{"title":"Die Appendix Vergiliana avant la lettre: Martial, Donat, Servius und der Murbach-Katalog zu Vergils angeblichen Jugendwerken","authors":"Fabian Zogg","doi":"10.1515/anab-2016-0107","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Der Umfang von Vergils Œuvre hat sich im Laufe der Rezeptionsgeschichte immer wieder verändert. Die heute als Appendix Vergiliana bezeichnete Gedichtsammlung verdankt ihren Namen Joseph Scaliger. Im Jahr 1573 hat dieser die Texte unter dem Haupttitel Publii Virgilii Maronis Appendix herausgegeben. Den Begriff Appendix Vergiliana verwendet er beispielsweise im ersten Satz des Einleitungsbriefs an seinen Lehrer, den Juristen Jacques Cujas.1 Mit Scaliger beginnt die moderne Debatte über die Echtheit der unter Vergils Namen überlieferten Gedichte. In diesem Aufsatz soll aufgezeigt werden, dass die angeblichen Jugendwerke Vergils bereits in den wichtigsten frühen Testimonien als eine Art Anhang zu Eklogen, Georgica und Aeneis erwähnt werden: Bei Martial, Donat, Servius und im Murbach-Katalog werden zwar Gedichte genannt, die Vergil ebenfalls geschrieben haben soll, sie werden aber nie richtig in sein Gesamtwerk integriert. Dieses besteht immer nur aus der etablierten Trias. Zudem wird sich nachweisen lassen, dass diese Testimonien alle miteinander verknüpft sind und der Appendix-Gedanke letztlich von Vergil selbst stammen könnte. Im 14. Buch von Martial findet sich das früheste Zeugnis zu einem Gedicht aus der Appendix Vergiliana überhaupt: Sein Epigramm 14,185 liefert den ersten von insgesamt fünf Belegen zum Culex aus dem 1. Jh. n. Chr.2 Die früheste Liste von Gedichten, die Vergil in seiner Jugend verfasst haben soll, ist in der Einleitung zum Vergil-Kommentar von Aelius Donat aus dem 4. Jh. n. Chr. überliefert. Kurze Zeit später rezipierte Servius diese Jugendwerke im Prolog zum ersten Buch seines Aeneis-Kommentars (um 400 n. Chr.). Moderne Ausgaben der Appendix Vergiliana orientieren sich bei der Auswahl der Texte neben Donat und Servius außerdem am Bibliothekskatalog von Murbach aus dem 9. Jh. n. Chr.3 Im Folgenden wird sich bei Martial (1) und Donat (2) zeigen lassen, dass die heute in der Appendix Vergiliana enthaltenen Gedichte vom sonstigen Œuvre Vergils getrennt sind. Der anschließende Blick auf Servius (3) und den Bibliothekskatalog von Murbach (4) wird bestätigen, dass die angeblichen Jugendwerke schon vor Scaliger als eine Art Appendix galten. (1) Der Culex wird im 1. Jh. n. Chr. zweimal von Martial (8,55,19 f.; 14,185), zweimal von Statius (Stat. Silv. 1 praef. 7–9; 2,7,73 f.) und einmal in der Lucan-Vita Suetons (Suet.","PeriodicalId":42033,"journal":{"name":"ANTIKE UND ABENDLAND","volume":"62 1","pages":"74 - 85"},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2016-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://sci-hub-pdf.com/10.1515/anab-2016-0107","citationCount":"28","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"ANTIKE UND ABENDLAND","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/anab-2016-0107","RegionNum":4,"RegionCategory":"历史学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"CLASSICS","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Der Umfang von Vergils Œuvre hat sich im Laufe der Rezeptionsgeschichte immer wieder verändert. Die heute als Appendix Vergiliana bezeichnete Gedichtsammlung verdankt ihren Namen Joseph Scaliger. Im Jahr 1573 hat dieser die Texte unter dem Haupttitel Publii Virgilii Maronis Appendix herausgegeben. Den Begriff Appendix Vergiliana verwendet er beispielsweise im ersten Satz des Einleitungsbriefs an seinen Lehrer, den Juristen Jacques Cujas.1 Mit Scaliger beginnt die moderne Debatte über die Echtheit der unter Vergils Namen überlieferten Gedichte. In diesem Aufsatz soll aufgezeigt werden, dass die angeblichen Jugendwerke Vergils bereits in den wichtigsten frühen Testimonien als eine Art Anhang zu Eklogen, Georgica und Aeneis erwähnt werden: Bei Martial, Donat, Servius und im Murbach-Katalog werden zwar Gedichte genannt, die Vergil ebenfalls geschrieben haben soll, sie werden aber nie richtig in sein Gesamtwerk integriert. Dieses besteht immer nur aus der etablierten Trias. Zudem wird sich nachweisen lassen, dass diese Testimonien alle miteinander verknüpft sind und der Appendix-Gedanke letztlich von Vergil selbst stammen könnte. Im 14. Buch von Martial findet sich das früheste Zeugnis zu einem Gedicht aus der Appendix Vergiliana überhaupt: Sein Epigramm 14,185 liefert den ersten von insgesamt fünf Belegen zum Culex aus dem 1. Jh. n. Chr.2 Die früheste Liste von Gedichten, die Vergil in seiner Jugend verfasst haben soll, ist in der Einleitung zum Vergil-Kommentar von Aelius Donat aus dem 4. Jh. n. Chr. überliefert. Kurze Zeit später rezipierte Servius diese Jugendwerke im Prolog zum ersten Buch seines Aeneis-Kommentars (um 400 n. Chr.). Moderne Ausgaben der Appendix Vergiliana orientieren sich bei der Auswahl der Texte neben Donat und Servius außerdem am Bibliothekskatalog von Murbach aus dem 9. Jh. n. Chr.3 Im Folgenden wird sich bei Martial (1) und Donat (2) zeigen lassen, dass die heute in der Appendix Vergiliana enthaltenen Gedichte vom sonstigen Œuvre Vergils getrennt sind. Der anschließende Blick auf Servius (3) und den Bibliothekskatalog von Murbach (4) wird bestätigen, dass die angeblichen Jugendwerke schon vor Scaliger als eine Art Appendix galten. (1) Der Culex wird im 1. Jh. n. Chr. zweimal von Martial (8,55,19 f.; 14,185), zweimal von Statius (Stat. Silv. 1 praef. 7–9; 2,7,73 f.) und einmal in der Lucan-Vita Suetons (Suet.
期刊介绍:
The ANTIKE UND ABENDLAND yearbook was founded immediately after the Second World War by Bruno Snell as a forum for interdisciplinary discussion of topics from Antiquity and the history of their later effects. The Editorial Board contains representatives from the disciplines of Classical Studies, Ancient History, Germanic Studies, Romance Studies and English Studies. Articles are published on classical literature and its reception, the history of science, Greek myths, classical mythology and its European heritage; in addition, there are contributions on Ancient history, art, philosophy, science, religion and their significance for the history of European culture and thought.