{"title":"Politische Sozialisation und Kompetenzbildung von Heranwachsenden in der digitalen Gesellschaft","authors":"Detlef Endeward","doi":"10.5771/9783845293844-297","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Die Digitalisierung von Kommunikationsmedien hat zu einer Verschränkung von Privatheit und Öffentlichkeit geführt. Aus einem journalistisch geprägten eindimensionalen Vermittlungssystem ist ein von vielen organisiertes wie nutzbares globales Kommunikationssystem geworden. (vgl. Jarren/Klinger 2017). Jugendliche müssen verstehen, wie Öffentlichkeit strukturiert ist und welche Normen und Regeln in welcher öffentlichen Sphäre gelten. Wie muss also eine neue Generation von Jugendlichen ausgebildet sein, um einerseits Informationen sachgerecht online zu verbreiten und andererseits den Realitätsgehalt von Informationen beurteilen zu können? Welche Rolle spielt der „klassische“ Journalismus in Zukunft und wie geht man mit Formen „unprofessioneller“ Berichterstattung um? (vgl. Köberer 2016). Das sind Fragen, mit denen sich die politische Bildung und die Medienbildung gleichermaßen befassen müssen. Die Entwicklung von Medienkompetenz muss dabei im Kontext der Entwicklung umfassender gesellschaftlichen Kompetenzen gedacht werden – über die gegenseitige Stützung der Kompetenzentwicklung in den einzelnen Handlungsfeldern der politischen Bildung entsteht erst ein Verständnis für gesellschaftliche Prozesse und Zusammenhänge, das es ermöglicht, die eigenen Aktivitäten zu verorten, zu verstetigen und Urteilsvermögen zu entwickeln. „Menschen werden nicht als politische Wesen geboren, aber sie leben immer in politisch bestimmten Räumen. Deshalb ist politisches Urteilsvermögen eine Voraussetzung jeder humanen Gesellschaft.“ (Oskar Negt) Die subjektiven Bilder und Vorstellungen von Politik sind, wie in kaum einem anderen Bereich, durch Medien beeinflusst und vermittelt. Die Berichterstattung zur Krise in der Ukraine, die Berichterstattung zu Russland und zu den Finanzproblemen Griechenlands und gegenwärtig die Berichterstattung über das Flüchtlingselend beispielsweise haben den etablierten Medien massive Kritik von einem nicht unerheblichen Teil ihrer Rezipien297 https://doi.org/10.5771/9783845293844-297 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 15.08.2021, 08:28:41. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. tinnen und Rezipienten eingebracht.1 Der Prozess der Mediatisierung (vgl. Krotz 2007) öffnet und vergrößert den Handlungsspielraum der Menschen auch im Hinblick auf neue Formen politischer Partizipation. Zugleich erhalten aber auch die Medien als Inszenierungsmaschinen bzw. diejenigen, die sie bedienen – wie z.B. die Wirtschaft –, immer mehr Möglichkeiten der Meinungsund Machtsteuerung. Beschäftigt man sich in gesellschaftlicher und normativer Perspektive mit der Vertrauenskrise der etablierten Medien und den Fragen der Beteiligung in der digitalen Gesellschaft, hat politische Bildung auch zu klären, wie sich Fragen nach der Übernahme von Verantwortung im Rahmen der Informationsbereitstellung und -steuerung im Rahmen digitaler Kommunikation verändern sowie wer verantwortlich ist und wofür (vgl. Köberer 2016). Politische Sozialisation bei Heranwachsenden Wenn man unter Sozialisation den Prozess versteht, in dem der Mensch zur sozialen, gesellschaftlich handlungsfähigen Persönlichkeit wird, dann liegt es auf der Hand, dass den Medien in diesem Prozess eine wichtige Rolle bei der Entwicklung kultureller Orientierung, von Weltbildern und Einstellungen sowie der Vermittlung von Werten zukommt. Insbesondere Orientierung über Moden, Lebensstile, Jargon und generell den Umgang miteinander wird schon von Kindern in den Medien gesucht. Medien bieten vielfältige Angebote für die Identitätsarbeit von Heranwachsenden. Damit gewinnen Medien als Sozialisationsinstanzen neben Elternhaus, Gleichaltrigen und Schule für Heranwachsende zunehmend an Bedeutung (vgl. Fritz u.a. 2003; Röll 2003: 51ff). Unter den Bedingungen der Digitalisierung hat die politische Sozialisation von Jugendlichen sich grundlegend gewandelt (vgl. Gapski u.a. 2017; 1. 1 „Das Vertrauen in Medien ist dramatisch gesunken. Es gibt viele Belege dafür, dass die Beziehung zwischen Publikum und Journalisten gestört ist. Auf der einen, der Zuschauer-Seite, wuchern Pauschalurteile über die vermeintliche ,Lügenpresse‘; die andere Seite reagiert darauf oft mit Trotz.