Schule trifft Forschung

IF 0.4 Q4 EDUCATION, SCIENTIFIC DISCIPLINES
ChemKon Pub Date : 2024-08-24 DOI:10.1002/ckon.202400044
Prof. Dr. Timm Wilke
{"title":"Schule trifft Forschung","authors":"Prof. Dr. Timm Wilke","doi":"10.1002/ckon.202400044","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"<p>Liebe Leser:innen,</p><p>zurzeit mangelt es wirklich nicht an Herausforderungen, denen wir uns als Gesamtgesellschaft stellen müssen – der Klimawandel, Umweltschäden, eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft und Pandemien sind nur ausgewählte Beispiele hierfür. Glücklicherweise werden an Universitäten, Forschungszentren oder Forschungsabteilungen von Unternehmen für diese und viele weiteren Probleme Strategien zur Bewältigung sowie Lösungen und Produkte entwickelt, die uns allen zugutekommen. Ein gutes Beispiel für den konkreten Nutzen von innovativer Forschung ist sicherlich die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen, die durch nanoskalige Kapseln („Nanocarrier“) geschützt ihre Wirkung im Körper entfalten können und zahlreiche Krankheitsverläufe abgemildert haben.</p><p>Die Entwicklung der klassischen und mRNA-Impfstoffe mit ihren klinischen Studien hatte neben der medizinischen Wirkung noch einen positiven „Nebeneffekt“: Während im Regelfall die Entwicklung, Prototypisierung und Erprobung von naturwissenschaftlichen oder technischen Innovationen wenig beachtet wird, hat in diesem Fall eine breite Öffentlichkeit daran Anteil genommen und den Prozess intensiv verfolgt. Mit Schaubildern, Animationen und in hohem Detailgrad haben große Medienhäuser die zugrunde liegenden Prinzipien des Wirkmechanismus erläutert und mit Interviews und Reportagen zahlreiche Einblicke in die oftmals fernen „Elfenbeintürme der Wissenschaft“ geboten.</p><p>Für einen spannenden und zukunftsweisenden Chemieunterricht ist es wünschenswert, dass (auch ganz ohne Pandemie) durch die Behandlung von aktuellen Forschungsthemen ein starker Bezug zur Lebenswelt von Schüler:innen hergestellt werden kann. An interessanten Fragestellungen, etwa im Themenfeld Klimawandel, mangelt es nicht: Wie können neue Solarzellen zur Deckung des Strombedarfs beitragen? Können dezentrale Natrium-Ionen-Akkumulatoren Stromüberschüsse und -bedarfe ausgleichen? Sind eFuels wirklich eine sinnvolle und klimaneutrale Alternative? Und, und, und …</p><p>Die didaktische Erschließung solcher innovativer Themenfelder benötigt Zeit und Expertise im Spannungsfeld zwischen Fachdidaktik, Fachwissenschaft und Unterrichtspraxis. Von zentraler Bedeutung für den Erfolg dieses Prozesses ist einerseits die Entwicklung von einfachen, aber aussagekräftigen Experimenten, die mit günstigen, ungefährlichen Chemikalien und Materialien durchgeführt werden können. Hohe Anschaffungskosten wurden hierbei in Studien verständlicherweise als Barriere für den Unterrichtseinsatz identifiziert. Andererseits ist die konsequente Anbindung der Inhalte an die Vorgaben des jeweiligen Kerncurriculums oder Lehrplans wichtig, da Unterrichtszeit grundsätzlich knapp bemessen ist. Wenn es aber gelingt, klassische Inhalte der Schulchemie anhand von modernen, bedeutsamen und attraktiven Kontexten zu vermitteln, profitieren Schüler:innen und Lehrkräfte im Chemieunterricht gleichermaßen. Dieser Herausforderung widmen sich zahlreiche Arbeitsgruppen im Bereich der experimentell-konzeptionellen Chemiedidaktik.</p><p>In der aktuellen Ausgabe mit dem Titel „Schule trifft Forschung“ wird in fünf Beiträgen vorgestellt, wie aktuelle Forschungsthemen gewinnbringend in den Chemieunterricht integriert werden können. Der erste Beitrag präsentiert zwei Versuchsreihen zur Nanomedizin aus dem Sonderforschungsbereich PolyTarget, die das Prinzip der Nanocarrier für den zielgerichteten Wirkstofftransport behandeln. Durch einfache Experimente lernen Schüler:innen der Sek. II, wie Polymere als Transportmittel genutzt werden können, um Wirkstoffe gezielt zu Organen und infiziertem Gewebe zu bringen. Diese Experimente verbinden die Themen „Nano“ und „Polymere“ und ermöglichen es, klassische Inhalte des Chemieunterrichts in einem attraktiven Kontext zu vermitteln.</p><p>Der zweite Beitrag aus dem Graduiertenkolleg <sup>1,2,3</sup>H stellt ein Schülerlaborkonzept vor, das einen Einblick in die Arbeit der chemischen Forschung bietet. Durch Experimente zur photokatalytischen Deuterierung lernen die Schüler:innen nicht nur die chemischen Eigenschaften von Wasserstoff und Deuterium kennen, sondern auch die Photokatalyse und die spezifischen Methoden der Deuterierung. Videobasierte Interviews mit Forschenden runden das Konzept ab und geben einen authentischen Einblick in die Welt der Wissenschaft.</p><p>Der dritte Beitrag greift das Thema der Decarbonisierung auf und stellt die Umstellung der Stahlproduktion auf klimafreundlichere Methoden vor. Anstatt des traditionellen Hochofens wird die Direktreduktion mit Ammoniak als eine kostengünstige Alternative zu Wasserstoff vorgestellt. Ein einfaches Schulexperiment zur Herstellung von Ammoniak und zur Reduktion von Eisenoxid macht dieses komplexe Thema für den Unterricht greifbar und zeigt den Wandel industrieller Prozesse.</p><p>Der vierte Beitrag aus dem Sonderforschungsbereich 1073 widmet sich der Elektro-Fenton-Reaktion als nachhaltige Methode zur Beseitigung von Schadstoffen in Abwässern. Durch die Kombination elektrosynthetischer Methoden mit der Bildung von Radikalen können organische Schadstoffe effektiv abgebaut werden. Dieser experimentelle Unterrichtsgang bietet eine anschauliche Möglichkeit, grundlegende Konzepte der Elektrochemie, Katalyse und Radikalchemie zu erarbeiten und die Bedeutung nachhaltiger Verfahren zu verdeutlichen.</p><p>Abschließend behandelt der fünfte Beitrag aus der Kategorie „Das Experiment“ die elektrochemische Reduktion als innovative Methode, um Kohlenstoffdioxid als Rohstoff nutzbar zu machen. Durch katalytische Reduktionsreaktionen kann Kohlenstoff in nützlichen Verbindungen wie Kohlenstoffmonoxid oder Ameisensäure fixiert werden. Der Beitrag bietet ein praxisnahes Experiment, das dieses aktuelle Forschungsthema in den Chemieunterricht integriert und den Schüler:innen die Relevanz und Möglichkeiten der CO<sub>2</sub>-Nutzung aufzeigt.</p><p>Wir hoffen, dass diese Ausgabe Ihnen wertvolle Anregungen und Ideen für Ihren Unterricht bietet und Sie inspiriert, aktuelle Forschungsergebnisse in Ihre Lehre zu integrieren.</p><p>Timm Wilke, Jahrgang 1988, promovierte 2017 an der Universität Göttingen mit Gastaufenthalten am Florida Institute of Technology und am IPN in Kiel. Nach Stationen an den Universitäten Braunschweig, Graz, Jena und paralleler Unterrichtstätigkeit hat er seit 2023 eine Niedersachsen-Profil-Professur für Didaktik der Chemie an der Universität Oldenburg inne. Die fachdidaktische Erschließung aktueller Themenfelder für Schule und Schülerlabor ist ein Schwerpunkt seiner Forschung.</p>","PeriodicalId":43673,"journal":{"name":"ChemKon","volume":"31 6","pages":"206"},"PeriodicalIF":0.4000,"publicationDate":"2024-08-24","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/ckon.202400044","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"ChemKon","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ckon.202400044","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"Q4","JCRName":"EDUCATION, SCIENTIFIC DISCIPLINES","Score":null,"Total":0}
引用次数: 0

Abstract

Liebe Leser:innen,

zurzeit mangelt es wirklich nicht an Herausforderungen, denen wir uns als Gesamtgesellschaft stellen müssen – der Klimawandel, Umweltschäden, eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft und Pandemien sind nur ausgewählte Beispiele hierfür. Glücklicherweise werden an Universitäten, Forschungszentren oder Forschungsabteilungen von Unternehmen für diese und viele weiteren Probleme Strategien zur Bewältigung sowie Lösungen und Produkte entwickelt, die uns allen zugutekommen. Ein gutes Beispiel für den konkreten Nutzen von innovativer Forschung ist sicherlich die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen, die durch nanoskalige Kapseln („Nanocarrier“) geschützt ihre Wirkung im Körper entfalten können und zahlreiche Krankheitsverläufe abgemildert haben.

Die Entwicklung der klassischen und mRNA-Impfstoffe mit ihren klinischen Studien hatte neben der medizinischen Wirkung noch einen positiven „Nebeneffekt“: Während im Regelfall die Entwicklung, Prototypisierung und Erprobung von naturwissenschaftlichen oder technischen Innovationen wenig beachtet wird, hat in diesem Fall eine breite Öffentlichkeit daran Anteil genommen und den Prozess intensiv verfolgt. Mit Schaubildern, Animationen und in hohem Detailgrad haben große Medienhäuser die zugrunde liegenden Prinzipien des Wirkmechanismus erläutert und mit Interviews und Reportagen zahlreiche Einblicke in die oftmals fernen „Elfenbeintürme der Wissenschaft“ geboten.

Für einen spannenden und zukunftsweisenden Chemieunterricht ist es wünschenswert, dass (auch ganz ohne Pandemie) durch die Behandlung von aktuellen Forschungsthemen ein starker Bezug zur Lebenswelt von Schüler:innen hergestellt werden kann. An interessanten Fragestellungen, etwa im Themenfeld Klimawandel, mangelt es nicht: Wie können neue Solarzellen zur Deckung des Strombedarfs beitragen? Können dezentrale Natrium-Ionen-Akkumulatoren Stromüberschüsse und -bedarfe ausgleichen? Sind eFuels wirklich eine sinnvolle und klimaneutrale Alternative? Und, und, und …

Die didaktische Erschließung solcher innovativer Themenfelder benötigt Zeit und Expertise im Spannungsfeld zwischen Fachdidaktik, Fachwissenschaft und Unterrichtspraxis. Von zentraler Bedeutung für den Erfolg dieses Prozesses ist einerseits die Entwicklung von einfachen, aber aussagekräftigen Experimenten, die mit günstigen, ungefährlichen Chemikalien und Materialien durchgeführt werden können. Hohe Anschaffungskosten wurden hierbei in Studien verständlicherweise als Barriere für den Unterrichtseinsatz identifiziert. Andererseits ist die konsequente Anbindung der Inhalte an die Vorgaben des jeweiligen Kerncurriculums oder Lehrplans wichtig, da Unterrichtszeit grundsätzlich knapp bemessen ist. Wenn es aber gelingt, klassische Inhalte der Schulchemie anhand von modernen, bedeutsamen und attraktiven Kontexten zu vermitteln, profitieren Schüler:innen und Lehrkräfte im Chemieunterricht gleichermaßen. Dieser Herausforderung widmen sich zahlreiche Arbeitsgruppen im Bereich der experimentell-konzeptionellen Chemiedidaktik.

In der aktuellen Ausgabe mit dem Titel „Schule trifft Forschung“ wird in fünf Beiträgen vorgestellt, wie aktuelle Forschungsthemen gewinnbringend in den Chemieunterricht integriert werden können. Der erste Beitrag präsentiert zwei Versuchsreihen zur Nanomedizin aus dem Sonderforschungsbereich PolyTarget, die das Prinzip der Nanocarrier für den zielgerichteten Wirkstofftransport behandeln. Durch einfache Experimente lernen Schüler:innen der Sek. II, wie Polymere als Transportmittel genutzt werden können, um Wirkstoffe gezielt zu Organen und infiziertem Gewebe zu bringen. Diese Experimente verbinden die Themen „Nano“ und „Polymere“ und ermöglichen es, klassische Inhalte des Chemieunterrichts in einem attraktiven Kontext zu vermitteln.

Der zweite Beitrag aus dem Graduiertenkolleg 1,2,3H stellt ein Schülerlaborkonzept vor, das einen Einblick in die Arbeit der chemischen Forschung bietet. Durch Experimente zur photokatalytischen Deuterierung lernen die Schüler:innen nicht nur die chemischen Eigenschaften von Wasserstoff und Deuterium kennen, sondern auch die Photokatalyse und die spezifischen Methoden der Deuterierung. Videobasierte Interviews mit Forschenden runden das Konzept ab und geben einen authentischen Einblick in die Welt der Wissenschaft.

