{"title":"事实、捏造的新闻和查证:谁来核对事实呢?","authors":"R. Blum","doi":"10.5771/9783748905158-251","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"In einer Zeit, in der die Medien mit dem Vorwurf der „Lügenpresse“ konfrontiert sind, gilt nicht mehr als selbstverständlich, dass Journalistinnen und Journalisten nach der Wahrheit suchen. Die Öffentlichkeit hat aber Anspruch, die Wahrheit zu erfahren. Deshalb haben Faktenchecker an Bedeutung gewonnen, sowohl in den USA wie neuerdings auch in Europa. Dieser Beitrag untersucht die Seriosität und Unparteilichkeit von Faktenchecks am Beispiel zweier solcher Einrichtungen in der Schweiz. Ausgangspunkt war ein Urteil der Rundfunk-Beschwerdeinstanz, die einen Faktencheck massiv rügte. Aus der Analyse von 14 Faktenchecks der Zeitung „Tages-Anzeiger“ und der SRG-Online-Plattform „swissinfo“ geht hervor, dass die Quellen in der Regel transparent sind, aber die Auswahl der Aussagen nicht begründet wird und dabei teilweise ein Bias vermutet werden kann. Daher stellt sich die Frage, wer die Faktenchecker checkt. Die nicht ganz befriedigende Antwort lautet: Selbstregulierung sowie die Möglichkeit von Publikumsbeschwerden. Theoretischer Zugriff Als im Spätherbst 2018 der mehrfach preisgekrönte „Spiegel“-Journalist Claas Relotius der wiederholten Fälschung überführt wurde, war dies der größte Glaubwürdigkeitsdefekt des Journalismus seit den gefälschten Hitler-Tagebüchern, die der „stern“ 1983 publiziert hatte (Seufert 2008). Dass ein Journalist noch und noch mit unwahren Recherchen brillieren konnte, war ein Beispiel für das Versagen des journalistischen Binnen-Faktencheckings. Ausgerechnet der „Spiegel“, der sich stets mit seinem Archiv und mit seiner pingeligen Fakten-Überprüfung brüstete, musste eingestehen, dass man dem Nachrichtenmagazin problemlos erfundene Geschichten unterjubeln konnte („Der Spiegel“ 2019; Moreno 2019). Die Branche bestätigte damit unfreiwillig den Vorwurf der „Lügenpresse“. Dabei ist es gerade die ureigene Aufgabe des Journalismus, nach der Wahrheit zu suchen. Dies halten auch die verschiedenen berufsethischen Kodizes fest. So sagt der deutsche Pressekodex in Ziffer 1: „Die Achtung vor 1. 251 https://doi.org/10.5771/9783748905158-251 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 11.12.2020, 10:03:33. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“1 Im österreichischen Ehrenkodex steht: „Der österreichische Presserat ist Plattform für alle, die sich zu einem der Wahrheitsfindung und Korrektheit verpflichteten Gebrauch der Pressefreiheit bekennen (...).“2 Und in der Schweizer „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ heißt es in Ziffer 1: „Sie (die Journalistinnen und Journalisten) halten sich an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus ergebenden Folgen und lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren.“3 Damit schließen die Journalistenkodizes an die philosophischen Wahrheitstheorien an, die die Wahrheit abgrenzen von Überzeugungen und Behauptungen. „Wahrheit und die Vermeidung von Irrtum sind Grundziele unserer Erkenntnisbemühungen.