{"title":"Unterwegs in Griechenland. Jakob Philipp Fallmerayers Fragmente aus dem Orient und Hugo von Hofmannsthals Augenblicke in Griechenland","authors":"Stefan Lindinger, Evi Petropoulou","doi":"10.3726/jig543_55","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Die griechische Landschaft, wie sie heute ist, kann den ersten Blick enttäuschen, aber nur den ersten. Das heutige Griechenland ist ein entwaldetes Land, und daher eine gewisse Härte der Konturen, die freilich das Licht mit seinem geistreichen zarten Leben umspielt. Aber vergeblich\n suchen wir die ,,schwellenden Hügel“, die Fallmerayer vom Meeresstrand landeinwärts bezauberten, oder das Dickicht von Edelkastanien, Platanen und Eichen, tausend Sträucher dazwischen, in das er von einer Bergklippe sich herunterließ. Aber die schwellenden Hügel\n waren in der Umgebung von Trapezunt; in das Baumdickicht blickte er vom Athoskamm herab; noch heute hat die Halbinsel Volos […] ihre berühmten Kastanienwälder; dies alles liegt außerhalb des eigentlichen Griechenland.1Mit dieser Passage, die aus dem kurzen\n Essay Griechenland von 1922 stammt, stellt Hugo von Hofmannsthal eine ausdrückliche intertextuelle Beziehung zu Jakob Philipp Fallmerayers Fragmenten aus dem Orient her, die 1845 in zwei Bänden erschienen sind.2 Fallmerayers Reisebericht dient Hofmannsthal\n als Matrix,3 vor deren Hintergrund er sein eigenes Griechenland erlebt. Anknüpfungspunkt ist dabei die Landschaft, um deren Gegensätzlichkeit es in diesem Zitat geht, die aber auch die beiden Texte insgesamt wesentlich bestimmt. Dabei dreht sich vieles um die subjektiven\n Erwartungen, die der Reisende an Griechenland hat, und um das Bewusstsein einer zeitlichen und räumlichen Diskrepanz, alles Faktoren, die Reiseerlebnis wesentlich beeinflussen. So ist sich Hofmannsthal darüber im Klaren, dass er von einem geographisch-politischen Blickwinkel aus\n betrachtet ein anderes Griechenland bereist als dasjenige, das Fallmerayer besucht hat, was ihn aber nicht hindert, diesen Vergleich vorzunehmen.","PeriodicalId":40838,"journal":{"name":"JAHRBUCH FUR INTERNATIONALE GERMANISTIK","volume":" ","pages":""},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2022-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"JAHRBUCH FUR INTERNATIONALE GERMANISTIK","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.3726/jig543_55","RegionNum":4,"RegionCategory":"文学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"LITERATURE, GERMAN, DUTCH, SCANDINAVIAN","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Die griechische Landschaft, wie sie heute ist, kann den ersten Blick enttäuschen, aber nur den ersten. Das heutige Griechenland ist ein entwaldetes Land, und daher eine gewisse Härte der Konturen, die freilich das Licht mit seinem geistreichen zarten Leben umspielt. Aber vergeblich
suchen wir die ,,schwellenden Hügel“, die Fallmerayer vom Meeresstrand landeinwärts bezauberten, oder das Dickicht von Edelkastanien, Platanen und Eichen, tausend Sträucher dazwischen, in das er von einer Bergklippe sich herunterließ. Aber die schwellenden Hügel
waren in der Umgebung von Trapezunt; in das Baumdickicht blickte er vom Athoskamm herab; noch heute hat die Halbinsel Volos […] ihre berühmten Kastanienwälder; dies alles liegt außerhalb des eigentlichen Griechenland.1Mit dieser Passage, die aus dem kurzen
Essay Griechenland von 1922 stammt, stellt Hugo von Hofmannsthal eine ausdrückliche intertextuelle Beziehung zu Jakob Philipp Fallmerayers Fragmenten aus dem Orient her, die 1845 in zwei Bänden erschienen sind.2 Fallmerayers Reisebericht dient Hofmannsthal
als Matrix,3 vor deren Hintergrund er sein eigenes Griechenland erlebt. Anknüpfungspunkt ist dabei die Landschaft, um deren Gegensätzlichkeit es in diesem Zitat geht, die aber auch die beiden Texte insgesamt wesentlich bestimmt. Dabei dreht sich vieles um die subjektiven
Erwartungen, die der Reisende an Griechenland hat, und um das Bewusstsein einer zeitlichen und räumlichen Diskrepanz, alles Faktoren, die Reiseerlebnis wesentlich beeinflussen. So ist sich Hofmannsthal darüber im Klaren, dass er von einem geographisch-politischen Blickwinkel aus
betrachtet ein anderes Griechenland bereist als dasjenige, das Fallmerayer besucht hat, was ihn aber nicht hindert, diesen Vergleich vorzunehmen.