praktische Auflehnung. Im Iran suchte er, die Motive und Werkzeuge der sich als bloße Menschen im Aufstand begegnenden Massen zu untersuchen. Dabei blieb, wie ich zeigen will, seine politische Theorie der eigentliche Fokus des Interesses. Es ist dies der Versuch, als Ganzes zu verstehen, warum Menschen in bestimmten Situationen den Kampf der Unterwerfung vorziehen. Man kann deshalb auch nicht von einem »Irrtum« Foucaults in der Beurteilung der iranischen Ereignisse sprechen, wie manche seiner Freunde ihm vorhielten. Foucault hat einen solchen Irrtum nie zugestanden. 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Es ist an sich erstaunlich, daß Foucault die während des Iran-Projekts gesammelten Erfahrungen und die in seinen »Reportagen« entwickelten Vorstellungen über Islam, Revolution in »geistloser« (sprich religionsbeladener) Zeit und in einem peripheren Land in seinem wissenschaftlichen Œuvre nicht weiter verfolgt und nicht weiter verarbeitet hat. Man darf dennoch annehmen, daß die vor allem im »Corriere della Sera« und im »Nouvel Observateur« erschienenen Reportagen über die islamische Revolution im Iran einigen Einfluß auf das Spätwerk Foucaults hatten. Sicherlich beeinflußten sie auch die ersten sozialwissenschaftlichen Interpretationen und Studien zum islamischen Fundamentalismus. Gegenstand des vorliegenden Essays sind die »reportages des idées«, mit denen Foucault die iranischen Ereignisse begleitete. Hier sollen einige Parallelen zu seiner politischen Theorie aufgezeigt werden. Eine Studie der Wirkung, die diese Berichte auf die Soziologie des islamischen Fundamentalismus gehabt haben mögen, kann hier jedoch nicht vorgelegt werden. Es ist behauptet worden, daß man Foucaults »infantilen Linksradikalismus« von seiner politischen Theorie trennen müsse (Walzer 1986). Ich teile diese Meinung nicht. Foucaults Interesse, unmittelbare Rebellion zu verstehen, ist in seiner Machttheorie ebenso präsent wie in seinen Reportagen über den Iran und seinen vielseitigen, oft auch nur pamphletistischen Interventionen in praktische Auflehnung. Im Iran suchte er, die Motive und Werkzeuge der sich als bloße Menschen im Aufstand begegnenden Massen zu untersuchen. Dabei blieb, wie ich zeigen will, seine politische Theorie der eigentliche Fokus des Interesses. Es ist dies der Versuch, als Ganzes zu verstehen, warum Menschen in bestimmten Situationen den Kampf der Unterwerfung vorziehen. Man kann deshalb auch nicht von einem »Irrtum« Foucaults in der Beurteilung der iranischen Ereignisse sprechen, wie manche seiner Freunde ihm vorhielten. Foucault hat einen solchen Irrtum nie zugestanden. Und die Pariser Kollegen, die ihn gerne zu einem solchen Zugeständnis bewegt hätten, haben die unterliegende theoretische Ab-