“ (Grundmann 2018: 14). Deshalb sei die Klärung des Begriffs und der Natur der Wahrheit die unverzichtbare Voraussetzung für die normative Erkenntnistheorie. Seit Aristoteles haben sich die Philosophen mit dem Wahrheitsbegriff auseinandergesetzt. Wahrheit, ein absoluter Begriff, müsse intersubjektiv zugänglich und mitteilbar sein, sagt Grundmann (Grundmann 2018: 17). Und genau hier setzt die Rolle der Medien ein: Sie haben die Aufgabe, Wahrheiten zu vermitteln. Fake News und Faktenchecks Was heute als Fake News bezeichnet wird, gab es schon immer. Nicht nur im Krieg betrieben politische und ökonomische Akteure Desinformation. Fürsten hatten ihre Chronisten, die durch Weglassen und Hochstilisieren die je eigene Wahrheit für ihren Herrn kreierten. Die Kirche bog Wahrheiten zurecht, Handelsgesellschaften, Firmen, Lobbies oder Gewerkschaften logen. In den großen ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Liberalismus und Konservativismus und zwischen Kommunismus, Faschismus und Kapitalismus behauptete jeweils jede Seite, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Medien spielten das Spiel mit. In neuster Zeit sind „alternative“ Medien auf den Plan getreten, die „alternative Fakten“ verbreiten. Teils handelt es sich um PR für bestimmte Interessen, teils um Verschwörungstheorien, teils um rechtspopulistische Positionen. Gemeinsam ist diesen „alternativen“ Medien, dass sie Fundamen2. 1 https://www.presserat.de/pressekodex.html 2 https://www.presserat.at/show_content.php?hid=2 3 https://presserat.ch/journalistenkodex/erklaerung/ Roger Blum 252 https://doi.org/10.5771/9783748905158-251 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 11.12.2020, 10:03:33. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. talkritik an den „Mainstream-Medien“ üben, die sie als „Lückenpresse“, „Lügenpresse“ oder gar als „Feinde des Volkes“ bezeichnen. Dies bewirkte, dass die Glaubwürdigkeit der traditionellen Medien Schaden nahm (Thoden 2015; Haupt 2016; Teusch 2016; Wernicke 2017). Gleichzeitig kursieren tatsächlich viele Falschmeldungen, Fake News und Lügen, bedingt auch durch die viel größere Zahl an Medienbühnen, die journalistisch nicht ausreichend geprüft sind, nämlich Talkshows, und bedingt durch die Social Media. Dies macht Faktenprüfungen nötiger denn je. Zu unterscheiden ist dabei zwischen neuen und alten Faktenchecks: • Der klassische Faktencheck besteht aus der traditionellen binnenjournalistischen Prüfung der Beiträge durch Gegenlesen, Sendungsabnahme, Abgleich dank Dossier-Kenntnissen oder Archivmaterial. Schon immer galt das Vieroder Sechs-Augen-Prinzip als wichtige Maßnahme der Qualitätssicherung vor der Publikation oder Ausstrahlung eines journalistischen Werkstücks. • Der neue, zusätzliche Faktencheck gilt der Prüfung von durch Medien vermittelten Fremdaussagen, die Politiker, Wirtschaftsführer, Kirchenobere, Kulturveranstalter, Sportfunktionäre, Truppenführer und andere Personen der Zeitgeschichte an Medienkonferenzen, in traditionellen Medien, in Social Media oder auf ihren Schauplätzen gemacht haben. Diese neue Art des Faktenchecks ist ein Phänomen der letzten 25 Jahre. Die Funktion übernahmen Akteure sowohl außerhalb als auch innerhalb der traditionellen Medien. In den USA haben sich Stiftungen und Institute der Aufgabe angenommen, aber auch die „Washington Post“ hat eine entsprechende Stelle eingerichtet. Die meisten Faktenchecker überprüfen Aussagen von Politikern, die diese an Medienkonferenzen, in Reden oder in Tweets gemacht haben (Schlup 2018). Die nachfolgende Tabelle listet einige Beispiele auf: Fakten, Fake News und Wahrheitssuche: Wer checkt die Faktenchecker? 253 https://doi.org/10.5771/9783748905158-251 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 11.12.2020, 10:03:33. