{"title":"Sozialrecht und evidenzbasierte Gesundheitsversorgung in Deutschland","authors":"Felix Welti","doi":"10.1016/j.zgesun.2007.08.003","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<div><p>Für die Durchsetzung evidenzbasierter Gesundheitsversorgung in Deutschland ist es wesentlich, ob das Sozialrecht fordert oder ermöglicht, bestmögliche Evidenz handlungsleitend zu berücksichtigen. Betrachtet wird dies hier am Beispiel der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V).</p><p>In den Leistungsgrundsätzen der Krankenversicherung (§ 2 SGB V) wird gefordert, dass die Leistungen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse erbracht werden und den medizinischen Fortschritt beachten. Sie müssen wirksam und wirtschaftlich sein. Die besonderen Therapierichtungen sind nicht von der Versorgung ausgeschlossen. Sie müssen aber die Normen in gleicher Weise beachten.</p><p>Wirtschaftlichkeit ist so definiert (§ 12 SGB V), dass die Leistungen ausreichend und zweckmäßig sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Damit wird die Verbindung von Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit formuliert. Abstriche an der Wirksamkeit werden durch das Wirtschaftlichkeitsgebot grundsätzlich nicht verlangt.</p><p>Verantwortlich für die bedarfsgerechte, gleichmäßige und qualitativen Standards entsprechende Versorgung sind die Krankenkassen und die Leistungserbringer gemeinsam (§ 70 SGB V). Die präzisierenden Anforderungen an § 70 SGB V geben deutliche Hinweise darauf, dass sie nur mit der Methodik der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung auszufüllen sind. Die Akteure sind entsprechend verantwortlich, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.</p><p>Zwischen dem individuellen Leistungsanspruch und den gesetzlichen Vorgaben bedarf es der Vermittlung auf einer Ebene genereller Konkretisierung der Leistungen. Diese wird in Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (§ 92 SGB V) vorgenommen. Der Gesetzgeber hat den G-BA ermächtigt, Leistungen von der Versorgung auszuschließen, die den gesetzlichen Anforderungen nicht genügen. Bei neuen Behandlungsmethoden wird differenziert: Während sie in Krankenhäusern bis zu einer negativen Entscheidung des G-BA zulässig sind, gilt in der vertragsärztlichen Versorgung ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Dem G-BA arbeitet das fachlich unabhängige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) zu, das auch Verantwortung für die Verfügbarkeit von Evidenz hat. Der G-BA ist als Institution und in seiner konkreten Ausgestaltung verfassungsrechtlich und politisch umstritten.</p><p>In seiner Verfahrensordnung regelt der G-BA die Einteilung vorliegender und vorgelegter Erkenntnisse in Evidenzklassen und das Verfahren ihrer Bewertung. Der Grad der Evidenz und die Relevanz für die Versorgungspraxis haben dabei Vorrang.</p><p>Das Bundessozialgericht hat bisher Entscheidungen und Nichtentscheidungen des G-BA nur im Ausnahmefall eines Systemversagens auf ihre Richtigkeit überprüft und den Leistungsanspruch selbst bestimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung vom 6.12.2005 eine stärkere sozialgerichtliche Kontrolle und einen weniger strikten Maßstab bei der Bestimmung des Leistungsanspruchs gefordert. BSG und G-BA werden aber weiterhin Ergebnisse und Methoden der evidenzbasierten Medizin in das Recht rezipieren.</p></div><div><p>The present contribution examines whether German Social Security Law requires or allows the German health care system to follow the principles of evidence-based health care. The discussion will be based on the relevant example of statutory health insurance (Book of Social Code V-SGB V).</p><p>According to Sect. 2 SGB V health care provision has to follow medical standards, acknowledging medical progress. It has to be effective and efficient. Special therapies are not outlawed, but also have to follow these principles. Efficiency is defined (Sect. 12 SGB V) by the benefits being sufficient and necessary.</p><p>The responsibility for achieving these goals and supplying the benefits for all people according to need lies with the health care insurance funds along with the physicians’ associations (Kassenärztliche Vereinigung) and the hospitals (Sect. 70 SGB V). These organisations cooperate in the Federal Joint Committee (Gemeinsamer Bundesausschuss, G-BA, Sect. 92 SGB V), where they have to hear organisations of patients and of the disabled also. The G-BA is allowed by law to exclude therapies not meeting the SGB V criteria. The Institute for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG) advises the G-BA and is also responsible for generating evidence. A major political and constitutional controversy has been triggered on the legitimation of the Federal Joint Committee. In its statute the G-BA recurs on evidence-based health care. It examines therapies according to the degree of available evidence and the usability of the evidence in the respective supply setting.</p><p>The Federal Social Court (Bundessozialgericht, BSG) decided that the decisions of the G-BA could not be challenged for being medically incorrect. In 2005, the Federal Constitutional Court (Bundesverfassungsgericht-BVerfG) decided that a stricter control over the G-BA by the social courts was needed and that in the case of serious disease a lower evidence level might be sufficient. BSG and G-BA will continue to accept the results and methods of Evidence-based Medicine.</p></div>","PeriodicalId":79544,"journal":{"name":"Zeitschrift fur arztliche Fortbildung und Qualitatssicherung","volume":"101 7","pages":"Pages 447-454"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2007-10-29","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://sci-hub-pdf.com/10.1016/j.zgesun.2007.08.003","citationCount":"1","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Zeitschrift fur arztliche Fortbildung und Qualitatssicherung","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S143176210700190X","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Für die Durchsetzung evidenzbasierter Gesundheitsversorgung in Deutschland ist es wesentlich, ob das Sozialrecht fordert oder ermöglicht, bestmögliche Evidenz handlungsleitend zu berücksichtigen. Betrachtet wird dies hier am Beispiel der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V).
In den Leistungsgrundsätzen der Krankenversicherung (§ 2 SGB V) wird gefordert, dass die Leistungen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse erbracht werden und den medizinischen Fortschritt beachten. Sie müssen wirksam und wirtschaftlich sein. Die besonderen Therapierichtungen sind nicht von der Versorgung ausgeschlossen. Sie müssen aber die Normen in gleicher Weise beachten.
Wirtschaftlichkeit ist so definiert (§ 12 SGB V), dass die Leistungen ausreichend und zweckmäßig sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Damit wird die Verbindung von Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit formuliert. Abstriche an der Wirksamkeit werden durch das Wirtschaftlichkeitsgebot grundsätzlich nicht verlangt.
Verantwortlich für die bedarfsgerechte, gleichmäßige und qualitativen Standards entsprechende Versorgung sind die Krankenkassen und die Leistungserbringer gemeinsam (§ 70 SGB V). Die präzisierenden Anforderungen an § 70 SGB V geben deutliche Hinweise darauf, dass sie nur mit der Methodik der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung auszufüllen sind. Die Akteure sind entsprechend verantwortlich, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Zwischen dem individuellen Leistungsanspruch und den gesetzlichen Vorgaben bedarf es der Vermittlung auf einer Ebene genereller Konkretisierung der Leistungen. Diese wird in Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (§ 92 SGB V) vorgenommen. Der Gesetzgeber hat den G-BA ermächtigt, Leistungen von der Versorgung auszuschließen, die den gesetzlichen Anforderungen nicht genügen. Bei neuen Behandlungsmethoden wird differenziert: Während sie in Krankenhäusern bis zu einer negativen Entscheidung des G-BA zulässig sind, gilt in der vertragsärztlichen Versorgung ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Dem G-BA arbeitet das fachlich unabhängige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) zu, das auch Verantwortung für die Verfügbarkeit von Evidenz hat. Der G-BA ist als Institution und in seiner konkreten Ausgestaltung verfassungsrechtlich und politisch umstritten.
In seiner Verfahrensordnung regelt der G-BA die Einteilung vorliegender und vorgelegter Erkenntnisse in Evidenzklassen und das Verfahren ihrer Bewertung. Der Grad der Evidenz und die Relevanz für die Versorgungspraxis haben dabei Vorrang.
Das Bundessozialgericht hat bisher Entscheidungen und Nichtentscheidungen des G-BA nur im Ausnahmefall eines Systemversagens auf ihre Richtigkeit überprüft und den Leistungsanspruch selbst bestimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung vom 6.12.2005 eine stärkere sozialgerichtliche Kontrolle und einen weniger strikten Maßstab bei der Bestimmung des Leistungsanspruchs gefordert. BSG und G-BA werden aber weiterhin Ergebnisse und Methoden der evidenzbasierten Medizin in das Recht rezipieren.
The present contribution examines whether German Social Security Law requires or allows the German health care system to follow the principles of evidence-based health care. The discussion will be based on the relevant example of statutory health insurance (Book of Social Code V-SGB V).
According to Sect. 2 SGB V health care provision has to follow medical standards, acknowledging medical progress. It has to be effective and efficient. Special therapies are not outlawed, but also have to follow these principles. Efficiency is defined (Sect. 12 SGB V) by the benefits being sufficient and necessary.
