{"title":"Jackie Thomae: Brüder. Roman. Hanser Berlin Verlag, München 32019. 430 Seiten.","authors":"M. Rieger","doi":"10.3726/ja521_249","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Gerade wenn es der Wahrheit entsprechen sollte, dass die Bearbeitung eines von der Associated Press verbreiteten Fotos ausschließlich ästhetische Zwecke verfolgte, wäre das Wegretuschieren der ugandischen Klimaaktivistin Vanessa Nakate aus dem Gruppenbild, das sie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos zusammen mit vier weißen Mitkämpferinnen zeigt, ein Paradebeispiel von Alltagsrassismus.1 Dass westliche Medien auf dem afrikanischen Auge häufig blind sind, zeigt auch die ebenfalls von AP nach dem Absturz der Ethiopian Airlines Maschine im März 2019 verbreitete Twittermeldung, in der zwar eine Reihe von nord-amerikanischen, europäischen und asiatischen Nationaltäten aufgezählt werden, die größte betroffene Gruppe aus 32 Kenianerinnen und Kenianern aber keine Erwähnung findet.2 Diese Form der Diskriminierung ist gerade deshalb so gefährlich, weil die ihm zugrunde liegenden rassistischen Denkmuster so tief verwurzelt sind, dass sie unsere Wahrnehmung der Welt ganz unbemerkt beeinflussen. Dies führt dann z.B. dazu, dass in Deutschland geborene und/oder aufgewachsene People of Color, deren Sprache sich bis hin zur dialektalen Färbung in nichts von der ihrer Umgebung unterscheidet, ständig nach ihrer Herkunft gefragt werden, weil sie äußerlich nicht dem Stereotyp eines/einer Biodeutschen entsprechen. Ganz stereotyp verlaufen dagegen die entsprechenden Dialoge wie zahlreiche Betroffene – so, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, die Dichterin und Aktivistin May Ayim, der Kabarettist und Schauspieler Marius Jung und die Publizistin Ferda Ataman – übereinstimmend beschreiben, denn Antworten wie Ich bin aus Deutschland, Castrop-Rauxel oder Gostenhof werden nicht akzeptiert, sondern durch die nachgeschobene Standardfrage nach der eigentlichen Herkunft beiseite gewischt, die dann oft mit der Frage nach der Rückkehr in die vermeintliche Heimat verbunden wird. Mitten aus dem Leben gegriffene Erfahrungen dieser Art macht auch der in Deutschland geborene, aber in London lebende Gabriel, einer der beiden Protagonisten in Jackie Thomaes Roman Brüder, denn sein Vater stammt aus dem Senegal:","PeriodicalId":40838,"journal":{"name":"JAHRBUCH FUR INTERNATIONALE GERMANISTIK","volume":"9 1","pages":"249-260"},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2020-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"JAHRBUCH FUR INTERNATIONALE GERMANISTIK","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.3726/ja521_249","RegionNum":4,"RegionCategory":"文学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"LITERATURE, GERMAN, DUTCH, SCANDINAVIAN","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Gerade wenn es der Wahrheit entsprechen sollte, dass die Bearbeitung eines von der Associated Press verbreiteten Fotos ausschließlich ästhetische Zwecke verfolgte, wäre das Wegretuschieren der ugandischen Klimaaktivistin Vanessa Nakate aus dem Gruppenbild, das sie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos zusammen mit vier weißen Mitkämpferinnen zeigt, ein Paradebeispiel von Alltagsrassismus.1 Dass westliche Medien auf dem afrikanischen Auge häufig blind sind, zeigt auch die ebenfalls von AP nach dem Absturz der Ethiopian Airlines Maschine im März 2019 verbreitete Twittermeldung, in der zwar eine Reihe von nord-amerikanischen, europäischen und asiatischen Nationaltäten aufgezählt werden, die größte betroffene Gruppe aus 32 Kenianerinnen und Kenianern aber keine Erwähnung findet.2 Diese Form der Diskriminierung ist gerade deshalb so gefährlich, weil die ihm zugrunde liegenden rassistischen Denkmuster so tief verwurzelt sind, dass sie unsere Wahrnehmung der Welt ganz unbemerkt beeinflussen. Dies führt dann z.B. dazu, dass in Deutschland geborene und/oder aufgewachsene People of Color, deren Sprache sich bis hin zur dialektalen Färbung in nichts von der ihrer Umgebung unterscheidet, ständig nach ihrer Herkunft gefragt werden, weil sie äußerlich nicht dem Stereotyp eines/einer Biodeutschen entsprechen. Ganz stereotyp verlaufen dagegen die entsprechenden Dialoge wie zahlreiche Betroffene – so, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, die Dichterin und Aktivistin May Ayim, der Kabarettist und Schauspieler Marius Jung und die Publizistin Ferda Ataman – übereinstimmend beschreiben, denn Antworten wie Ich bin aus Deutschland, Castrop-Rauxel oder Gostenhof werden nicht akzeptiert, sondern durch die nachgeschobene Standardfrage nach der eigentlichen Herkunft beiseite gewischt, die dann oft mit der Frage nach der Rückkehr in die vermeintliche Heimat verbunden wird. Mitten aus dem Leben gegriffene Erfahrungen dieser Art macht auch der in Deutschland geborene, aber in London lebende Gabriel, einer der beiden Protagonisten in Jackie Thomaes Roman Brüder, denn sein Vater stammt aus dem Senegal: