{"title":"Wie man zum Klassiker wird: Horaz, carm. 4,8","authors":"Alexander Kirichenko","doi":"10.1515/anab-2016-0106","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Das direkt in der Mitte des vierten Oden-Buchs platzierte carm. 4,8 ist – neben carm. 1,1 und carm. 3,30 – eine der wichtigsten programmatischen Oden des Horaz.1 Am Anfang des Gedichts entschuldigt sich Horaz bei seinem Adressaten Censorinus dafür, dass er diesem keine Kunstwerke schenken kann – weder Opferschalen, Statuen oder Dreifüße noch die berühmten klassischen Werke eines Scopas oder eines Parrhasius (1–8). Dabei stellt er fest, dass der Adressat sich eigentlich überhaupt keine Kunstwerke wünscht, sondern Gedichte bevorzugt, die Horaz ja durchaus schenken kann (9–12). Der verbleibende Teil der Ode besteht aus einem Lob auf die Lobdichtung im Allgemeinen (13–34), die – mit größerer Zuverlässigkeit als die bildende Kunst – jeden, den sie erwähnt, z. B. Scipio Africanus (13–20), Romulus, Aeacus, Hercules, die Dioskuren und sogar Bacchus (22–34), unsterblich machen kann. Obwohl der Text von carm. 4,8 ohne substantielle Abweichungen handschriftlich überliefert ist, gilt er den meisten Forschern seit jeher als äußerst problematisch, was zu einer ungewöhnlich großen Anzahl von textkritischen Verbesserungsvorschlägen geführt hat2 – bis hin zur gänzlichen Aberkennung der Autorschaft des Horaz.3 Einer der Hauptgründe für das editorische Eingreifen liegt darin, dass das Gedicht aus 34 Versen besteht und somit als das einzige im gesamten lyrischen Oeuvre des Horaz gegen die sogenannte lex Meinekiana verstößt, die besagt, dass eine Horaz-Ode aus einer durch vier teilbaren Versanzahl bestehen müsse.4 Diese auffällige Missachtung einer von Horaz ansonsten immer eingehaltenen ‹Regel› geht mit weiteren formalen und inhaltlichen Unregelmäßigkeiten einher, die den meisten Philologen als ausgesprochen ‹unhorazisch› vorkommen. Als Folge wird der Text in der Regel entweder durch die Postulierung einer lacuna oder durch eine Athetese ‹normalisiert›.","PeriodicalId":42033,"journal":{"name":"ANTIKE UND ABENDLAND","volume":"62 1","pages":"58 - 73"},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2016-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://sci-hub-pdf.com/10.1515/anab-2016-0106","citationCount":"1","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"ANTIKE UND ABENDLAND","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/anab-2016-0106","RegionNum":4,"RegionCategory":"历史学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"CLASSICS","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Das direkt in der Mitte des vierten Oden-Buchs platzierte carm. 4,8 ist – neben carm. 1,1 und carm. 3,30 – eine der wichtigsten programmatischen Oden des Horaz.1 Am Anfang des Gedichts entschuldigt sich Horaz bei seinem Adressaten Censorinus dafür, dass er diesem keine Kunstwerke schenken kann – weder Opferschalen, Statuen oder Dreifüße noch die berühmten klassischen Werke eines Scopas oder eines Parrhasius (1–8). Dabei stellt er fest, dass der Adressat sich eigentlich überhaupt keine Kunstwerke wünscht, sondern Gedichte bevorzugt, die Horaz ja durchaus schenken kann (9–12). Der verbleibende Teil der Ode besteht aus einem Lob auf die Lobdichtung im Allgemeinen (13–34), die – mit größerer Zuverlässigkeit als die bildende Kunst – jeden, den sie erwähnt, z. B. Scipio Africanus (13–20), Romulus, Aeacus, Hercules, die Dioskuren und sogar Bacchus (22–34), unsterblich machen kann. Obwohl der Text von carm. 4,8 ohne substantielle Abweichungen handschriftlich überliefert ist, gilt er den meisten Forschern seit jeher als äußerst problematisch, was zu einer ungewöhnlich großen Anzahl von textkritischen Verbesserungsvorschlägen geführt hat2 – bis hin zur gänzlichen Aberkennung der Autorschaft des Horaz.3 Einer der Hauptgründe für das editorische Eingreifen liegt darin, dass das Gedicht aus 34 Versen besteht und somit als das einzige im gesamten lyrischen Oeuvre des Horaz gegen die sogenannte lex Meinekiana verstößt, die besagt, dass eine Horaz-Ode aus einer durch vier teilbaren Versanzahl bestehen müsse.4 Diese auffällige Missachtung einer von Horaz ansonsten immer eingehaltenen ‹Regel› geht mit weiteren formalen und inhaltlichen Unregelmäßigkeiten einher, die den meisten Philologen als ausgesprochen ‹unhorazisch› vorkommen. Als Folge wird der Text in der Regel entweder durch die Postulierung einer lacuna oder durch eine Athetese ‹normalisiert›.
期刊介绍:
The ANTIKE UND ABENDLAND yearbook was founded immediately after the Second World War by Bruno Snell as a forum for interdisciplinary discussion of topics from Antiquity and the history of their later effects. The Editorial Board contains representatives from the disciplines of Classical Studies, Ancient History, Germanic Studies, Romance Studies and English Studies. Articles are published on classical literature and its reception, the history of science, Greek myths, classical mythology and its European heritage; in addition, there are contributions on Ancient history, art, philosophy, science, religion and their significance for the history of European culture and thought.