The responsibility for achieving these goals and supplying the benefits for all people according to need lies with the health care insurance funds along with the physicians’ associations (Kassenärztliche Vereinigung) and the hospitals (Sect. 70 SGB V). These organisations cooperate in the Federal Joint Committee (Gemeinsamer Bundesausschuss, G-BA, Sect. 92 SGB V), where they have to hear organisations of patients and of the disabled also. The G-BA is allowed by law to exclude therapies not meeting the SGB V criteria. The Institute for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG) advises the G-BA and is also responsible for generating evidence. A major political and constitutional controversy has been triggered on the legitimation of the Federal Joint Committee. In its statute the G-BA recurs on evidence-based health care. It examines therapies according to the degree of available evidence and the usability of the evidence in the respective supply setting.
The Federal Social Court (Bundessozialgericht, BSG) decided that the decisions of the G-BA could not be challenged for being medically incorrect. In 2005, the Federal Constitutional Court (Bundesverfassungsgericht-BVerfG) decided that a stricter control over the G-BA by the social courts was needed and that in the case of serious disease a lower evidence level might be sufficient. BSG and G-BA will continue to accept the results and methods of Evidence-based Medicine.
在德国,基于证据的医保的强制实施是要求社会法律或允许将最佳证据纳入最佳实践的关键。被视为法定医疗保险中领略这(SGB V)和合法Leistungsgrundsätzen保险(§2 SGB V)”要求,将服务普遍公认的医学知识状况后提供医疗的进步会重视.它们必须有效力,而且要经济。特殊Therapierichtungen不是这艘飞船的排除.但是您必须同样的遵守规范。经济是这样定义(§12 SGB V)成绩必须充分和适当的和必要的程度不会超过.使用这个效果与经济制定.只求速度效益都会Wirtschaftlichkeitsgebot原则上不要求.负责bedarfsgerechte,熔炼和定性标准相应服务是医疗保险和Leistungserbringer一起(§70 SGB V .)要求在präzisierenden§70 SGB V,有明显的迹象表明只说填循证医疗保健的方法是.演员的相应责任,要创造条件.个人领取养恤金的权利和法律上的地位要求是在全球化过程中发生的这些共同Bundesausschusses准则(§92 SGB V)进行.立法者刺激了G-BA授权服务;排除根据法律规定还不够.在新疗法就由区域:当你在医院至G-BA的消极决定为在vertragsärztlichen适用禁止提供Erlaubnisvorbehalt .G-BA工作的卫生质量和经济效率的专业的独立学院(IQWIG),这也是责任证据有.供应G-BA是作为一个机构,在其具体的宪法和政治争议.在其议事规则中,gba规定把突出的和认为的事实按事实分类以及评价过程。这种证据的程度和相关性Versorgungspraxis过程中优先.Bundessozialgericht把目前的决策和Nichtentscheidungen G-BA一种特例,竞争复查检查的权利本身一定.联邦宪法法院在2005年12月6日的一项裁决中要求更严格的社会保护,要求不那么严格的津贴标准。但无论如何参照循证医学的成果和方法都将有效地证明其合理性。The present contribution examines whether or allows德国队有社会保障法律requires The health care系统在德国不得不跟着The principles of evidence-based health care .》(#你很大程度上相关example of statutory健康保险(图书of Social代码V-SGB V) .According to Sect . 2 SGB V health care佣金一种不得不跟着医学标准acknowledging医学progress .它完全没有杀伤力特别therapies outlawed但也有不得不跟着【在论文principles .慈善除了满足,还会有帮助《责任for achieving这些目标与supplying》主要为所有人民据消息需要读和The health care保险基金不是件容易事The physicians ' associations (Kassenärztliche协会)and The室(Sect . 70 SGB V) .论文“任命cooperate《联邦联合委员会(共同Bundesausschuss G-BA Sect . 92的SGB V),他们也该“听《餐具of patients and disabled所以.《罗G-BA is allowed to exclude therapies紧急会议(The SGB criteria V .公共卫生服务((IQWiG) of gba)经共体需要为显而易见的证据负责。A political and constitutional少校controversy中的黑人triggered on the合法性《联邦联合委员会.以生活为基本写照的gba医疗记录。It examines therapies据消息the degree of available始祖usability的始祖《respective supply setting .《联邦社会法院——今天Bundessozialgericht decided通往决定《G-BA力,困境challenged for恼" medically incorrect .