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Tab. 1: Fact checking in den USA Akteure Träger Themen Snopes (1994) https://www.snopes.com Snopes Media Group, James Randi Educational Foundation, Virginia Gesellschaftliche Themen Factcheck (2003) https://www.factcheck.org/ Annenberg Public Policy Center, Pennsylvania Politiker-Aussagen Politifact (2007) https://www.politfact.com Poynter Institute, Florida Politiker-Aussagen Washington Post (2007) https://www.washingtonpost .com/news/fact-checker/?nor edirect=on&utm_term=30de 92962599 Washington Post, Washington Politiker-Aussagen Die amerikanischen Vorbilder haben Nachahmer auch in Europa gefunden. In Deutschland prüft beispielsweise das Faktenfinder-Team der ARD„Tagesschau“ die Hintergründe zum Aktuellen.4 Die Talksendung „Hart aber fair“ prüft Aussagen in der eigenen Sendung5, ebenso „Maischberger“6. Das Medienbüro „correctiv“ betreibt Faktenchecks in Zusammenarbeit mit Facebook.7 In Österreich ist der Faktencheck der ORF-Sendung „Zeit im Bild 2“ sehr bekannt.8 In der Schweiz führen der „Tages-Anzeiger“9 und die SRG-Auslandplattform „swissinfo“10 Faktenchecks durch.","PeriodicalId":431613,"journal":{"name":"Kommunikations- und Medienethik reloaded?","volume":"26 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"Fakten, Fake News und Wahrheitssuche: Wer checkt die Faktenchecker?\",\"authors\":\"R. 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Daher stellt sich die Frage, wer die Faktenchecker checkt. Die nicht ganz befriedigende Antwort lautet: Selbstregulierung sowie die Möglichkeit von Publikumsbeschwerden. Theoretischer Zugriff Als im Spätherbst 2018 der mehrfach preisgekrönte „Spiegel“-Journalist Claas Relotius der wiederholten Fälschung überführt wurde, war dies der größte Glaubwürdigkeitsdefekt des Journalismus seit den gefälschten Hitler-Tagebüchern, die der „stern“ 1983 publiziert hatte (Seufert 2008). Dass ein Journalist noch und noch mit unwahren Recherchen brillieren konnte, war ein Beispiel für das Versagen des journalistischen Binnen-Faktencheckings. Ausgerechnet der „Spiegel“, der sich stets mit seinem Archiv und mit seiner pingeligen Fakten-Überprüfung brüstete, musste eingestehen, dass man dem Nachrichtenmagazin problemlos erfundene Geschichten unterjubeln konnte („Der Spiegel“ 2019; Moreno 2019). Die Branche bestätigte damit unfreiwillig den Vorwurf der „Lügenpresse“. Dabei ist es gerade die ureigene Aufgabe des Journalismus, nach der Wahrheit zu suchen. Dies halten auch die verschiedenen berufsethischen Kodizes fest. So sagt der deutsche Pressekodex in Ziffer 1: „Die Achtung vor 1. 251 https://doi.org/10.5771/9783748905158-251 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 11.12.2020, 10:03:33. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“1 Im österreichischen Ehrenkodex steht: „Der österreichische Presserat ist Plattform für alle, die sich zu einem der Wahrheitsfindung und Korrektheit verpflichteten Gebrauch der Pressefreiheit bekennen (...).“2 Und in der Schweizer „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ heißt es in Ziffer 1: „Sie (die Journalistinnen und Journalisten) halten sich an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus ergebenden Folgen und lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren.“3 Damit schließen die Journalistenkodizes an die philosophischen Wahrheitstheorien an, die die Wahrheit abgrenzen von Überzeugungen und Behauptungen. „Wahrheit und die Vermeidung von Irrtum sind Grundziele unserer Erkenntnisbemühungen.