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Abstract
Wenn man sich mit der wissenschaftlichen (oder auch der didaktischen) Literatur zur Aeneis beschäftigt, kann man leicht den Eindruck gewinnen, das Epos Vergils behandle die römische Geschichte und vor allem deren Kulmination in der Herrschaft des Augustus. So sehr stehen die drei großen Ausblicke in der Aeneis auf eben diese historische Zeit im Vordergrund des Interesses: die Jupiter-Prophezeiung in Aen. I, die «Heldenschau» in Aen. VI und die Schildbeschreibung in Aen. VIII. Aber diese viel traktierten Passagen sind Vorblicke in die Zukunft. Die epische Gegenwart ist eine Abfolge von etwa 50 Tagen im 7. Jahr nach dem Fall Trojas, den man zu der Zeit, als Vergil das Epos in der Dekade vor seinem Tod im Jahr 19 v. Chr. verfasste, als etwa 1150 Jahre zurückliegend betrachtete. Die Hauptperson der Aeneis ist nicht Augustus, sondern Aeneas. Gegenstand der Handlung ist, wie die von Aeneas geführten flüchtigen Trojaner eine neue Heimat finden. Man kann die Aeneis als ein Flüchtlings-Epos betrachten. Diesen Aspekt verfolge ich im vorliegenden Aufsatz. Die Fragen, die ich stelle und zu beantworten versuche, sind im Grunde politischer Art. Auch wenn die Aeneis eine Dichtung ist, behandelt sie politische Probleme. Ihre Handlung spielt in einer Zeit, die wir myth-historisch oder gar direkt mythisch nennen. Aber man darf nicht verkennen, dass diese sog. «Aeneas-Sage», also die Erzählung, wonach Aeneas mit seinen trojanischen Gefolgsleuten (den «Aeneaden») lange vor Gründung Roms nach Latium gekommen sei und sich dort, nach Kämpfen mit den Einheimischen, niedergelassen habe, zur Zeit Vergils in Rom meist als reale Geschichte galt, als Uroder Vorgeschichte Roms.
期刊介绍:
The ANTIKE UND ABENDLAND yearbook was founded immediately after the Second World War by Bruno Snell as a forum for interdisciplinary discussion of topics from Antiquity and the history of their later effects. The Editorial Board contains representatives from the disciplines of Classical Studies, Ancient History, Germanic Studies, Romance Studies and English Studies. Articles are published on classical literature and its reception, the history of science, Greek myths, classical mythology and its European heritage; in addition, there are contributions on Ancient history, art, philosophy, science, religion and their significance for the history of European culture and thought.