{"title":"Die bemerkenswerte Mobilität „unbeweglicher“ Seepocken","authors":"","doi":"10.1002/cite.202570303","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<p>Seepocken – diese kleinen, muschelartigen Krustentiere, die oft Schiffsrümpfe, Felsen und sogar Meeresschildkröten bedecken – galten lange Zeit als sesshafte Lebewesen. Einmal angeheftet, so die gängige Meinung, verbringen sie ihr gesamtes Leben an ein und demselben Fleck. Doch die Forschung von Professor Dr. Benny Kwok-Kan Chan vom Biodiversity Research Center (BRC) der Academia Sinica in Taiwan zeigt, dass diese Annahme nicht immer zutrifft.</p><p>Chan und sein Team machten eine erstaunliche Entdeckung: Manche Seepocken, insbesondere jene, die auf Schildkröten leben, können sich entgegen der landläufigen Annahme fortbewegen. Mithilfe spezieller Zementproteine, die sie produzieren, können sie ihre Haftung lösen, sich gleitend über die Oberfläche bewegen und sich anschließend wieder fest verankern. Diese Fähigkeit ermöglicht es ihnen, sich an verändernde Umgebungsbedingungen anzupassen und beispielsweise beschädigte Stellen auf dem Schildkrötenpanzer zu verlassen.</p><p>Doch ihre Forschung offenbarte noch weitere Überraschungen. So stellte das Team fest, dass Seepocken in verschiedenen Lebensstadien und für unterschiedliche Funktionen spezifische Zementproteine einsetzen. Larven und Adulte verfügen über eigene Sets dieser vielseitigen Klebeproteine. Interessanterweise ähneln sich die Zementproteine von Seepocken, die ähnliche Lebensräume bewohnen. Dennoch gibt es Unterschiede in der Anzahl bestimmter Proteinvariationen. Diese Vielfalt ist der Schlüssel zur bemerkenswerten Anpassungsfähigkeit der Seepocken an verschiedenste Umgebungen.</p><p>Für diese Arbeit zeichnete die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) Chan nun mit dem Mario-Markus-Preis für ludische Wissenschaften aus. Der mit 10 000 Euro dotierte Preis wird von Professor Dr. Mario Markus, Dortmund, finanziert, der sich der ludischen Wissenschaft verschrieben und diesen Begriff geprägt hat. Er würdigt wissenschaftliche Arbeiten aus dem Bereich der Naturwissenschaften, die sich durch ihren spielerischen Charakter auszeichnen. Chans Entdeckungen beruhen auf seinem spielerischen Forschungsansatz. „Ludisch“ bezeichnet dabei eine Herangehensweise, die von Neugier, Experimentierfreude und Kreativität geprägt ist. Der Blick in die Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass bahnbrechende Erkenntnisse oft auf solch spielerischen Wegen gewonnen wurden. In einer Zeit, in der Forschung zunehmend unter dem Aspekt der konkreten Anwendbarkeit steht, erinnert der Mario-Markus-Preis daran, dass Wissenschaft immer auch von Neugier und Spieltrieb lebt.</p><p>Doch auch Chans „spielerische“ Forschung eröffnet bereits Anwendungsperspektiven. Das neu gewonnene Verständnis der Zementproteine könnte beispielsweise zur Entwicklung neuartiger, starker Unterwasserklebstoffe beitragen. Von der Seepockenforschung zu innovativen Materialien – dieser Weg zeigt exemplarisch, wie zweckfreie Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Entwicklung oft Hand in Hand gehen.</p><p>Benny Kwok-Kan Chan studierte zunächst Umweltwissenschaften an der University of Hong Kong, bevor er im Jahr 2000 ebenfalls dort in Meeresökologie promovierte. In den folgenden Jahren blieb er der University of Hong Kong treu und arbeitete dort zunächst als Post-Doc-Stipendiat und später als wissenschaftlicher Assistenzprofessor im Bereich Meeresökologie. 2005 wechselte er ans Biodiversity Research Center (BRC), Academia Sinica, Taiwan, wo er heute als Direktor und darüber hinaus als Research Fellow im Bereich Meeresökologie tätig ist. Chan forscht zu Seepocken und ihren Küstenlebensräumen, um die Vielfalt, Phylogeografie, Ökologie und Evolution der Indo-Pazifik-Meeresfauna zu studieren. Seine Forschung erstreckt sich von Genen und Molekülen bis hin zu Ökosystemen. Seit 2003 hat er 212 wissenschaftliche Artikel, 16 Buchkapitel und acht Bücher veröffentlicht. 2022 wurde er für zwei Jahre zum Präsidenten der internationalen Gesellschaft für professionelle Krebstierforscher The Crustacean Society (TCS) gewählt, der er heute noch als Immediate Past President verbunden ist.</p>","PeriodicalId":9912,"journal":{"name":"Chemie Ingenieur Technik","volume":"97 3","pages":"140-141"},"PeriodicalIF":1.5000,"publicationDate":"2025-03-07","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/cite.202570303","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Chemie Ingenieur Technik","FirstCategoryId":"5","ListUrlMain":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/cite.202570303","RegionNum":4,"RegionCategory":"工程技术","ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q3","JCRName":"ENGINEERING, CHEMICAL","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Seepocken – diese kleinen, muschelartigen Krustentiere, die oft Schiffsrümpfe, Felsen und sogar Meeresschildkröten bedecken – galten lange Zeit als sesshafte Lebewesen. Einmal angeheftet, so die gängige Meinung, verbringen sie ihr gesamtes Leben an ein und demselben Fleck. Doch die Forschung von Professor Dr. Benny Kwok-Kan Chan vom Biodiversity Research Center (BRC) der Academia Sinica in Taiwan zeigt, dass diese Annahme nicht immer zutrifft.
