Michaela Köttig, E. Lehnert, Heike Radvan, S. Winter
{"title":"主题刊:社会福利研究。也有关于如何发展这一方面的理论","authors":"Michaela Köttig, E. Lehnert, Heike Radvan, S. Winter","doi":"10.3224/zrex.v2i2.01","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Die Rechtsextremismusforschung, die im Kontext Sozialer Arbeit stattgefunden hat, war jahrzehntelang fast ausschließlich eine Forschung über extrem rechts orientierte Jugendliche und die pädagogischen Möglichkeiten, sie von ihrem eingeschlagenen Pfad wieder abzubringen. Die Prävention durch Soziale Arbeit wurde und wird in der Öffentlichkeit – neben der Repression durch Polizei und Verfassungsschutz – oftmals als DER entscheidende Faktor zur Eindämmung und Verhinderung extrem rechter Entwicklungen und Mobilisierungen gesehen. Dieser Zugang ist fraglich geworden: einerseits vor dem Hintergrund des in den letzten Jahren in der deutschen Transformationsgesellschaft reüssierenden gesellschaftlichen Rechtsrucks und den Herausforderungen, die sich durch die weit über die extreme Rechte hinausreichende (und auch die Akteur*innen Sozialer Arbeit selbst nicht auslassende) Verfestigung von Ideologien der Ungleichwertigkeit ergeben; andererseits durch die Kritik an einer Pädagogisierung und Entpolitisierung des Rechtsextremismus im Zuge der Kontroverse um das Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit und dessen Umsetzung im Rahmen des ersten Bundesprogramms AgAG Anfang der 1990er Jahre (vgl. exemplarisch für den Debattenbeginn Scherr 1993; Krafeld 1993). Nach der Aufdeckung der Anfänge des späteren NSU in einem Jenaer Jugendzentrum ist die Skepsis noch einmal gewachsen. Um Potenziale, Grenzen und Gefahren von Sozialer Arbeit/Pädagogik im Bereich der Prävention von Rechtsextremismus zu eruieren, braucht es nach wie vor eine feldspezifische Sozialarbeitsforschung. Aktuell ist eine Öffnung und thematische Verbreiterung dieser Forschungslandschaft zu verzeichnen, die insbesondere selbstreflexiver und -kritischer geworden ist. Eine Debatte, in der fokussiert die eigene Profession und Disziplin betrachtet werden, begann erst vor wenigen Jahren, zunächst mit Bezug auf die Hochschulen. So warfen Albert Scherr und Renate Bitzan 2007 die Frage auf, welche Erfahrungen es mit Studierenden Sozialer Arbeit gibt, die sich rechtsextrem orientieren. Sie fragten, welche Strategien im Umgang damit bestehen und problematisierten, dass über die Existenz extrem rechter Studierender in der Sozialen Arbeit geschwiegen wird, obwohl es diese in einem „begrenzten aber relevanten Ausmaß“ (Scherr/Bitzan 2007: 9) gibt. Die Debatte, in der es auch Anwürfe gegen die Autor*innen gab, endete vergleichsweise schnell. Knapp zehn Jahre später diskutierten Esther Lehnert und Heike Radvan (2016: 59–120) Beispiele, die zeigen, dass extrem rechts eingestellte Personen Soziale Arbeit studieren und in der Praxis tätig sind, obwohl ihre Einstellungen und Ziele den professionsethischen Grundsätzen diametral entgegenstehen. Seit 2018 ist eine vertiefende und vermutlich nachhaltigere Hinwendung zu dieser Debatte in Disziplin und Profession zu beobachten. Dabei profitiert der Fachdiskurs auch von Analysen aus der ursprünglich zivilgesellschaftlich verorteten, im weiteren Verlauf professionalisierten Beratungspraxis gegen Rechtsextremismus: So wird die begriffliche Unterscheidung zwischen extrem rechts orientierten und organisierten Adressat*innen – ursprünglich vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Berlin (VDK/MBR 2006: 80–87) hinsichtlich der pädagogischen Erreichbarkeit in jugendpädagogischen Gruppenkontexten","PeriodicalId":194986,"journal":{"name":"ZRex – Zeitschrift für Rechtsextremismusforschung","volume":"59 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2022-10-20","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"Editorial zum Themenschwerpunktheft: Sozialarbeitsforschung. 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Editorial zum Themenschwerpunktheft: Sozialarbeitsforschung. Zur Weiterentwicklung der Disziplin Soziale Arbeit durch Einbezug von Perspektiven der Rechtsextremismusforschung
