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Abstract
Der Kulturpessimismus tot. Denn im kulturpessimistischen Denken sammelt sich so ziemlich alles, was der moderne, progressive Zeitgenosse verachtet: elitärer Dünkel, antidemokratische Affekte, Liberalismusfeindlichkeit und Kulturkonservatismus. Zudem gelten Kulturpessimisten als schlechtgelaunte Spielverderber. In einer Gesellschaft jedoch, in der der Glaube an die permanente Innovation und die Sinnfindung im Dauerevent zur Leitideologie gehören, ist eine solche Haltung denkbar unpopulär. Der traditionelle Kulturpessimismus des 19. und 20. Jahrhunderts arbeitete fast immer mit einem normativen und essentialistischen Kulturbegriff. Als Anzeichen für kulturelle Niedergang galt ihm die Abweichung vom jeweiligen Ideal. Der vorliegende Essay versucht den Kulturpessimismus zu rehabilitieren, indem er von einem strukturalistischen Kulturbegriff ausgeht. Demnach ist Kultur ein normierendes Symbolsystem. Solche normierenden Symbolsysteme verlieren in heterogenen Gesellschaften jedoch ihre Standardisierungsfunktion. Die Gesellschaft wird heterogen und mündet in einen postkulturellen Zustand. In diesem wird unterschiedslos alles als Kultur umarmt wird, was sich als solche ausgibt. Kulturkritik verkommt zur totalen Affirmation. Lediglich ein umfassender Kulturpessimismus ist noch in der Lage, diese Idiologie von Fortschitt, Innovation, Offenheit und Flexibilität kritisch zu hinterfragen und so das Projekt Aufklärung vor sich selbst zu retten.