{"title":"Einleitung: Kritisches Denken als gemeinsame Praxis","authors":"C. Arnold, Samia Mohammed","doi":"10.5771/9783748910688-7","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Kritik scheint angesichts der Coronapandemie den Atem anhalten zu müssen. Das Coronavirus, das sich binnen Wochen am Anfang des Jahres 2020 pandemisch über den Globus ausbreitete, stürzte die Welt in multiple Krisen. Diese begegnen uns damals wie heute in drastischen Bildern und Meldungen und verweisen auf die Verwundbarkeit menschlicher Gesellschaften. Dabei ist beispielsweise an den Pflegenotstand zu denken, der sich in schlechter Bezahlung und Unterbesetzung in der Pflegebranche zeigt, oder an eine Vielzahl systemrelevanter Berufsgruppen, deren Beschäftigte zumeist prekär arbeiten und dabei Tätigkeiten nachgehen, bei denen die Einhaltung physischen Abstands nicht möglich ist. Einen Großteil der Kosten der Pandemie scheinen diejenigen tragen zu müssen, auf die wir in besonderem Maße angewiesen sind. Zugleich ist die Ungleichverteilung von Leid und Tod an der Tagesordnung, wenn z.B. in den USA Afroamerikaner*innen weit überproportional an Covid-19 erkranken und häufiger sterben als Weiße oder wenn an den europäischen Außengrenzen Geflüchtete in Lagern festgesetzt und von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen werden. Denn: Der staatliche Schutz von Leben bedeutet immer nur den Schutz von einigen und nicht von allen. Während diese Phänomene oft nicht prominent als Krisen gedeutet werden, zeigt die Proklamation der Pandemie als Krise, dass derartige Deutungen das Ergebnis von Prozessen des Einund Ausschlusses sowie politischer Machtkonstellationen sind. Dieser Umstand sowie die beschriebenen Verhältnisse waren und sind kritikwürdig. Sie präsentieren sich uns im Zuge der Pandemie auf eindringliche Art und Weise als ungerecht und ausbeuterisch und weisen so gerade auf die Notwendigkeit einer Kritik in der Krise hin. Kritische politische Theorie dient dabei als Voraussetzung und Mittel, um (Herrschafts-)Verhältnisse zu verstehen und zu verändern, und interveniert zugleich als Teil politischer Praxis. Doch auch die Beschreibung und Kritik der pandemischen Situation selbst steht vor bis heute nicht gekannten Schwierigkeiten: So stellt die Pandemie eine existentielle Bedrohung menschlichen Lebens und ZusamI.","PeriodicalId":316035,"journal":{"name":"Kritik in der Krise","volume":"36 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-11-23","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Kritik in der Krise","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/9783748910688-7","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Kritik scheint angesichts der Coronapandemie den Atem anhalten zu müssen. Das Coronavirus, das sich binnen Wochen am Anfang des Jahres 2020 pandemisch über den Globus ausbreitete, stürzte die Welt in multiple Krisen. Diese begegnen uns damals wie heute in drastischen Bildern und Meldungen und verweisen auf die Verwundbarkeit menschlicher Gesellschaften. Dabei ist beispielsweise an den Pflegenotstand zu denken, der sich in schlechter Bezahlung und Unterbesetzung in der Pflegebranche zeigt, oder an eine Vielzahl systemrelevanter Berufsgruppen, deren Beschäftigte zumeist prekär arbeiten und dabei Tätigkeiten nachgehen, bei denen die Einhaltung physischen Abstands nicht möglich ist. Einen Großteil der Kosten der Pandemie scheinen diejenigen tragen zu müssen, auf die wir in besonderem Maße angewiesen sind. Zugleich ist die Ungleichverteilung von Leid und Tod an der Tagesordnung, wenn z.B. in den USA Afroamerikaner*innen weit überproportional an Covid-19 erkranken und häufiger sterben als Weiße oder wenn an den europäischen Außengrenzen Geflüchtete in Lagern festgesetzt und von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen werden. Denn: Der staatliche Schutz von Leben bedeutet immer nur den Schutz von einigen und nicht von allen. Während diese Phänomene oft nicht prominent als Krisen gedeutet werden, zeigt die Proklamation der Pandemie als Krise, dass derartige Deutungen das Ergebnis von Prozessen des Einund Ausschlusses sowie politischer Machtkonstellationen sind. Dieser Umstand sowie die beschriebenen Verhältnisse waren und sind kritikwürdig. Sie präsentieren sich uns im Zuge der Pandemie auf eindringliche Art und Weise als ungerecht und ausbeuterisch und weisen so gerade auf die Notwendigkeit einer Kritik in der Krise hin. Kritische politische Theorie dient dabei als Voraussetzung und Mittel, um (Herrschafts-)Verhältnisse zu verstehen und zu verändern, und interveniert zugleich als Teil politischer Praxis. Doch auch die Beschreibung und Kritik der pandemischen Situation selbst steht vor bis heute nicht gekannten Schwierigkeiten: So stellt die Pandemie eine existentielle Bedrohung menschlichen Lebens und ZusamI.