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Abstract
Die Corona-Pandemie wurde bereits in unterschiedlichen Zusammenhängen als ein globaler Ausnahmezustand diskutiert. Oft wurde in politikwissenschaftlichen Debatten und in politisch-aktivistischen Kreisen die These aufgestellt, dass bestehende menschenfeindliche Ideologien wie Antisemitismus, Rassismus oder Sexismus wie ‚durch ein Brennglas‘ sichtbar geworden sind. Auch andere strukturelle gesellschaftliche Missstände, wie soziale Ungleichheit oder Armut, die aus verschiedenen marxistischen Strömungen stets kritisiert und analysiert wurden, sind durch die Corona-Pandemie offensichtlicher zu Tage getreten. Zudem ist sichtbar geworden, was Grenzen und Möglichkeiten von europäischen oder internationalen Institutionen sind. Bei all den Diskussionen um die Corona-Pandemie und ihrer Auswirkungen kann immer Gefahr gelaufen werden, bestimmte Perspektiven unbewusst auszusparen. In diesem Essay wird der Blick auf die syrische Gesellschaft in Zeiten der Corona-Pandemie gerichtet, d.h. auf eine Gesellschaft, die von Kriegen und autoritärer Herrschaft, gezeichnet ist. Um dies adäquat untersuchen zu können, soll die syrische Gesellschaft erst in ihren historischen Kontext eingeordnet werden. Anschließend wird kurz skizziert, warum die Herrschaft des syrischen Assad-Regimes zum Teil als eine totalitäre Herrschaft bezeichnet werden kann. Unter Rückgriff auf die Figur des Homo Sacer wird beschrieben, warum das Assad-Regime mithilfe von Agambens Überlegungen zur Souveränität und zum nackten Leben analysiert werden kann. Anschließend wird herausgearbeitet, dass syrisches Leben schon in Zeiten der Kriege als nacktes Leben im Sinne Agambens interpretiert werden kann. Die eigentliche These lautet jedoch vielmehr, dass Teile der syrischen Gesellschaft erst durch die neuen, willkürlichen Dynamiken der Corona-Pandemie und die nach etwa zehn Jahren Kriegen wiedergewonnene Souveränität des Assad-Regimes von einer Verschärfung der Reduktion auf nacktes Leben betroffen sind. Obwohl Agambens Theorie des Homo I.