{"title":"现代民主制度所造成的危险","authors":"Gerrit Tiefenthal","doi":"10.5771/9783748910688-117","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Dieser Essay vertritt die These, dass weder der Ausbruch der COVID-19Pandemie noch die Krisenreaktionen westlicher Demokratien auf diese überraschen. Damit ist keinesfalls behauptet, dass es sich um eine invenzione di un’epidemia handelt, wie Giorgio Agamben es im Februar vermutete, war diese doch vielmehr erwartbar als erfunden (vgl. Agamben 2020). Auch wenn die Verbreitungswege und das Ausmaß nicht im Konkreten absehbar waren, war spätestens seit den Epidemien SARS, MERS und der weitaus tödlicheren ‚Schweinegrippe‘ (H1N1) ein Bewusstsein bezüglich der Gefahren viraler Pandemien – besonders in Form von Zoonosen – vorhanden (vgl. Mölling 2020: 17). In diesem Wissen veröffentlichte die WHO 2016 erstmals eine Liste von Erregern, von welchen die vermutlich größten epibzw. pandemischen Gefahrenpotentiale für die nächsten Jahrzehnte ausgehen werden. Neben bekannten Krankheiten findet sich dort ein ‚Disease X‘ genannter Platzhalter. Dieser sollte dabei helfen, sich auf eben solche Pandemien vorzubereiten, deren genaue Parameter nicht vorauszusagen sind: „Disease X represents the knowledge that a serious international epidemic could be caused by a pathogen currently unknown to cause human disease“ (WHO 2020). Das mutierte SARS-Virus CoV-2 wurde nach seinem Ausbruch als erster Erreger klassifiziert, der diesen Kriterien einer Disease X entsprach und somit zum ersten Testfall dieses Konzeptes, basierend auf dem Wissen um ein unknown known, Präventionsmaßnahmen einzuleiten. Dass dies offensichtlich nicht in genügendem Maße geschehen ist, lässt sich nicht nur auf die vermeintliche Abstraktheit einer solchen Gefahrenlage zurückführen, vielmehr wurden entsprechende Vorkehrungsmaßnahmen durch gewisse – also auf vermeintlichen Gewissheiten beruhende – Grundannahmen westlicher Demokratien behindert. Wenn hier von ‚westlichen Demokratien‘ die Rede ist, dann sind damit die real existierenden I.","PeriodicalId":316035,"journal":{"name":"Kritik in der Krise","volume":"55 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-11-23","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"Disease X und die gefährlichen Gewissheiten moderner Demokratien\",\"authors\":\"Gerrit Tiefenthal\",\"doi\":\"10.5771/9783748910688-117\",\"DOIUrl\":null,\"url\":null,\"abstract\":\"Dieser Essay vertritt die These, dass weder der Ausbruch der COVID-19Pandemie noch die Krisenreaktionen westlicher Demokratien auf diese überraschen. Damit ist keinesfalls behauptet, dass es sich um eine invenzione di un’epidemia handelt, wie Giorgio Agamben es im Februar vermutete, war diese doch vielmehr erwartbar als erfunden (vgl. Agamben 2020). Auch wenn die Verbreitungswege und das Ausmaß nicht im Konkreten absehbar waren, war spätestens seit den Epidemien SARS, MERS und der weitaus tödlicheren ‚Schweinegrippe‘ (H1N1) ein Bewusstsein bezüglich der Gefahren viraler Pandemien – besonders in Form von Zoonosen – vorhanden (vgl. Mölling 2020: 17). In diesem Wissen veröffentlichte die WHO 2016 erstmals eine Liste von Erregern, von welchen die vermutlich größten epibzw. pandemischen Gefahrenpotentiale für die nächsten Jahrzehnte ausgehen werden. Neben bekannten Krankheiten findet sich dort ein ‚Disease X‘ genannter Platzhalter. Dieser sollte dabei helfen, sich auf eben solche Pandemien vorzubereiten, deren genaue Parameter nicht vorauszusagen sind: „Disease X represents the knowledge that a serious international epidemic could be caused by a pathogen currently unknown to