Der dritte Beitrag greift das Thema der Decarbonisierung auf und stellt die Umstellung der Stahlproduktion auf klimafreundlichere Methoden vor. Anstatt des traditionellen Hochofens wird die Direktreduktion mit Ammoniak als eine kostengünstige Alternative zu Wasserstoff vorgestellt. Ein einfaches Schulexperiment zur Herstellung von Ammoniak und zur Reduktion von Eisenoxid macht dieses komplexe Thema für den Unterricht greifbar und zeigt den Wandel industrieller Prozesse.

Der vierte Beitrag aus dem Sonderforschungsbereich 1073 widmet sich der Elektro-Fenton-Reaktion als nachhaltige Methode zur Beseitigung von Schadstoffen in Abwässern. Durch die Kombination elektrosynthetischer Methoden mit der Bildung von Radikalen können organische Schadstoffe effektiv abgebaut werden. Dieser experimentelle Unterrichtsgang bietet eine anschauliche Möglichkeit, grundlegende Konzepte der Elektrochemie, Katalyse und Radikalchemie zu erarbeiten und die Bedeutung nachhaltiger Verfahren zu verdeutlichen.

Abschließend behandelt der fünfte Beitrag aus der Kategorie „Das Experiment“ die elektrochemische Reduktion als innovative Methode, um Kohlenstoffdioxid als Rohstoff nutzbar zu machen. Durch katalytische Reduktionsreaktionen kann Kohlenstoff in nützlichen Verbindungen wie Kohlenstoffmonoxid oder Ameisensäure fixiert werden. Der Beitrag bietet ein praxisnahes Experiment, das dieses aktuelle Forschungsthema in den Chemieunterricht integriert und den Schüler:innen die Relevanz und Möglichkeiten der CO2-Nutzung aufzeigt.

Wir hoffen, dass diese Ausgabe Ihnen wertvolle Anregungen und Ideen für Ihren Unterricht bietet und Sie inspiriert, aktuelle Forschungsergebnisse in Ihre Lehre zu integrieren.

Timm Wilke, Jahrgang 1988, promovierte 2017 an der Universität Göttingen mit Gastaufenthalten am Florida Institute of Technology und am IPN in Kiel. Nach Stationen an den Universitäten Braunschweig, Graz, Jena und paralleler Unterrichtstätigkeit hat er seit 2023 eine Niedersachsen-Profil-Professur für Didaktik der Chemie an der Universität Oldenburg inne. Die fachdidaktische Erschließung aktueller Themenfelder für Schule und Schülerlabor ist ein Schwerpunkt seiner Forschung.

Abstract Image

学校与研究
通过将电合成方法与自由基的形成相结合,可以有效地分解有机污染物。最后,"实验 "类的第五篇论文涉及电化学还原,这是一种利用二氧化碳作为原料的创新方法。催化还原反应可将碳固定在有用的化合物中,如一氧化碳或甲酸。文章提供了一个将这一当前研究课题融入化学课的实际实验,并向学生展示了二氧化碳利用的相关性和可能性。我们希望本期杂志能为您的课程提供有价值的建议和想法,并激励您将当前的研究成果融入教学。Timm Wilke,1988 年出生,2017 年在哥廷根大学完成博士学位,并在佛罗里达理工学院和基尔的 IPN 做客座研究。在布伦瑞克大学、格拉茨大学和耶拿大学工作并兼任教师后,他自2023年起在奥尔登堡大学担任下萨克森州化学教学教授。他的研究重点是学校和学生实验室当前课题的教学发展。
本文章由计算机程序翻译,如有差异,请以英文原文为准。
求助全文
约1分钟内获得全文 求助全文
来源期刊
ChemKon
ChemKon EDUCATION, SCIENTIFIC DISCIPLINES-
自引率
50.00%
发文量
106
×
引用
GB/T 7714-2015
复制
MLA
复制
APA
复制
导出至
BibTeX EndNote RefMan NoteFirst NoteExpress
×
提示
您的信息不完整,为了账户安全,请先补充。
现在去补充
×
提示
您因"违规操作"
具体请查看互助需知
我知道了
×
提示
确定
请完成安全验证×
copy
已复制链接
快去分享给好友吧!
我知道了
右上角分享
点击右上角分享
0
联系我们:info@booksci.cn Book学术提供免费学术资源搜索服务,方便国内外学者检索中英文文献。致力于提供最便捷和优质的服务体验。 Copyright © 2023 布克学术 All rights reserved.
京ICP备2023020795号-1
ghs 京公网安备 11010802042870号
Book学术文献互助
Book学术文献互助群
群 号:481959085
Book学术官方微信