{"title":"Freie Elektronen an sichtbarem Licht gebeugt: Nach 70 Jahren wurde der Kapitza‐Dirac‐Effekt eindeutig nachgewiesen","authors":"Markus Arndt","doi":"10.1002/phbl.20010571108","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"rimenteller Schwierigkeiten lange umstrittene Frage [1]. Sie wurde erst jetzt mit dem sauberen Nachweis des so genannten KapitzaDirac-Effekts durch Batelaan und Mitarbeiter an der Universität von Nebraska, Lincoln, eindeutig bejaht [2]. Kapitza und Dirac betrachteten im Jahre 1933 die stimulierte Compton-Streuung zwischen Elektronen und Photonen zweier gegenläufiger Wellen aus sichtbarem Licht, die eine stehende Welle erzeugen. Sie erkannten, dass diese Streuung zur Reflexion der Elektronen unter dem Bragg-Winkel führen könnte [3]. In diesem Gedankenexperiment werden die Elektronen als Billardkugeln in einem quantisierten Lichtfeld betrachtet. Virtuelle Absorption aus der einen Stehwellenkomponente und stimulierte Photonenemission in die andere führt dann zu einem Impulsübertrag von ∆pe = ±N · 2!kph auf das Elektron mit dem Photonenimpuls !kph. Tatsächlich lässt sich das gleiche Experiment auch interpretieren, indem man die Elektronen als Materiewellen betrachtet, die im effektiven Potential der stehenden Lichtwelle einen modulierten Brechungsindex sehen. Da die Intensität der Stehwelle räumlich mit der Periode l/2 variiert, ergibt sich auch in dieser Beschreibung der Impulstransfer ∆pe = ±N · 2!kph mit den entsprechenden Beugungsmaxima. Freie Elektronen koppeln jedoch nur sehr schwach an sichtbares Licht. Kapitza und Dirac errechneten, dass nur ein verschwindender Anteil (10–14) der Elektronen gebeugt wird, wenn man das Licht einer 1-Watt-Quecksilberdampflampe verwendet. Optische Beugungsexperimente mit freien Elektronen mussten daher auf leistungsstarke, gepulste Lichtquellen bis zu den 60er Jahren warten. Unter allen bisherigen, allesamt umstrittenen Versuchen [1] kamen Bucksbaum und Kollegen 1988 dem Kapitza-DiracEffekt am nächsten [4]: Sie beobachteten zwar eine deutliche Ablenkung des Elektronenstrahls im Lichtfeld, arbeiteten aber mit einem Impulsübertrag von bis zu 1000 !kph im quasi-klassischen Bereich, in dem die Kohärenz zwischen den Teilstrahlen verloren geht. Für gebundene Elektronen in Atomen oder Molekülen kann die Kopplung an das Licht durch einen Resonanzeffekt stark überhöht werden. Der nahresonante KapitzaDirac-Effekt wurde 1986 erstmals für einen Natrium-Atomstrahl nachgewiesen [5] und seitdem in vielen Experimenten bis hin zur kohärenten Strahlteilung von Fullerenen verwendet [6]. Lichtgitter haben viele Vorteile gegenüber materiellen Beugungsstrukturen: Sie transmittieren perfekt, ihre Periode lässt sich mit der Lichtfrequenz verändern und sie sind frei von statischen Feldern. Insbesondere bei Ionen und Elektronen birgt die Nähe zu Wänden bei materiellen Gittern das Risiko, dass die Ablenkung durch statische Felder die quantenmechanischen Beugungswinkel bei weitem überwiegt oder dass gar Ladungen mit den Wänden ausgetauscht werden. Daher war es sehr wichtig, nun fast 70 Jahre nach dem Vorschlag durch Kapitza und Dirac die Möglichkeit von Lichtgittern für freie Elektronen endgültig nachzuweisen. Herman Batelaan und seinen Mitarbeitern ist dies in eindeutiger Weise gelungen [2]. Das Experiment ist konzeptionell einfach