{"title":"Poetische Gewissheit. Liebesdreieck und Futur in den Oden des Horaz","authors":"Lorenz Rumpf","doi":"10.1515/anab-2017-0106","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"So sehr die Oden des Horaz die Kontingenz des Lebens betonen und dazu auffordern, der grundsätzlich unerkennbaren Zukunft zu misstrauen, so wenig lassen sie sich auf den Preis des erfüllten Augenblicks reduzieren. Im Gegenteil hat das Tempus Futur große Bedeutung für die Anlage dieser Gedichte.1 Offensichtlich ist das etwa in den kühnen Vorausblicken auf das ewige Weiterleben des eigenen Werks oder in den politischen Prophezeiungen, von denen die Odenbücher durchzogen sind. Für das eine findet sich ein Beispiel in c. 3,30 (Exegi monumentum ...) mit den emphatischen Aussagen non omnis moriar (v. 6) und dicar (v. 10), für das andere in der Prophezeiung von c. 1,12 (Quem virum aut heroa ...), wo das Dichter-Ich am Schluss einer langen Reihe von Preisungen mythischer und historischer – römischer – Helden in einem Gebet (ab v. 49) Iuppiter adressiert und eine Parallele zwischen diesem und Octavian (Caesar) herstellt, der geringer allein als der höchste Gott sei: Caesar werde gerecht über den ganzen Erdkreis herrschen (reget, v. 57), und der Blitzeschleuderer Iuppiter werde das moralische Wächteramt wahrnehmen (tu parum castis inimica mittes / fulmina lucis, v. 59–60). Gerade wenn das Futur, wie hier mit zwei Formen, am Ende steht, ist es buchstäblich das letzte Wort, das unabsehbar nachhallt und gewissermaßen zum sprachlichen Sinnbild der in Anspruch genommenen Ewigkeit und der fortbestehenden Autorität des Verkünders wird. Horaz’ Gebrauch des Wortes vates, das ‹Seher› wie ‹Dichter› bedeuten kann,2 fügt sich zu diesem emphatischen Futur. Auch eine Gottheit oder eine mythische Figur kann prophezeien; zudem erhält einmal – in c. 4,4 – Hannibal eine ähnliche Funktion (wobei freilich die Sprecherzuordnung der letzten Strophe umstritten ist)3. Zuspitzungen erfährt der Gebrauch dieses Tempus nicht selten an ‹offenen Gedichtschlüssen›, wie Horaz sie immer wieder gestaltet.4 Hier soll demgegenüber bei der Frage nach den Funktionen des Futurs der Blick zunächst auf eher Unscheinbares gerichtet werden, nämlich auf einige Gedichte, die eine erotische","PeriodicalId":42033,"journal":{"name":"ANTIKE UND ABENDLAND","volume":"63 1","pages":"105 - 124"},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2017-12-20","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://sci-hub-pdf.com/10.1515/anab-2017-0106","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"ANTIKE UND ABENDLAND","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/anab-2017-0106","RegionNum":4,"RegionCategory":"历史学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"CLASSICS","Score":null,"Total":0}
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Abstract
So sehr die Oden des Horaz die Kontingenz des Lebens betonen und dazu auffordern, der grundsätzlich unerkennbaren Zukunft zu misstrauen, so wenig lassen sie sich auf den Preis des erfüllten Augenblicks reduzieren. Im Gegenteil hat das Tempus Futur große Bedeutung für die Anlage dieser Gedichte.1 Offensichtlich ist das etwa in den kühnen Vorausblicken auf das ewige Weiterleben des eigenen Werks oder in den politischen Prophezeiungen, von denen die Odenbücher durchzogen sind. Für das eine findet sich ein Beispiel in c. 3,30 (Exegi monumentum ...) mit den emphatischen Aussagen non omnis moriar (v. 6) und dicar (v. 10), für das andere in der Prophezeiung von c. 1,12 (Quem virum aut heroa ...), wo das Dichter-Ich am Schluss einer langen Reihe von Preisungen mythischer und historischer – römischer – Helden in einem Gebet (ab v. 49) Iuppiter adressiert und eine Parallele zwischen diesem und Octavian (Caesar) herstellt, der geringer allein als der höchste Gott sei: Caesar werde gerecht über den ganzen Erdkreis herrschen (reget, v. 57), und der Blitzeschleuderer Iuppiter werde das moralische Wächteramt wahrnehmen (tu parum castis inimica mittes / fulmina lucis, v. 59–60). Gerade wenn das Futur, wie hier mit zwei Formen, am Ende steht, ist es buchstäblich das letzte Wort, das unabsehbar nachhallt und gewissermaßen zum sprachlichen Sinnbild der in Anspruch genommenen Ewigkeit und der fortbestehenden Autorität des Verkünders wird. Horaz’ Gebrauch des Wortes vates, das ‹Seher› wie ‹Dichter› bedeuten kann,2 fügt sich zu diesem emphatischen Futur. Auch eine Gottheit oder eine mythische Figur kann prophezeien; zudem erhält einmal – in c. 4,4 – Hannibal eine ähnliche Funktion (wobei freilich die Sprecherzuordnung der letzten Strophe umstritten ist)3. Zuspitzungen erfährt der Gebrauch dieses Tempus nicht selten an ‹offenen Gedichtschlüssen›, wie Horaz sie immer wieder gestaltet.4 Hier soll demgegenüber bei der Frage nach den Funktionen des Futurs der Blick zunächst auf eher Unscheinbares gerichtet werden, nämlich auf einige Gedichte, die eine erotische
期刊介绍:
The ANTIKE UND ABENDLAND yearbook was founded immediately after the Second World War by Bruno Snell as a forum for interdisciplinary discussion of topics from Antiquity and the history of their later effects. The Editorial Board contains representatives from the disciplines of Classical Studies, Ancient History, Germanic Studies, Romance Studies and English Studies. Articles are published on classical literature and its reception, the history of science, Greek myths, classical mythology and its European heritage; in addition, there are contributions on Ancient history, art, philosophy, science, religion and their significance for the history of European culture and thought.