Chan und sein Team machten eine erstaunliche Entdeckung: Manche Seepocken, insbesondere jene, die auf Schildkröten leben, können sich entgegen der landläufigen Annahme fortbewegen. Mithilfe spezieller Zementproteine, die sie produzieren, können sie ihre Haftung lösen, sich gleitend über die Oberfläche bewegen und sich anschließend wieder fest verankern. Diese Fähigkeit ermöglicht es ihnen, sich an verändernde Umgebungsbedingungen anzupassen und beispielsweise beschädigte Stellen auf dem Schildkrötenpanzer zu verlassen.
Doch ihre Forschung offenbarte noch weitere Überraschungen. So stellte das Team fest, dass Seepocken in verschiedenen Lebensstadien und für unterschiedliche Funktionen spezifische Zementproteine einsetzen. Larven und Adulte verfügen über eigene Sets dieser vielseitigen Klebeproteine. Interessanterweise ähneln sich die Zementproteine von Seepocken, die ähnliche Lebensräume bewohnen. Dennoch gibt es Unterschiede in der Anzahl bestimmter Proteinvariationen. Diese Vielfalt ist der Schlüssel zur bemerkenswerten Anpassungsfähigkeit der Seepocken an verschiedenste Umgebungen.
Für diese Arbeit zeichnete die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) Chan nun mit dem Mario-Markus-Preis für ludische Wissenschaften aus. Der mit 10 000 Euro dotierte Preis wird von Professor Dr. Mario Markus, Dortmund, finanziert, der sich der ludischen Wissenschaft verschrieben und diesen Begriff geprägt hat. Er würdigt wissenschaftliche Arbeiten aus dem Bereich der Naturwissenschaften, die sich durch ihren spielerischen Charakter auszeichnen. Chans Entdeckungen beruhen auf seinem spielerischen Forschungsansatz. „Ludisch“ bezeichnet dabei eine Herangehensweise, die von Neugier, Experimentierfreude und Kreativität geprägt ist. Der Blick in die Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass bahnbrechende Erkenntnisse oft auf solch spielerischen Wegen gewonnen wurden. In einer Zeit, in der Forschung zunehmend unter dem Aspekt der konkreten Anwendbarkeit steht, erinnert der Mario-Markus-Preis daran, dass Wissenschaft immer auch von Neugier und Spieltrieb lebt.
Doch auch Chans „spielerische“ Forschung eröffnet bereits Anwendungsperspektiven. Das neu gewonnene Verständnis der Zementproteine könnte beispielsweise zur Entwicklung neuartiger, starker Unterwasserklebstoffe beitragen. Von der Seepockenforschung zu innovativen Materialien – dieser Weg zeigt exemplarisch, wie zweckfreie Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Entwicklung oft Hand in Hand gehen.
Benny Kwok-Kan Chan studierte zunächst Umweltwissenschaften an der University of Hong Kong, bevor er im Jahr 2000 ebenfalls dort in Meeresökologie promovierte. In den folgenden Jahren blieb er der University of Hong Kong treu und arbeitete dort zunächst als Post-Doc-Stipendiat und später als wissenschaftlicher Assistenzprofessor im Bereich Meeresökologie. 2005 wechselte er ans Biodiversity Research Center (BRC), Academia Sinica, Taiwan, wo er heute als Direktor und darüber hinaus als Research Fellow im Bereich Meeresökologie tätig ist. Chan forscht zu Seepocken und ihren Küstenlebensräumen, um die Vielfalt, Phylogeografie, Ökologie und Evolution der Indo-Pazifik-Meeresfauna zu studieren. Seine Forschung erstreckt sich von Genen und Molekülen bis hin zu Ökosystemen. Seit 2003 hat er 212 wissenschaftliche Artikel, 16 Buchkapitel und acht Bücher veröffentlicht. 2022 wurde er für zwei Jahre zum Präsidenten der internationalen Gesellschaft für professionelle Krebstierforscher The Crustacean Society (TCS) gewählt, der er heute noch als Immediate Past President verbunden ist.
期刊介绍:
Die Chemie Ingenieur Technik ist die wohl angesehenste deutschsprachige Zeitschrift für Verfahrensingenieure, technische Chemiker, Apparatebauer und Biotechnologen. Als Fachorgan von DECHEMA, GDCh und VDI-GVC gilt sie als das unverzichtbare Forum für den Erfahrungsaustausch zwischen Forschern und Anwendern aus Industrie, Forschung und Entwicklung. Wissenschaftlicher Fortschritt und Praxisnähe: Eine Kombination, die es nur in der CIT gibt!