{"title":"Arbeit in Hesiods Werken und Tagen","authors":"Wolfram Ette","doi":"10.1515/anab-2014-0105","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Hesiods Werke und Tage sind der erste Text der europäischen Literatur, der sich systematisch mit dem Thema der Arbeit auseinandersetzt. Weder spielt es bloß beiher noch ist Hesiod daran gelegen, seine Ansichten zur menschlichen Arbeit gnomisch-aphoristisch zu verdichten. Die Arbeit ist vielmehr der tragende Grund der gesamten Konstruktion der Werke und Tage, sodass man bei diesem Lehrgedicht tatsächlich davon sprechen kann, dass es sich hierbei um eine entfaltete Theorie der menschlichen Arbeit handelt. Dass es dennoch in den einschlägigen Handbüchern und Lexika keine große Rolle spielt,1 verdankt sich vielleicht dem Umstand, dass Hesiod – und hier insbesondere sein zweites Werk – innerhalb der antiken Literatur eine Ausnahmestellung einnimmt. Eine derartige Hochschätzung der Arbeit findet sich sonst nirgends, sie erscheint in der Regel als Tätigkeit, die eines freien Mannes nicht würdig ist, als notwendiges Mittel zur Sicherung der materiellen Lebensgrundlagen, aber keineswegs als Zweck in sich. Der Sinn des Lebens liegt jenseits der Arbeit, er liegt jenseits des Zwangs, sein Leben zu reproduzieren – eines Zwanges, den das in der Antike gebräuchliche Wort für Arbeit – ponos, «Mühe», «Qual», genau wiedergibt. Zweifellos spielt dieser Begriff, also ponos, und die damit verbundenen Vorstellungen, auch in den Werken und Tagen eine Rolle. Aber er wird überformt und in einen höheren Sinn aufgelöst durch den systematisch entscheidenden, titelgebenden Zentralbegriff des ergon, des «Werks». Die Positivierung der Arbeit vollzieht sich auf dem Weg einer Transformation von ponos in ergon. Hesiod stellt, mit anderen Worten, die Frage: Wie lässt sich die nicht endende Mühe des Arbeitslebens, von der er als unabhängiger Bauer einiges wusste, ins «Werk» transformieren, worin unterscheidet das Werk sich von der Mühe, von dem endlosen Prozess der Subsistenzversorgung? Eine Antwort auf diese Frage gibt Hesiod erst im zweiten Teil des Gedichts, im so genannten Bauernkalender. Es ist ja dieser Bauernkalender, der die beiden titelgebenden Begriffe des Lehrgedichts ineinander verschränkt: Werke und Tage – Arbeit und Zeit. Das will sagen: Durch den kalendarischen Zusammenhang von Arbeit und Zeit wird Arbeit zum Werk, zu einem befriedigenden, sinnstiftenden Unternehmen. Der erste Teil des Gedichts, der in der Forschung sehr viel mehr Aufmerksamkeit gefunden hat, dient demgegenüber als Vorbereitung, und zwar geht es Hesiod hierin um den Nachweis von drei miteinander verflochtenen Thesen. Die erste These lautet, dass Arbeit ein Gut ist; ihrem Nachweis gilt die so genannte Erides-Dihairese.","PeriodicalId":42033,"journal":{"name":"ANTIKE UND ABENDLAND","volume":"60 1","pages":"37 - 50"},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2014-11-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://sci-hub-pdf.com/10.1515/anab-2014-0105","citationCount":"1","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"ANTIKE UND ABENDLAND","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/anab-2014-0105","RegionNum":4,"RegionCategory":"历史学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"CLASSICS","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Hesiods Werke und Tage sind der erste Text der europäischen Literatur, der sich systematisch mit dem Thema der Arbeit auseinandersetzt. Weder spielt es bloß beiher noch ist Hesiod daran gelegen, seine Ansichten zur menschlichen Arbeit gnomisch-aphoristisch zu verdichten. Die Arbeit ist vielmehr der tragende Grund der gesamten Konstruktion der Werke und Tage, sodass man bei diesem Lehrgedicht tatsächlich davon sprechen kann, dass es sich hierbei um eine entfaltete Theorie der menschlichen Arbeit handelt. Dass es dennoch in den einschlägigen Handbüchern und Lexika keine große Rolle spielt,1 verdankt sich vielleicht dem Umstand, dass Hesiod – und hier insbesondere sein zweites Werk – innerhalb der antiken Literatur eine Ausnahmestellung einnimmt. Eine derartige Hochschätzung der Arbeit findet sich sonst nirgends, sie erscheint in der Regel als Tätigkeit, die eines freien Mannes nicht würdig ist, als notwendiges Mittel zur Sicherung der materiellen Lebensgrundlagen, aber keineswegs als Zweck in sich. Der Sinn des Lebens liegt jenseits der Arbeit, er liegt jenseits des Zwangs, sein Leben zu reproduzieren – eines Zwanges, den das in der Antike gebräuchliche Wort für Arbeit – ponos, «Mühe», «Qual», genau wiedergibt. Zweifellos spielt dieser Begriff, also ponos, und die damit verbundenen Vorstellungen, auch in den Werken und Tagen eine Rolle. Aber er wird überformt und in einen höheren Sinn aufgelöst durch den systematisch entscheidenden, titelgebenden Zentralbegriff des ergon, des «Werks». Die Positivierung der Arbeit vollzieht sich auf dem Weg einer Transformation von ponos in ergon. Hesiod stellt, mit anderen Worten, die Frage: Wie lässt sich die nicht endende Mühe des Arbeitslebens, von der er als unabhängiger Bauer einiges wusste, ins «Werk» transformieren, worin unterscheidet das Werk sich von der Mühe, von dem endlosen Prozess der Subsistenzversorgung? Eine Antwort auf diese Frage gibt Hesiod erst im zweiten Teil des Gedichts, im so genannten Bauernkalender. Es ist ja dieser Bauernkalender, der die beiden titelgebenden Begriffe des Lehrgedichts ineinander verschränkt: Werke und Tage – Arbeit und Zeit. Das will sagen: Durch den kalendarischen Zusammenhang von Arbeit und Zeit wird Arbeit zum Werk, zu einem befriedigenden, sinnstiftenden Unternehmen. Der erste Teil des Gedichts, der in der Forschung sehr viel mehr Aufmerksamkeit gefunden hat, dient demgegenüber als Vorbereitung, und zwar geht es Hesiod hierin um den Nachweis von drei miteinander verflochtenen Thesen. Die erste These lautet, dass Arbeit ein Gut ist; ihrem Nachweis gilt die so genannte Erides-Dihairese.
期刊介绍:
The ANTIKE UND ABENDLAND yearbook was founded immediately after the Second World War by Bruno Snell as a forum for interdisciplinary discussion of topics from Antiquity and the history of their later effects. The Editorial Board contains representatives from the disciplines of Classical Studies, Ancient History, Germanic Studies, Romance Studies and English Studies. Articles are published on classical literature and its reception, the history of science, Greek myths, classical mythology and its European heritage; in addition, there are contributions on Ancient history, art, philosophy, science, religion and their significance for the history of European culture and thought.