{"title":"3. Italien: Die Verfassung vom 1. Januar 1948","authors":"Peter Hilpold","doi":"10.5771/9783845298726-923","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Wenn die italienische Verfassung von 1948 (ItVf) mit der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919 verglichen werden soll, dann verlangt die akademische Präzision gleich vorab, Vorbehalte anzubringen, um möglicherweise damit einhergehende dogmatische Fehlschlüsse oder auch nur einen trügerischen Grundtenor auszuschließen: n Dieser Vergleich darf nicht als Andeutung einer auch nur implizit angenommenen Kausalität im Sinne einer direkten Beeinflussung des italienischen Verfassungsgebungsprozesses durch die WRV gedeutet werden. Die Zuschreibung solcher Kausalitäten ist sachlich nicht zu begründen. Sie wäre schlichtweg unseriös. Nicht nur ist jede Verfassungswerdung Ausdruck einer ganz spezifischen historisch-kulturellen Realität (vgl. dazu Häberle 1992). Sie ist gleichzeitig – in ihrer Außenperspektive – regelmäßig Resultat einer breiteren Gesamtschau, die eine Vielzahl an Erfahrungen und Wechselbeziehungen berücksichtigt. In diesem Sinne gewinnt der Ausdruck des „Verfassungslaboratoriums“, der so häufig gerade für den Kontext der Arbeiten an der WRV Verwendung gefunden hat, hier eine ganz eigene Konnotation. n Eine breitere unmittelbare Beeinflussung der Arbeiten der italienischen Verfassungsgebenden Versammlung durch das Weimarer Verfassungsdokument ist – soweit ersichtlich – nicht nachweisbar. Zwar wurde in der Literatur der Vergangenheit wiederholt auf den prägenden Einfluss der WRV verwiesen, der sich in vielen Bestimmungen der italienischen Verfassung äußere (so Balladore Pallieri 1976, S. 150; Monaco 1986, S. 373); den betreffenden spezifischen Beleg blieben diese Autoren aber schuldig. n Dennoch kann aber davon ausgegangen werden, dass sowohl die Beratungen über die WRV als auch nachfolgend die Erfahrungen, die mit diesem Verfassungsdokument gemacht worden sind, das Verfassungsdenken nach dem Zweiten Weltkrieg ganz maßgeblich beeinflusst haben. n Ein Vergleich zwischen der WRV und der italienischen Verfassung muss sich also – abgesehen von den wenigen unmittelbaren, expliziten Bezügen, die historisch nachweisbar sind – primär in einem ersten Moment mit einer Gegenüberstellung der objektiv ersichtlichen Korrespondenzen bzw. auch der manifesten Divergenzen – als Ergebnis eines historischen Lernprozesses – begnügen. Was auf den ersten Blick als bescheidene Ambition erscheinen mag, ist bei konsequenter Umsetzung mit erheblichem Erkenntnisgewinn verbunden. Mögen in einem „sozialwissenschaftlichen Laboratorium“ (und als solches kann ein Verfassungswerdungsverfahren wohl bezeichnet werden) anders als in einem naturwissenschaftlichen Laboratorium die Wirkungszusammenhänge auch grundsätzlich nicht isoliert bestimmbar und sauber voneinander abtrennbar sein, so wird das Bemühen aber dennoch dahin gehen, die","PeriodicalId":137149,"journal":{"name":"Aufbruch zur Demokratie","volume":"20 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-11-16","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Aufbruch zur Demokratie","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/9783845298726-923","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Wenn die italienische Verfassung von 1948 (ItVf) mit der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919 verglichen werden soll, dann verlangt die akademische Präzision gleich vorab, Vorbehalte anzubringen, um möglicherweise damit einhergehende dogmatische Fehlschlüsse oder auch nur einen trügerischen Grundtenor auszuschließen: n Dieser Vergleich darf nicht als Andeutung einer auch nur implizit angenommenen Kausalität im Sinne einer direkten Beeinflussung des italienischen Verfassungsgebungsprozesses durch die WRV gedeutet werden. Die Zuschreibung solcher Kausalitäten ist sachlich nicht zu begründen. Sie wäre schlichtweg unseriös. Nicht nur ist jede Verfassungswerdung Ausdruck einer ganz spezifischen historisch-kulturellen Realität (vgl. dazu Häberle 1992). Sie ist gleichzeitig – in ihrer Außenperspektive – regelmäßig Resultat einer breiteren Gesamtschau, die eine Vielzahl an Erfahrungen und Wechselbeziehungen berücksichtigt. In diesem Sinne gewinnt der Ausdruck des „Verfassungslaboratoriums“, der so häufig gerade für den Kontext der Arbeiten an der WRV Verwendung gefunden hat, hier eine ganz eigene Konnotation. n Eine breitere unmittelbare Beeinflussung der Arbeiten der italienischen Verfassungsgebenden Versammlung durch das Weimarer Verfassungsdokument ist – soweit ersichtlich – nicht nachweisbar. Zwar wurde in der Literatur der Vergangenheit wiederholt auf den prägenden Einfluss der WRV verwiesen, der sich in vielen Bestimmungen der italienischen Verfassung äußere (so Balladore Pallieri 1976, S. 150; Monaco 1986, S. 373); den betreffenden spezifischen Beleg blieben diese Autoren aber schuldig. n Dennoch kann aber davon ausgegangen werden, dass sowohl die Beratungen über die WRV als auch nachfolgend die Erfahrungen, die mit diesem Verfassungsdokument gemacht worden sind, das Verfassungsdenken nach dem Zweiten Weltkrieg ganz maßgeblich beeinflusst haben. n Ein Vergleich zwischen der WRV und der italienischen Verfassung muss sich also – abgesehen von den wenigen unmittelbaren, expliziten Bezügen, die historisch nachweisbar sind – primär in einem ersten Moment mit einer Gegenüberstellung der objektiv ersichtlichen Korrespondenzen bzw. auch der manifesten Divergenzen – als Ergebnis eines historischen Lernprozesses – begnügen. Was auf den ersten Blick als bescheidene Ambition erscheinen mag, ist bei konsequenter Umsetzung mit erheblichem Erkenntnisgewinn verbunden. Mögen in einem „sozialwissenschaftlichen Laboratorium“ (und als solches kann ein Verfassungswerdungsverfahren wohl bezeichnet werden) anders als in einem naturwissenschaftlichen Laboratorium die Wirkungszusammenhänge auch grundsätzlich nicht isoliert bestimmbar und sauber voneinander abtrennbar sein, so wird das Bemühen aber dennoch dahin gehen, die