und im Resultat klar. Ein schneller Elektronenstrahl (de BroglieWellenlänge ldB ~ 60 pm) wird im Vakuum durch zwei Schlitzblenden kollimiert und an einer ihn kreuzenden Stehwelle gebeugt. Um die benötigte Laserintensität von (5×1010 W/cm2) für ein dünnes Lichtgitter zu erzielen, fokussierte das Nebraska-Team einen gepulsten, frequenzverdoppelten Nd:YAG Laser auf 125 mm. Das Beugungsgitter hat eine Periode von 266 nm. Mit einem 10 mm breiten Detektor im Fernfeld (24 cm) hinter dem Lichtgitter findet man daher saubere Beugungsordnungen im leicht trennbaren Abstand von rund 55 mm (siehe Abb.). In seiner experimentellen Überzeugungskraft wird dieses Resultat sicher in die Schulbücher eingehen. Man kann aber auch auf weiterführende Experimente hoffen. Es sollte z. B möglich sein, komplette Elektroneninterferometer auf dem Kapitza-Dirac-Effekt aufzubauen. Solche Anordnungen wären als empfindliche Rotationssensoren im Vergleich zu Atominterferometern billiger und kompakter, wenn auch nicht ganz so empfindlich. Zugleich ein Vorund Nachteil solcher Interferometer wäre ihre große Empfindlichkeit auf statische elektrische Felder. Batelaan und Mitarbeiter sehen auch die Möglichkeit, die Beugung von Elektronen an einer orientierten Molekülwolke zu studieren: Die gepulste Stehwelle könnte die Moleküle räumlich periodisch orientieren. Da die Wechselwirkung zwischen den Elektronen und den Molekülen von der Orientierung abhängt, könnte man so ein neuartiges Beugungsgitter für Elektronen bilden [2]. Einzigartig für Elektroneninterferometer ist die Aussicht, bei hohen Laserintensitäten mit relativistischen Quanten de BroglieInterferometrie durchzuführen. Auf jeden Fall wird noch mit manchen interessanten Ergebnissen zu rechnen sein. 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Abstract
rimenteller Schwierigkeiten lange umstrittene Frage [1]. Sie wurde erst jetzt mit dem sauberen Nachweis des so genannten KapitzaDirac-Effekts durch Batelaan und Mitarbeiter an der Universität von Nebraska, Lincoln, eindeutig bejaht [2]. Kapitza und Dirac betrachteten im Jahre 1933 die stimulierte Compton-Streuung zwischen Elektronen und Photonen zweier gegenläufiger Wellen aus sichtbarem Licht, die eine stehende Welle erzeugen. Sie erkannten, dass diese Streuung zur Reflexion der Elektronen unter dem Bragg-Winkel führen könnte [3]. In diesem Gedankenexperiment werden die Elektronen als Billardkugeln in einem quantisierten Lichtfeld betrachtet. Virtuelle Absorption aus der einen Stehwellenkomponente und stimulierte Photonenemission in die andere führt dann zu einem Impulsübertrag von ∆pe = ±N · 2!kph auf das Elektron mit dem Photonenimpuls !kph. Tatsächlich lässt sich das gleiche Experiment auch interpretieren, indem man die Elektronen als Materiewellen betrachtet, die im effektiven Potential der stehenden Lichtwelle einen modulierten Brechungsindex sehen. Da die Intensität der Stehwelle räumlich mit der Periode l/2 variiert, ergibt sich auch in dieser Beschreibung der Impulstransfer ∆pe = ±N · 2!kph mit den entsprechenden Beugungsmaxima. Freie Elektronen koppeln jedoch nur sehr schwach an sichtbares Licht. Kapitza und Dirac errechneten, dass nur ein verschwindender Anteil (10–14) der Elektronen gebeugt wird, wenn man das Licht einer 1-Watt-Quecksilberdampflampe verwendet. Optische Beugungsexperimente