{"title":"[Veg* in der Medizin - schon längst viel mehr als nur ein Trend].","authors":"Christian S Kessler, Andreas Michalsen","doi":"10.1159/000445519","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Sich vegetarisch zu ernahren, ganz zu schweigen davon, dies mit gesundheitlichen Vorteilen und therapeutischen Argumenten zu begrunden, bedeutete noch vor 2 Jahrzehnten in Mitteleuropa in wechselnder Abfolge Vereinsamung am Tisch, mitleidige Blicke und Kommentare von Freunden und Familienangehorigen oder soziales Ausenseitertum im offentlichen kulinarischen Raum [1, 2]. Die Situation hat sich seitdem in beeindruckender Geschwindigkeit verandert. Nicht nur, dass vegetarische Ernahrungsweisen in der Bevolkerung seit Jahren kontinuierlich auf dem Vormarsch sind und das Stigma der Mangelernahrung – zumindest in urbanen Ballungsraumen (nicht nur in Kosmopolen wie London oder Berlin) – langst verloren haben. Nein, mittlerweile gilt es in der einschlagigen Szene schon langst als «retro», wenn man von «vegetarisch» spricht; «vegan», «pflanzenbasiert» und «roh» sind langst die neuen diesbezuglichen gesellschaftlichen Trendbegriffe [3, 4]. Trotz der grosen Offentlichkeit, die das Thema zunehmend geniest, sind zahlreiche Vorurteile (auf beiden Seiten) nur schwerlich aus der Welt zu schaffen. Daran scheinen auch die mittlerweile zahlreich vorliegenden Studien zu diesem Thema nichts zu andern, obwohl sie zu einem guten Teil mit hochwertigen Studiendesigns, grosen Probandenzahlen und Ergebnissen daherkommen, die nahelegen, dass ein Verzicht beziehungsweise eine deutliche Reduktion des Verzehrs von rotem Fleisch, Fleischprodukten und tierischen Proteinen viele gesundheitliche Benefits mit sich bringen [5–8] (von globalen okologischen, okonomischen und ethischen Aspekten ganz abgesehen). Kurioserweise ist dies vor allem in der Medizin und den Gesundheitswissenschaften hartnackig der Fall, und inzwischen scheinen nicht selten Patienten und Patientinnen zu diesem Thema besser aufgeklart als der ein oder andere Therapeut, der deshalb konsultiert wird. Dies hat sicher viel mit der Tatsache zu tun, dass das Thema Ernahrung im Medizinstudium nach wie vor eine vollig untergeordnete Rolle spielt und es im Curriculum, auch von neuen Modellund Reformstudiengangen, ein Ausenseiterdasein fristet. In der offentlichen Diskussion kommt komplizierend der Aspekt zum Tragen, dass es fur Menschen in Wohlstandsregionen (insbesondere in Europa) schwierig zu sein scheint, sich von Traditionen und Gewohnheiten, die sich um tierische Produkte drehen, zu trennen bzw. daruber aus gesundheitlicher Sicht kritisch zu reflektieren. Bei solch emotionsgeladenen Themen hilft dann auch meist die beste Studie nichts, wenn diese nicht ins eigene paradigmatische Weltbild passt. Zu beobachten war dies uberdeutlich bei der flutartigen und uberwiegend emotionalen Pressereaktion auf die Publikation der WHO, mit der sie Fleisch und Fleischprodukte nun offiziell als krebserregend einstuft. Nicht zu vergessen: Deutschland (mit steigender Tendenz!) ist nach wie vor eines der am starksten fleischproduzierenden und -exportierenden Lander [9] – eine starke Lobby tragt hier zweifellos masgeblich dazu bei, eine sachliche Diskussion zum Thema effektiv zu vernebeln. Vergleiche zum Gebaren der Zigarettenindustrie in fruheren Jahrzehnten sind schon an anderer Stelle mehrfach gezogen worden. Published online: April 13, 2016","PeriodicalId":51049,"journal":{"name":"Forschende Komplementarmedizin","volume":null,"pages":null},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2016-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://sci-hub-pdf.com/10.1159/000445519","citationCount":"2","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Forschende Komplementarmedizin","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1159/000445519","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"2016/4/13 0:00:00","PubModel":"Epub","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Sich vegetarisch zu ernahren, ganz zu schweigen davon, dies mit gesundheitlichen Vorteilen und therapeutischen Argumenten zu begrunden, bedeutete noch vor 2 Jahrzehnten in Mitteleuropa in wechselnder Abfolge Vereinsamung am Tisch, mitleidige Blicke und Kommentare von Freunden und Familienangehorigen oder soziales Ausenseitertum im offentlichen kulinarischen Raum [1, 2]. Die Situation hat sich seitdem in beeindruckender Geschwindigkeit verandert. Nicht nur, dass vegetarische Ernahrungsweisen in der Bevolkerung seit Jahren kontinuierlich auf dem Vormarsch sind und das Stigma der Mangelernahrung – zumindest in urbanen Ballungsraumen (nicht nur in Kosmopolen wie London oder Berlin) – langst verloren haben. Nein, mittlerweile gilt es in der einschlagigen Szene schon langst als «retro», wenn man von «vegetarisch» spricht; «vegan», «pflanzenbasiert» und «roh» sind langst die neuen diesbezuglichen gesellschaftlichen Trendbegriffe [3, 4]. Trotz der grosen Offentlichkeit, die das Thema zunehmend geniest, sind zahlreiche Vorurteile (auf beiden Seiten) nur schwerlich aus der Welt zu schaffen. Daran scheinen auch die mittlerweile zahlreich vorliegenden Studien zu diesem Thema nichts zu andern, obwohl sie zu einem guten Teil mit hochwertigen Studiendesigns, grosen Probandenzahlen und Ergebnissen daherkommen, die nahelegen, dass ein Verzicht beziehungsweise eine deutliche Reduktion des Verzehrs von rotem Fleisch, Fleischprodukten und tierischen Proteinen viele gesundheitliche Benefits mit sich bringen [5–8] (von globalen okologischen, okonomischen und ethischen Aspekten ganz abgesehen). Kurioserweise ist dies vor allem in der Medizin und den Gesundheitswissenschaften hartnackig der Fall, und inzwischen scheinen nicht selten Patienten und Patientinnen zu diesem Thema besser aufgeklart als der ein oder andere Therapeut, der deshalb konsultiert wird. Dies hat sicher viel mit der Tatsache zu tun, dass das Thema Ernahrung im Medizinstudium nach wie vor eine vollig untergeordnete Rolle spielt und es im Curriculum, auch von neuen Modellund Reformstudiengangen, ein Ausenseiterdasein fristet. In der offentlichen Diskussion kommt komplizierend der Aspekt zum Tragen, dass es fur Menschen in Wohlstandsregionen (insbesondere in Europa) schwierig zu sein scheint, sich von Traditionen und Gewohnheiten, die sich um tierische Produkte drehen, zu trennen bzw. daruber aus gesundheitlicher Sicht kritisch zu reflektieren. Bei solch emotionsgeladenen Themen hilft dann auch meist die beste Studie nichts, wenn diese nicht ins eigene paradigmatische Weltbild passt. Zu beobachten war dies uberdeutlich bei der flutartigen und uberwiegend emotionalen Pressereaktion auf die Publikation der WHO, mit der sie Fleisch und Fleischprodukte nun offiziell als krebserregend einstuft. Nicht zu vergessen: Deutschland (mit steigender Tendenz!) ist nach wie vor eines der am starksten fleischproduzierenden und -exportierenden Lander [9] – eine starke Lobby tragt hier zweifellos masgeblich dazu bei, eine sachliche Diskussion zum Thema effektiv zu vernebeln. Vergleiche zum Gebaren der Zigarettenindustrie in fruheren Jahrzehnten sind schon an anderer Stelle mehrfach gezogen worden. Published online: April 13, 2016