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Abstract
Zusammenfassung Die öffentliche Unzufriedenheit mit professioneller Politik und ihren Vertreter:innen ist vielerorts groß, das (soziologische) Wissen um die genauen Determinanten professioneller politischer Praxis hingegen vergleichsweise spärlich. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Soziologie vor allem auf gesellschaftliche Benachteiligungslagen fokussiert und die Auseinandersetzung mit dem Kernbereich institutionalisierter Politik weitgehend der Politikwissenschaft überlässt. Im Anschluss an Perspektiven aus der konstruktivistischen Demokratietheorie und der politischen Sozialforschung setzt sich dieser Beitrag mit der Frage auseinander: Wenn professionelle politische Praxis auf die Transformation von Wirklichkeit abzielt, welches Wirklichkeitsverhältnis zeigt sich dann bei ihren Subjekten? Antworten bringt die dokumentarische Analyse von Interviews mit Bürgermeister:innen – bewusst wurden für diese Untersuchung Vertreter:innen der untersten, nämlich der kommunalen politischen Ebene (die auch als „Schule der Demokratie“ bezeichnet wird) gewählt. Im Ergebnis zeigt sich, dass das bürgermeisterliche Wirklichkeitsverhältnis durch drei zentrale Deutungsmuster strukturiert wird: Erstens durch die Deutung der fundamentalen Unfreiheit des politischen Amtes, welche jedoch zugleich, zweitens, als Bedingung der Möglichkeit der spezifischen politischen Freiheit zur Gestaltung des Status quo des Gemeinwesens in Erscheinung tritt. Drittens wird eine mehr altruistische denn demokratienormative Orientierung an den Bürger:innen deutlich. Die Ergebnisse irritieren den klassisch demokratietheoretischen Interpretationsrahmen politischer Praxis, auf dem auch öffentliche Urteile über Politik häufig basieren.