“ (Grundmann 2018: 14). Deshalb sei die Klärung des Begriffs und der Natur der Wahrheit die unverzichtbare Voraussetzung für die normative Erkenntnistheorie. Seit Aristoteles haben sich die Philosophen mit dem Wahrheitsbegriff auseinandergesetzt. Wahrheit, ein absoluter Begriff, müsse intersubjektiv zugänglich und mitteilbar sein, sagt Grundmann (Grundmann 2018: 17). Und genau hier setzt die Rolle der Medien ein: Sie haben die Aufgabe, Wahrheiten zu vermitteln. Fake News und Faktenchecks Was heute als Fake News bezeichnet wird, gab es schon immer. Nicht nur im Krieg betrieben politische und ökonomische Akteure Desinformation. Fürsten hatten ihre Chronisten, die durch Weglassen und Hochstilisieren die je eigene Wahrheit für ihren Herrn kreierten. Die Kirche bog Wahrheiten zurecht, Handelsgesellschaften, Firmen, Lobbies oder Gewerkschaften logen. In den großen ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Liberalismus und Konservativismus und zwischen Kommunismus, Faschismus und Kapitalismus behauptete jeweils jede Seite, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Medien spielten das Spiel mit. In neuster Zeit sind „alternative“ Medien auf den Plan getreten, die „alternative Fakten“ verbreiten. Teils handelt es sich um PR für bestimmte Interessen, teils um Verschwörungstheorien, teils um rechtspopulistische Positionen. Gemeinsam ist diesen „alternativen“ Medien, dass sie Fundamen2. 1 https://www.presserat.de/pressekodex.html 2 https://www.presserat.at/show_content.php?hid=2 3 https://presserat.ch/journalistenkodex/erklaerung/ Roger Blum 252 https://doi.org/10.5771/9783748905158-251 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 11.12.2020, 10:03:33. 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Schon immer galt das Vieroder Sechs-Augen-Prinzip als wichtige Maßnahme der Qualitätssicherung vor der Publikation oder Ausstrahlung eines journalistischen Werkstücks. • Der neue, zusätzliche Faktencheck gilt der Prüfung von durch Medien vermittelten Fremdaussagen, die Politiker, Wirtschaftsführer, Kirchenobere, Kulturveranstalter, Sportfunktionäre, Truppenführer und andere Personen der Zeitgeschichte an Medienkonferenzen, in traditionellen Medien, in Social Media oder auf ihren Schauplätzen gemacht haben. Diese neue Art des Faktenchecks ist ein Phänomen der letzten 25 Jahre. Die Funktion übernahmen Akteure sowohl außerhalb als auch innerhalb der traditionellen Medien. In den USA haben sich Stiftungen und Institute der Aufgabe angenommen, aber auch die „Washington Post“ hat eine entsprechende Stelle eingerichtet. Die meisten Faktenchecker überprüfen Aussagen von Politikern, die diese an Medienkonferenzen, in Reden oder in Tweets gemacht haben (Schlup 2018). Die nachfolgende Tabelle listet einige Beispiele auf: Fakten, Fake News und Wahrheitssuche: Wer checkt die Faktenchecker? 253 https://doi.org/10.5771/9783748905158-251 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 11.12.2020, 10:03:33. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Tab. 1: Fact checking in den USA Akteure Träger Themen Snopes (1994) https://www.snopes.com Snopes Media Group, James Randi Educational Foundation, Virginia Gesellschaftliche Themen Factcheck (2003) https://www.factcheck.org/ Annenberg Public Policy Center, Pennsylvania Politiker-Aussagen Politifact (2007) https://www.politfact.com Poynter Institute, Florida Politiker-Aussagen Washington Post (2007) https://www.washingtonpost .com/news/fact-checker/?nor edirect=on&utm_term=30de 92962599 Washington Post, Washington Politiker-Aussagen Die amerikanischen Vorbilder haben Nachahmer auch in Europa gefunden. In Deutschland prüft beispielsweise das Faktenfinder-Team der ARD„Tagesschau“ die Hintergründe zum Aktuellen.4 Die Talksendung „Hart aber fair“ prüft Aussagen in der eigenen Sendung5, ebenso „Maischberger“6. 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Fakten, Fake News und Wahrheitssuche: Wer checkt die Faktenchecker?
