{"title":"Der Dichter und sein Sänger: Orpheus und Apollonios im Paian der Argonautika (Apollonios Rhodios 2,669–719)","authors":"Martin M. Bauer","doi":"10.1515/anab-2017-0104","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Dass der mythische Sänger Orpheus in den Argonautika des Apollonios Rhodios eine Schlüsselrolle einnimmt, ist in den letzten Jahrzehnten zur communis opinio der Apollonios-Forschung geworden.1 Die mannigfaltigen Interpretationen, die bislang vorgelegt wurden, haben vieles richtig gesehen und verhalten sich zueinander eher komplementär als konträr. Die Gestalt des Orpheus wurde u. a. gedeutet als «Integrationsfigur» und Garant der Einheit unter den Argonauten,2 als Vertreter einer apollinischen Ordnung gegenüber Medeia als Vertreterin des Ekstatisch-Wilden-Dionysischen,3 als ritualkundiger Retter in Krisensituationen,4 als οἰκίστης und Kultstifter, der als Archeget der Kolonisation die griechische Präsenz in Thrakien und am Schwarzen Meer legitimiert,5 am öftesten jedoch als alter ego des Dichters selbst.6 Diese poetologische Dimension soll im vorliegenden Beitrag noch einmal eingehend untersucht und dabei vertieft werden. Als Ausgangspunkt dient dabei im Unterschied zu bisherigen Deutungen der Apollon-Hymnos, den Orpheus auf der Insel Thynias singt (2,705–713). Ihm wurde mit Ausnahme zweier kurzer, aber wichtiger «notes» von Richard Hunter7 noch nie eine eingehende Studie gewidmet, obwohl er neben der von der Forschung intensiv behandelten Kosmogonie (1,496–518) der einzige Gesang ist, über dessen Inhalt Apollonios Details berichtet. Es kann aber gezeigt werden, dass dieses Orpheuslied für die Komposition und Interpretation der Argonautika sowie für ihre Positionierung in der hellenistischen Dichtung eine zentrale Rolle spielt. Die Situation, kurz umrissen, ist folgende: Nachdem die Argonauten glücklich die Symplegaden durchquert haben, rudern sie einen ganzen Tag und eine ganze Nacht entlang der bithynischen Küste, bevor sie im Morgengrauen die Insel Thynias erreichen, wo sie an Land gehen (2,669–673). Da begegnet ihnen Apollon, der sich auf dem Weg ins Land der","PeriodicalId":42033,"journal":{"name":"ANTIKE UND ABENDLAND","volume":"63 1","pages":"58 - 77"},"PeriodicalIF":0.1000,"publicationDate":"2017-12-20","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://sci-hub-pdf.com/10.1515/anab-2017-0104","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"ANTIKE UND ABENDLAND","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/anab-2017-0104","RegionNum":4,"RegionCategory":"历史学","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"0","JCRName":"CLASSICS","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Dass der mythische Sänger Orpheus in den Argonautika des Apollonios Rhodios eine Schlüsselrolle einnimmt, ist in den letzten Jahrzehnten zur communis opinio der Apollonios-Forschung geworden.1 Die mannigfaltigen Interpretationen, die bislang vorgelegt wurden, haben vieles richtig gesehen und verhalten sich zueinander eher komplementär als konträr. Die Gestalt des Orpheus wurde u. a. gedeutet als «Integrationsfigur» und Garant der Einheit unter den Argonauten,2 als Vertreter einer apollinischen Ordnung gegenüber Medeia als Vertreterin des Ekstatisch-Wilden-Dionysischen,3 als ritualkundiger Retter in Krisensituationen,4 als οἰκίστης und Kultstifter, der als Archeget der Kolonisation die griechische Präsenz in Thrakien und am Schwarzen Meer legitimiert,5 am öftesten jedoch als alter ego des Dichters selbst.6 Diese poetologische Dimension soll im vorliegenden Beitrag noch einmal eingehend untersucht und dabei vertieft werden. Als Ausgangspunkt dient dabei im Unterschied zu bisherigen Deutungen der Apollon-Hymnos, den Orpheus auf der Insel Thynias singt (2,705–713). Ihm wurde mit Ausnahme zweier kurzer, aber wichtiger «notes» von Richard Hunter7 noch nie eine eingehende Studie gewidmet, obwohl er neben der von der Forschung intensiv behandelten Kosmogonie (1,496–518) der einzige Gesang ist, über dessen Inhalt Apollonios Details berichtet. Es kann aber gezeigt werden, dass dieses Orpheuslied für die Komposition und Interpretation der Argonautika sowie für ihre Positionierung in der hellenistischen Dichtung eine zentrale Rolle spielt. Die Situation, kurz umrissen, ist folgende: Nachdem die Argonauten glücklich die Symplegaden durchquert haben, rudern sie einen ganzen Tag und eine ganze Nacht entlang der bithynischen Küste, bevor sie im Morgengrauen die Insel Thynias erreichen, wo sie an Land gehen (2,669–673). Da begegnet ihnen Apollon, der sich auf dem Weg ins Land der
期刊介绍:
The ANTIKE UND ABENDLAND yearbook was founded immediately after the Second World War by Bruno Snell as a forum for interdisciplinary discussion of topics from Antiquity and the history of their later effects. The Editorial Board contains representatives from the disciplines of Classical Studies, Ancient History, Germanic Studies, Romance Studies and English Studies. Articles are published on classical literature and its reception, the history of science, Greek myths, classical mythology and its European heritage; in addition, there are contributions on Ancient history, art, philosophy, science, religion and their significance for the history of European culture and thought.