{"title":"Wissen und Begründen: Evidenz als umkämpfte Ressource in der Wissensgesellschaft Einleitung","authors":"S. Ehlers, K. Zachmann","doi":"10.5771/9783748903383-9","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Sich auf Evidenz im Sinne eines glaubwürdigen, verlässlichen und sozial konsentierten Wissens zu berufen, ist schwieriger geworden, seit sogenannte alternative Fakten und Fake News zirkulieren und allenthalben von einem postfaktischen Zeitalter die Rede ist. Die Entwertung von Fakten aber signalisiert eine potentiell gefährliche Abwertung der Wissenschaft, die überprüfbaren Fakten ihren Aufstieg verdankt.1 Nachdem moderne Wissensgesellschaften die Organisation von Wissen zur Grundlage des Zusammenlebens gemacht haben, verweist die Abwertung von Fakten auf eine weitreichendere gesellschaftliche Glaubwürdigkeitskrise. Inwieweit ist das Ringen um die Gültigkeit von Wissen jedoch ein Phänomen der sogenannten Post-Truth-Ära? Was bedeutet es für die Wissensgesellschaft, wenn Wissen nicht mehr verlässlich ist und Evidenz nicht mehr überzeugen kann? Wie reagieren Wissenschaftler_innen und Expert_innen darauf, wenn das von ihnen produzierte Wissen in Frage gestellt wird? Wie dringen neue Akteur_innen in ein etabliertes institutionelles Feld ein und versuchen, ihrer Expertise Gültigkeit zu verschaffen? Aushandlungen um die Gültigkeit von Wissen, so die Leitthese des vorliegenden Bandes, sind ein im Laufe des 20. Jahrhunderts politisch brisanter werdendes Phänomen, das sich in multiplen Bereichen der Wissenschaft, der Technik, der Politik, der Medizin und der Gesellschaft zeigt: Wissen wird in modernen Gesellschaften nicht per se akzeptiert, sondern Wissensakteur_innen müssen überzeugen, um ihren Befunden Evidenz zu verleihen. Diese von uns als Evidenzpraktiken verstandenen Dynamiken zu untersuchen, ist die Aufgabe der hier versammelten Beiträge. In interdisziplinärer Perspektive widmen sich die Autor_innen dazu Beispielen aus der Medizin-, Kommunikations-, Wirtschafts-, Wissenschaftsund Umweltwelt-","PeriodicalId":235509,"journal":{"name":"Wissen und Begründen","volume":"1 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2019-12-09","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"4","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Wissen und Begründen","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/9783748903383-9","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Sich auf Evidenz im Sinne eines glaubwürdigen, verlässlichen und sozial konsentierten Wissens zu berufen, ist schwieriger geworden, seit sogenannte alternative Fakten und Fake News zirkulieren und allenthalben von einem postfaktischen Zeitalter die Rede ist. Die Entwertung von Fakten aber signalisiert eine potentiell gefährliche Abwertung der Wissenschaft, die überprüfbaren Fakten ihren Aufstieg verdankt.1 Nachdem moderne Wissensgesellschaften die Organisation von Wissen zur Grundlage des Zusammenlebens gemacht haben, verweist die Abwertung von Fakten auf eine weitreichendere gesellschaftliche Glaubwürdigkeitskrise. Inwieweit ist das Ringen um die Gültigkeit von Wissen jedoch ein Phänomen der sogenannten Post-Truth-Ära? Was bedeutet es für die Wissensgesellschaft, wenn Wissen nicht mehr verlässlich ist und Evidenz nicht mehr überzeugen kann? Wie reagieren Wissenschaftler_innen und Expert_innen darauf, wenn das von ihnen produzierte Wissen in Frage gestellt wird? Wie dringen neue Akteur_innen in ein etabliertes institutionelles Feld ein und versuchen, ihrer Expertise Gültigkeit zu verschaffen? Aushandlungen um die Gültigkeit von Wissen, so die Leitthese des vorliegenden Bandes, sind ein im Laufe des 20. Jahrhunderts politisch brisanter werdendes Phänomen, das sich in multiplen Bereichen der Wissenschaft, der Technik, der Politik, der Medizin und der Gesellschaft zeigt: Wissen wird in modernen Gesellschaften nicht per se akzeptiert, sondern Wissensakteur_innen müssen überzeugen, um ihren Befunden Evidenz zu verleihen. Diese von uns als Evidenzpraktiken verstandenen Dynamiken zu untersuchen, ist die Aufgabe der hier versammelten Beiträge. In interdisziplinärer Perspektive widmen sich die Autor_innen dazu Beispielen aus der Medizin-, Kommunikations-, Wirtschafts-, Wissenschaftsund Umweltwelt-