In einer Zeit, in der die Medien mit dem Vorwurf der „Lügenpresse“ konfrontiert sind, gilt nicht mehr als selbstverständlich, dass Journalistinnen und Journalisten nach der Wahrheit suchen. Die Öffentlichkeit hat aber Anspruch, die Wahrheit zu erfahren. Deshalb haben Faktenchecker an Bedeutung gewonnen, sowohl in den USA wie neuerdings auch in Europa. Dieser Beitrag untersucht die Seriosität und Unparteilichkeit von Faktenchecks am Beispiel zweier solcher Einrichtungen in der Schweiz. Ausgangspunkt war ein Urteil der Rundfunk-Beschwerdeinstanz, die einen Faktencheck massiv rügte. Aus der Analyse von 14 Faktenchecks der Zeitung „Tages-Anzeiger“ und der SRG-Online-Plattform „swissinfo“ geht hervor, dass die Quellen in der Regel transparent sind, aber die Auswahl der Aussagen nicht begründet wird und dabei teilweise ein Bias vermutet werden kann. Daher stellt sich die Frage, wer die Faktenchecker checkt. Die nicht ganz befriedigende Antwort lautet: Selbstregulierung sowie die Möglichkeit von Publikumsbeschwerden. Theoretischer Zugriff Als im Spätherbst 2018 der mehrfach preisgekrönte „Spiegel“-Journalist Claas Relotius der wiederholten Fälschung überführt wurde, war dies der größte Glaubwürdigkeitsdefekt des Journalismus seit den gefälschten Hitler-Tagebüchern, die der „stern“ 1983 publiziert hatte (Seufert 2008). Dass ein Journalist noch und noch mit unwahren Recherchen brillieren konnte, war ein Beispiel für das Versagen des journalistischen Binnen-Faktencheckings. Ausgerechnet der „Spiegel“, der sich stets mit seinem Archiv und mit seiner pingeligen Fakten-Überprüfung brüstete, musste eingestehen, dass man dem Nachrichtenmagazin problemlos erfundene Geschichten unterjubeln konnte („Der Spiegel“ 2019; Moreno 2019). Die Branche bestätigte damit unfreiwillig den Vorwurf der „Lügenpresse“. Dabei ist es gerade die ureigene Aufgabe des Journalismus, nach der Wahrheit zu suchen. Dies halten auch die verschiedenen berufsethischen Kodizes fest. So sagt der deutsche Pressekodex in Ziffer 1: „Die Achtung vor 1. 251 https://doi.org/10.5771/9783748905158-251 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 11.12.2020, 10:03:33. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“1 Im österreichischen Ehrenkodex steht: „Der österreichische Presserat ist Plattform für alle, die sich zu einem der Wahrheitsfindung und Korrektheit verpflichteten Gebrauch der Pressefreiheit bekennen (...).“2 Und in der Schweizer „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ heißt es in Ziffer 1: „Sie (die Journalistinnen und Journalisten) halten sich an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus ergebenden Folgen und lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren.“3 Damit schließen die Journalistenkodizes an die philosophischen Wahrheitstheorien an, die die Wahrheit abgrenzen von Überzeugungen und Behauptungen. „Wahrheit und die Vermeidung von Irrtum sind Grundziele unserer Erkenntnisbemühungen.“ (Grundmann 2018: 14). Deshalb sei die Klärung des Begriffs und der Natur der Wahrheit die unverzichtbare Voraussetzung für die normative Erkenntnistheorie. Seit Aristoteles haben sich die Philosophen mit dem Wahrheitsbegriff auseinandergesetzt. Wahrheit, ein absoluter Begriff, müsse intersubjektiv zugänglich und mitteilbar sein, sagt Grundmann (Grundmann 2018: 17). Und genau hier setzt die Rolle der Medien ein: Sie haben die Aufgabe, Wahrheiten zu vermitteln. Fake News und Faktenchecks Was heute als Fake News bezeichnet wird, gab es schon immer. Nicht nur im Krieg betrieben politische und ökonomische Akteure Desinformation. Fürsten hatten ihre Chronisten, die durch Weglassen und Hochstilisieren die je eigene Wahrheit für ihren Herrn kreierten. Die Kirche bog Wahrheiten zurecht, Handelsgesellschaften, Firmen, Lobbies oder Gewerkschaften logen. In