Die Rechtsextremismusforschung, die im Kontext Sozialer Arbeit stattgefunden hat, war jahrzehntelang fast ausschließlich eine Forschung über extrem rechts orientierte Jugendliche und die pädagogischen Möglichkeiten, sie von ihrem eingeschlagenen Pfad wieder abzubringen. Die Prävention durch Soziale Arbeit wurde und wird in der Öffentlichkeit – neben der Repression durch Polizei und Verfassungsschutz – oftmals als DER entscheidende Faktor zur Eindämmung und Verhinderung extrem rechter Entwicklungen und Mobilisierungen gesehen. Dieser Zugang ist fraglich geworden: einerseits vor dem Hintergrund des in den letzten Jahren in der deutschen Transformationsgesellschaft reüssierenden gesellschaftlichen Rechtsrucks und den Herausforderungen, die sich durch die weit über die extreme Rechte hinausreichende (und auch die Akteur*innen Sozialer Arbeit selbst nicht auslassende) Verfestigung von Ideologien der Ungleichwertigkeit ergeben; andererseits durch die Kritik an einer Pädagogisierung und Entpolitisierung des Rechtsextremismus im Zuge der Kontroverse um das Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit und dessen Umsetzung im Rahmen des ersten Bundesprogramms AgAG Anfang der 1990er Jahre (vgl. exemplarisch für den Debattenbeginn Scherr 1993; Krafeld 1993). Nach der Aufdeckung der Anfänge des späteren NSU in einem Jenaer Jugendzentrum ist die Skepsis noch einmal gewachsen. Um Potenziale, Grenzen und Gefahren von Sozialer Arbeit/Pädagogik im Bereich der Prävention von Rechtsextremismus zu eruieren, braucht es nach wie vor eine feldspezifische Sozialarbeitsforschung. Aktuell ist eine Öffnung und thematische Verbreiterung dieser Forschungslandschaft zu verzeichnen, die insbesondere selbstreflexiver und -kritischer geworden ist. Eine Debatte, in der fokussiert die eigene Profession und Disziplin betrachtet werden, begann erst vor wenigen Jahren, zunächst mit Bezug auf die Hochschulen. So warfen Albert Scherr und Renate Bitzan 2007 die Frage auf, welche Erfahrungen es mit Studierenden Sozialer Arbeit gibt, die sich rechtsextrem orientieren. Sie fragten, welche Strategien im Umgang damit bestehen und problematisierten, dass über die Existenz extrem rechter Studierender in der Sozialen Arbeit geschwiegen wird, obwohl es diese in einem „begrenzten aber relevanten Ausmaß“ (Scherr/Bitzan 2007: 9) gibt. Die Debatte, in der es auch Anwürfe gegen die Autor*innen gab, endete vergleichsweise schnell. Knapp zehn Jahre später diskutierten Esther Lehnert und Heike Radvan (2016: 59–120) Beispiele, die zeigen, dass extrem rechts eingestellte Personen Soziale Arbeit studieren und in der Praxis tätig sind, obwohl ihre Einstellungen und Ziele den professionsethischen Grundsätzen diametral entgegenstehen. Seit 2018 ist eine vertiefende und vermutlich nachhaltigere Hinwendung zu dieser Debatte in Disziplin und Profession zu beobachten. Dabei profitiert der Fachdiskurs auch von Analysen aus der ursprünglich zivilgesellschaftlich verorteten, im weiteren Verlauf professionalisierten Beratungspraxis gegen Rechtsextremismus: So wird die begriffliche Unterscheidung zwischen extrem rechts orientierten und organisierten Adressat*innen – ursprünglich vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Berlin (VDK/MBR 2006: 80–87) hinsichtlich der pädagogischen Erreichbarkeit in jugendpädagogischen Gruppenkontexten