Pedro Dolabela Chagas, Guimarães Rosas, kanonischer Roman Grande
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Aber ist dies tatsächlich der Fall? Er entdeckt nicht sein sexuelles Interesse an Männern generell, sondern nur an einem einzigen Mann. Und biologisch gesehen ist dieser Mann eine Frau, die Riobaldo gerade durch ihre stereotypisch femininen Züge attraktiv erscheint: ihre sanfte Haut, der zarte Geruch, ihre Eleganz – die Art und Weise, wie sie die Wäsche wäscht. An sich sind die Attribute von Maskulinität und Femininität konventionell: Die Verhaltensweisen, Züge und die Erscheinung von Diadorim sind weiblich; sein Mut ist männlich. Die Attribute bewahren traditionelle Modi von Gegensätzen zwischen den Gendern; was diesen Kontrast destabilisiert, ist der Gebrauch der Attribute: Der Mann kann weiblich sein, wenn er Angst verspürt, die Frau kann männlich sein, wenn sie Mut zeigt. «A» unterscheidet sich ontologisch weiterhin von «B», es ist aber nicht möglich, zu sagen, dass «A» ausschließlich in «C» vorkommt und «B» nur in «D», denn «A» und «B» können analog in «C» und «D» vorkommen. Das ist, was wir in Riobaldo und Diadorim sehen – jedoch ausschließlich in Riobaldo und Diadorim. Denn die Destabilisierung der Herrschaft der Attribute Maskulinität und Femininität ist genau bestimmt: Die übrigen Charaktere sind Männer und Frauen. Eine erstaunliche Thematisierung der Homoerotik also, die das Thema offensichtlich anspricht, seine Wirkung jedoch abschwächt. Wir befinden uns im Jahre 1956. Nur wenige Jahre zuvor war Mário Donato wegen der Erotik in Presença de Anita aus der katholischen Kirche exkommuniziert worden: Wie wäre eine Thematisierung der Homoerotik aufgenommen worden, in der ein Jagunço sich in einen Mann mit eindeutig männlichen Charakterzügen verliebt und auf diese Weise sein generelles sexuelles Interesse für Männer entdeckt hätte? 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Notizen für eine komplexe Beschreibung von Grande sertão: veredas
Guimarães Rosas kanonischer Roman Grande sertão: veredas gehört zur brasilianischen Tradition. Autor undWerk schreiben sich in die Geschichte dieses Landes ein und doch verbirgt sich hinter dem Anschein des Traditionellen das Neue und Unerwartete, das neue Möglichkeiten in der Konservierung und Tradierung des Vergangenen eröffnet. Der vorliegende Aufsatz möchte diese Möglichkeiten ausloten und anhand ausgewählter Textpassagen diskutieren. Ich beginne bei den Hauptpersonen. Riobaldos Leidenschaft für Diadorim wird direkt am Anfang der Erzählung dargestellt. Diadorim erscheint ihm als Mann. Aber wie homoerotisch ist Grande sertão: veredas? Mancher sieht in Riobaldos Entdeckung und fortschreitender Akzeptanz seiner Begierde nach Diadorim seine konfliktreiche Selbstentdeckung als Homosexueller. Aber ist dies tatsächlich der Fall? Er entdeckt nicht sein sexuelles Interesse an Männern generell, sondern nur an einem einzigen Mann. Und biologisch gesehen ist dieser Mann eine Frau, die Riobaldo gerade durch ihre stereotypisch femininen Züge attraktiv erscheint: ihre sanfte Haut, der zarte Geruch, ihre Eleganz – die Art und Weise, wie sie die Wäsche wäscht. An sich sind die Attribute von Maskulinität und Femininität konventionell: Die Verhaltensweisen, Züge und die Erscheinung von Diadorim sind weiblich; sein Mut ist männlich. Die Attribute bewahren traditionelle Modi von Gegensätzen zwischen den Gendern; was diesen Kontrast destabilisiert, ist der Gebrauch der Attribute: Der Mann kann weiblich sein, wenn er Angst verspürt, die Frau kann männlich sein, wenn sie Mut zeigt. «A» unterscheidet sich ontologisch weiterhin von «B», es ist aber nicht möglich, zu sagen, dass «A» ausschließlich in «C» vorkommt und «B» nur in «D», denn «A» und «B» können analog in «C» und «D» vorkommen. Das ist, was wir in Riobaldo und Diadorim sehen – jedoch ausschließlich in Riobaldo und Diadorim. Denn die Destabilisierung der Herrschaft der Attribute Maskulinität und Femininität ist genau bestimmt: Die übrigen Charaktere sind Männer und Frauen. Eine erstaunliche Thematisierung der Homoerotik also, die das Thema offensichtlich anspricht, seine Wirkung jedoch abschwächt. Wir befinden uns im Jahre 1956. Nur wenige Jahre zuvor war Mário Donato wegen der Erotik in Presença de Anita aus der katholischen Kirche exkommuniziert worden: Wie wäre eine Thematisierung der Homoerotik aufgenommen worden, in der ein Jagunço sich in einen Mann mit eindeutig männlichen Charakterzügen verliebt und auf diese Weise sein generelles sexuelles Interesse für Männer entdeckt hätte? Ich kann mir nur