den großen ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Liberalismus und Konservativismus und zwischen Kommunismus, Faschismus und Kapitalismus behauptete jeweils jede Seite, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Medien spielten das Spiel mit. In neuster Zeit sind „alternative“ Medien auf den Plan getreten, die „alternative Fakten“ verbreiten. Teils handelt es sich um PR für bestimmte Interessen, teils um Verschwörungstheorien, teils um rechtspopulistische Positionen. Gemeinsam ist diesen „alternativen“ Medien, dass sie Fundamen2. 1 https://www.presserat.de/pressekodex.html 2 https://www.presserat.at/show_content.php?hid=2 3 https://presserat.ch/journalistenkodex/erklaerung/ Roger Blum 252 https://doi.org/10.5771/9783748905158-251 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 11.12.2020, 10:03:33. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. talkritik an den „Mainstream-Medien“ üben, die sie als „Lückenpresse“, „Lügenpresse“ oder gar als „Feinde des Volkes“ bezeichnen. Dies bewirkte, dass die Glaubwürdigkeit der traditionellen Medien Schaden nahm (Thoden 2015; Haupt 2016; Teusch 2016; Wernicke 2017). Gleichzeitig kursieren tatsächlich viele Falschmeldungen, Fake News und Lügen, bedingt auch durch die viel größere Zahl an Medienbühnen, die journalistisch nicht ausreichend geprüft sind, nämlich Talkshows, und bedingt durch die Social Media. Dies macht Faktenprüfungen nötiger denn je. Zu unterscheiden ist dabei zwischen neuen und alten Faktenchecks: • Der klassische Faktencheck besteht aus der traditionellen binnenjournalistischen Prüfung der Beiträge durch Gegenlesen, Sendungsabnahme, Abgleich dank Dossier-Kenntnissen oder Archivmaterial. Schon immer galt das Vieroder Sechs-Augen-Prinzip als wichtige Maßnahme der Qualitätssicherung vor der Publikation oder Ausstrahlung eines journalistischen Werkstücks. • Der neue, zusätzliche Faktencheck gilt der Prüfung von durch Medien vermittelten Fremdaussagen, die Politiker, Wirtschaftsführer, Kirchenobere, Kulturveranstalter, Sportfunktionäre, Truppenführer und andere Personen der Zeitgeschichte an Medienkonferenzen, in traditionellen Medien, in Social Media oder auf ihren Schauplätzen gemacht haben. Diese neue Art des Faktenchecks ist ein Phänomen der letzten 25 Jahre. Die Funktion übernahmen Akteure sowohl außerhalb als auch innerhalb der traditionellen Medien. In den USA haben sich Stiftungen und Institute der Aufgabe angenommen, aber auch die „Washington Post“ hat eine entsprechende Stelle eingerichtet. Die meisten Faktenchecker überprüfen Aussagen von Politikern, die diese an Medienkonferenzen, in Reden oder in Tweets gemacht haben (Schlup 2018). Die nachfolgende Tabelle listet einige Beispiele auf: Fakten, Fake News und Wahrheitssuche: Wer checkt die Faktenchecker? 253 https://doi.org/10.5771/9783748905158-251 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 11.12.2020, 10:03:33. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Tab. 1: Fact checking in den USA Akteure Träger Themen Snopes (1994) https://www.snopes.com Snopes Media Group, James Randi Educational Foundation, Virginia Gesellschaftliche Themen Factcheck (2003) https://www.factcheck.org/ Annenberg Public Policy Center, Pennsylvania Politiker-Aussagen Politifact (2007) https://www.politfact.com Poynter Institute, Florida Politiker-Aussagen Washington Post (2007) https://www.washingtonpost .com/news/fact-checker/?nor edirect=on&utm_term=30de 92962599 Washington Post, Washington Politiker-Aussagen Die amerikanischen Vorbilder haben Nachahmer auch in Europa gefunden. 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