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Abstract
Mit den Worten «So fiel Sparta, so fiel Athen, so fiel Rom» schließt der Solothurner Urs Joseph Niklaus Alois Glutz von Blotzheim 1787 in der Eröffnungsrede der Jahresversammlung der Helvetischen Gesellschaft seine Ausführungen darüber, wie die antiken Republiken ihre Freiheit verloren haben, und ruft im kommenden Satz dazu auf, jeder Helvetier soll «auf den Trümmern dieser ehemals so berühmten Staaten die heilsame Wahrheit lesen, dass kein Freystaat ohne gute Sitten, und ohne Tugend in die Länge bestehen könne.»1 Das Zitat zeigt, wie in der Alten Eidgenossenschaft Verweise auf die griechisch-römische Antike in der politisch-patriotischen Rede für Aussagen zur Gegenwart genutzt werden konnten. Solche Bezugnahmen auf die Vergangenheit sind kein Einzelfall, denn das 18. Jahrhundert stellt für Rezeptionen der klassischen Antike einen entscheidenden Zeitraum dar: Die Aufklärung markierte eine Phase des intensivierten und vielfältigen Rückgriffs auf antike Vergangenheiten, wodurch die Antike als Referenzrahmen für Kultur, Gesellschaft, Politik und Wissenschaft eine (erneute) Renaissance erlebte. Dabei wurden vielfältige Bilder und Vorstellungen der Antike konstruiert, die nicht selten bis in die heutige Zeit wirken. Diese Antikenrezeptionen müssen stets als ein konstruktiver Akt einer jeweiligen Gegenwart verstanden werden, der den eigenen, zeitund kulturtypischen Regeln folgt; sie sind Formen von Transformationen von Vergangenheiten gemäß den Bedürfnissen einer spezifischen Gegenwart.2 Hartmut Böhme fasst dies treffend zusammen, indem er festhält, dass die antiken Kulturen zwar als politische Reiche untergegangen waren, sie jedoch als Orientierungsangebote kultureller Selbstkonstruktionen über eine Reihe von Renaissancen und Transformationen stets lebendig blieben.3 Diese Prozesse der Reproduktion von antiken Vergangenheiten sollen hier nun spezifisch mit Blick auf staatsund gesellschaftsphilosophische Diskussionen in der Alten Eidgenossenschaft der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts betrachtet werden.
期刊介绍:
The ANTIKE UND ABENDLAND yearbook was founded immediately after the Second World War by Bruno Snell as a forum for interdisciplinary discussion of topics from Antiquity and the history of their later effects. The Editorial Board contains representatives from the disciplines of Classical Studies, Ancient History, Germanic Studies, Romance Studies and English Studies. Articles are published on classical literature and its reception, the history of science, Greek myths, classical mythology and its European heritage; in addition, there are contributions on Ancient history, art, philosophy, science, religion and their significance for the history of European culture and thought.