mit freien Elektronen mussten daher auf leistungsstarke, gepulste Lichtquellen bis zu den 60er Jahren warten. Unter allen bisherigen, allesamt umstrittenen Versuchen [1] kamen Bucksbaum und Kollegen 1988 dem Kapitza-DiracEffekt am nächsten [4]: Sie beobachteten zwar eine deutliche Ablenkung des Elektronenstrahls im Lichtfeld, arbeiteten aber mit einem Impulsübertrag von bis zu 1000 !kph im quasi-klassischen Bereich, in dem die Kohärenz zwischen den Teilstrahlen verloren geht. Für gebundene Elektronen in Atomen oder Molekülen kann die Kopplung an das Licht durch einen Resonanzeffekt stark überhöht werden. Der nahresonante KapitzaDirac-Effekt wurde 1986 erstmals für einen Natrium-Atomstrahl nachgewiesen [5] und seitdem in vielen Experimenten bis hin zur kohärenten Strahlteilung von Fullerenen verwendet [6]. Lichtgitter haben viele Vorteile gegenüber materiellen Beugungsstrukturen: Sie transmittieren perfekt, ihre Periode lässt sich mit der Lichtfrequenz verändern und sie sind frei von statischen Feldern. Insbesondere bei Ionen und Elektronen birgt die Nähe zu Wänden bei materiellen Gittern das Risiko, dass die Ablenkung durch statische Felder die quantenmechanischen Beugungswinkel bei weitem überwiegt oder dass gar Ladungen mit den Wänden ausgetauscht werden. Daher war es sehr wichtig, nun fast 70 Jahre nach dem Vorschlag durch Kapitza und Dirac die Möglichkeit von Lichtgittern für freie Elektronen endgültig nachzuweisen. Herman Batelaan und seinen Mitarbeitern ist dies in eindeutiger Weise gelungen [2]. Das Experiment ist konzeptionell einfach und im Resultat klar. Ein schneller Elektronenstrahl (de BroglieWellenlänge ldB ~ 60 pm) wird im Vakuum durch zwei Schlitzblenden kollimiert und an einer ihn kreuzenden Stehwelle gebeugt. Um die benötigte Laserintensität von (5×1010 W/cm2) für ein dünnes Lichtgitter zu erzielen, fokussierte das Nebraska-Team einen gepulsten, frequenzverdoppelten Nd:YAG Laser auf 125 mm. Das Beugungsgitter hat eine Periode von 266 nm. Mit einem 10 mm breiten Detektor im Fernfeld (24 cm) hinter dem Lichtgitter findet man daher saubere Beugungsordnungen im leicht trennbaren Abstand von rund 55 mm (siehe Abb.). In seiner experimentellen Überzeugungskraft wird dieses Resultat sicher in die Schulbücher eingehen. Man kann aber auch auf weiterführende Experimente hoffen. Es sollte z. B möglich sein, komplette Elektroneninterferometer auf dem Kapitza-Dirac-Effekt aufzubauen. Solche Anordnungen wären als empfindliche Rotationssensoren im Vergleich zu Atominterferometern billiger und kompakter, wenn auch nicht ganz so empfindlich. Zugleich ein Vorund Nachteil solcher Interferometer wäre ihre große Empfindlichkeit auf statische elektrische Felder. Batelaan und Mitarbeiter sehen auch die Möglichkeit, die Beugung von Elektronen an einer orientierten Molekülwolke zu studieren: Die gepulste Stehwelle könnte die Moleküle räumlich periodisch orientieren. Da die Wechselwirkung zwischen den Elektronen und den Molekülen von der Orientierung abhängt, könnte man so ein neuartiges Beugungsgitter für Elektronen bilden [2]. Einzigartig für Elektroneninterferometer ist die Aussicht, bei hohen Laserintensitäten mit relativistischen Quanten de BroglieInterferometrie durchzuführen. Auf jeden Fall wird noch mit manchen interessanten Ergebnissen zu rechnen sein. Markus Arndt