cause human disease“ (WHO 2020). Das mutierte SARS-Virus CoV-2 wurde nach seinem Ausbruch als erster Erreger klassifiziert, der diesen Kriterien einer Disease X entsprach und somit zum ersten Testfall dieses Konzeptes, basierend auf dem Wissen um ein unknown known, Präventionsmaßnahmen einzuleiten. Dass dies offensichtlich nicht in genügendem Maße geschehen ist, lässt sich nicht nur auf die vermeintliche Abstraktheit einer solchen Gefahrenlage zurückführen, vielmehr wurden entsprechende Vorkehrungsmaßnahmen durch gewisse – also auf vermeintlichen Gewissheiten beruhende – Grundannahmen westlicher Demokratien behindert. Wenn hier von ‚westlichen Demokratien‘ die Rede ist, dann sind damit die real existierenden I.\",\"PeriodicalId\":316035,\"journal\":{\"name\":\"Kritik in der Krise\",\"volume\":\"55 1\",\"pages\":\"0\"},\"PeriodicalIF\":0.0000,\"publicationDate\":\"2020-11-23\",\"publicationTypes\":\"Journal Article\",\"fieldsOfStudy\":null,\"isOpenAccess\":false,\"openAccessPdf\":\"\",\"citationCount\":\"0\",\"resultStr\":null,\"platform\":\"Semanticscholar\",\"paperid\":null,\"PeriodicalName\":\"Kritik in der Krise\",\"FirstCategoryId\":\"1085\",\"ListUrlMain\":\"https://doi.org/10.5771/9783748910688-117\",\"RegionNum\":0,\"RegionCategory\":null,\"ArticlePicture\":[],\"TitleCN\":null,\"AbstractTextCN\":null,\"PMCID\":null,\"EPubDate\":\"\",\"PubModel\":\"\",\"JCR\":\"\",\"JCRName\":\"\",\"Score\":null,\"Total\":0}","platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Kritik in der Krise","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/9783748910688-117","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
Disease X und die gefährlichen Gewissheiten moderner Demokratien
Dieser Essay vertritt die These, dass weder der Ausbruch der COVID-19Pandemie noch die Krisenreaktionen westlicher Demokratien auf diese überraschen. Damit ist keinesfalls behauptet, dass es sich um eine invenzione di un’epidemia handelt, wie Giorgio Agamben es im Februar vermutete, war diese doch vielmehr erwartbar als erfunden (vgl. Agamben 2020). Auch wenn die Verbreitungswege und das Ausmaß nicht im Konkreten absehbar waren, war spätestens seit den Epidemien SARS, MERS und der weitaus tödlicheren ‚Schweinegrippe‘ (H1N1) ein Bewusstsein bezüglich der Gefahren viraler Pandemien – besonders in Form von Zoonosen – vorhanden (vgl. Mölling 2020: 17). In diesem Wissen veröffentlichte die WHO 2016 erstmals eine Liste von Erregern, von welchen die vermutlich größten epibzw. pandemischen Gefahrenpotentiale für die nächsten Jahrzehnte ausgehen werden. Neben bekannten Krankheiten findet sich dort ein ‚Disease X‘ genannter Platzhalter. Dieser sollte dabei helfen, sich auf eben solche Pandemien vorzubereiten, deren genaue Parameter nicht vorauszusagen sind: „Disease X represents the knowledge that a serious international epidemic could be caused by a pathogen currently unknown to cause human disease“ (WHO 2020). Das mutierte SARS-Virus CoV-2 wurde nach seinem Ausbruch als erster Erreger klassifiziert, der diesen Kriterien einer Disease X entsprach und somit zum ersten Testfall dieses Konzeptes, basierend auf dem Wissen um ein unknown known, Präventionsmaßnahmen einzuleiten. Dass dies offensichtlich nicht in genügendem Maße geschehen ist, lässt sich nicht nur auf die vermeintliche Abstraktheit einer solchen Gefahrenlage zurückführen, vielmehr wurden entsprechende Vorkehrungsmaßnahmen durch gewisse – also auf vermeintlichen Gewissheiten beruhende – Grundannahmen westlicher Demokratien behindert. Wenn hier von ‚westlichen Demokratien‘ die Rede ist, dann sind damit die real existierenden I.