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Abstract
Seyla Benhabib vermag es mithilfe ihres Konzepts der „demokratischen Iteration“ das Prinzip der Volkssouveränität mit den moralischen Ansprüchen von Migrierenden auf Augenhöhe zu vermitteln. Dies gelingt ihr, weil sie „demokratische Iterationen“ als diskursive Aushandlungsprozesse unter Bedingungen der Öffentlichkeit versteht. Der Begriff der Öffentlichkeit bezeichnet, wohl verstanden, nämlich einen konstitutiv offenen Kommunikationsraum, in dem sich die diskursive Klärung des demokratischen „Wir“ immer schon unter prinzipiellem Einbezug „des Anderen“ vollzieht. Bereits John Dewey, Hannah Arendt und Jürgen Habermas haben diese konstitutive Offenheit der Öffentlichkeit herausgestellt und damit die migrationsgesellschaftliche Struktur des Begriffs der Öffentlichkeit theoretisch entfaltet. Angesichts gegenwärtiger Abschottungsversuche westlicher Demokratien gegenüber Migrationsbewegungen stellt sich allerdings die Frage, ob der Begriff der Öffentlichkeit mehr darstellt, als ein normatives Ideal, das realen Tendenzen einer anti-migrantischen Abschließung politischer Kommunikationsräume bloß ohnmächtig gegenübersteht. Dieser Aufsatz argumentiert, dass dem nicht so ist: Dem Begriff der Öffentlichkeit lässt sich auch als einer Idee im Sinne Hegels habhaft werden. Er lässt sich als eine Logik der Öffnung rekonstruieren, die sich aufgrund einer immanenten Nötigung der Praxis selbst aufdrängt und nur durch eine destruktive Spirale aus Widerstand, Repression, Regression und Nihilismus unterdrückt werden kann. Ich werde auf dem Wege einer sozialphilosophischen Integration kommunikationstheoretischer (Habermas) und radikaldemokratischer (Rancière) Erkenntnisse abschließend zeigen, dass migrantische oder postmigrantische „Gegenöffentlichkeiten“ diese immanente Nötigung hervorrufen. Die Nötigung objektiviert sich wiederum daran, dass der fortgesetzte Ausschluss von „Gegenöffentlichkeiten“ zu einer krisenhaften Struktur „systematisch verzerrter Kommunikation“ (Habermas) führt.