“ https://uebermedien.de/ueber-uns/ (Zugriff: 30.11.2018) Das belegen auch Umfragen, die von Sendern und Verlagen in Auftrag gegeben wurden, wie die Umfrage der Zeit vom Dezember 2014. https:/ /www.zeit.de/politik/deutschland/2014-12/umfrage-medien-russland-putin-kriegsge fahr (30.11.2018) Vgl. auch: https://www.deutschlandfunk.de/vertrauenskrise-dermedien-kritischer-journalismus-ist.1148.de.html?dram:article_id=389381 (30.11.2018.). Detlef Endeward 298 https://doi.org/10.5771/9783845293844-297 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 15.08.2021, 08:28:41. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Röll 2003). Internet und seine Nutzung sind vor allem für junge Menschen heute so selbstverständlich wie Essen, Trinken oder Schlafen (JIMStudie 2017: 30). Die Mediennutzung der Jugendlichen kann man treffend mit „always on and mobile“ (Köberer 2016) zusammenfassen. Partizipation, ob lokal oder national, findet heute immer mehr in der digitalen Sphäre statt. Junge Menschen treten in der Regel nicht mehr in Parteien ein, sondern suchen sich z.B. bestimmte Themen, für die sie sich über OnlinePetitionen engagieren oder Nichtregierungsorganisationen (NGO’s), die sie unterstützen. Dies wirft Fragen auf hinsichtlich der Nachhaltigkeit dieser neuen Partizipationsformen (Köberer / Endeward 2016). Die Ergebnisse der JIM-Studie von 2017 zeigen, dass bei Jugendlichen durchaus politisches Interesse vorhanden ist und in den letzten Jahren sogar zugenommen hat. Der größte Teil von den Jugendlichen, denen es zumindest etwas wichtig ist, beim aktuellen Weltgeschehen auf dem Laufenden zu sein, geben an, dass sie häufig Neuigkeiten zu weltweiten Ereignissen aus den Fernsehnachrichten oder generell aus Berichten im Fernsehen erfahren (ebd.: 16). Auch die Nachrichten und Berichte im Radio werden nach wie vor häufig genutzt, mit zunehmendem Alter wird insbesondere das Internet als Informationsquelle bedeutsam – dabei nutzen 34 Prozent der Befragten Facebook, um sich über aktuelle Ereignisse in der Welt zu informieren (ebd.: 18). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen: „Medien werden nicht mehr vor allem deshalb konsumiert, um sich eine möglichst umfassende Sicht auf die Welt zu verschaffen. Es gibt auch den Wunsch, sich vor allem mit der eigenen Meinung wiederzufinden. Man kann nun eigene Bestätigungsmilieus gründen, sich in eine spezielle Wirklichkeit hineingoogeln, sich mit Gleichgesinnten in sozialen Netzwerken sein Weltbild teilen und vor allem bestätigen und dann die Frage stellen: Woran liegt das eigentlich, dass das, was ich denke, und das, was scheinbar die vielen anderen denken, gar nicht bei meinem Lehrer, bei den Politikern oder als Inhalt in meiner Tageszeitung vorkommt? So wird jeder zum Regisseur seiner eigenen Welterfahrung. Oder zum Gläubigen seiner eigenen Weltbildkonstruktionen“ (Bolz 2017: 10/11). Diese neuen Formen digitalisierter Kommunikation führen zudem zu einem Effekt, der in der Literatur als „Schweigespirale“2 bezeichnet wird. Das bedeutet, dass die digitale Massenkommunikation vor dem Hintergrund ihrer technischen Logik den Konformismus verstärkt, weil sie beste2 Der Begriff wurde von Elisabeth Nölle-Neumann in den 70er Jahren geprägt. Politische Sozialisation und Kompetenzbildung von Heranwachsenden 299 https://doi.org/10.5771/9783845293844-297 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 15.08.2021, 08:28:41. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. hende Mehrheitsmeinungen sichtbar macht und Nichtkonformes zurücksetzt, so dass es kaum noch wahrgenommen werden kann. Insgesamt gilt damit: Meinungen verstärken sich (Bolz 2017: 11). Die durch das Internet ausgelöste, stark gestiegene Kommunikationsdichte hat (neben vielen positiven Wirkungen) auch problematische Folgen, da sie zu Orientierungsschwierigkeiten und Informationsentwertung beigetragen hat. Der politische Dialog wird erschwert, die gesellschaftliche Polarisierung befördert und so die demokratische Willensbildung gefährdet (vgl. Busch 2017). Bezugnehmend auf den hier skizzierten Wandel der politischen Sozialisation von Heranwachsenden ergeben sich Herausforderungen für die schulische wie auch außerschulische Bildung. Konkret: Im Fokus sind Handlungsbzw. Lernfelder politischer Bildung in der digitalen Welt, in denen jeweils die Frage beantwortet werden muss, welche zeitgemäßen Formen politischer Bildung dem komplexen Handlungsfeld gerecht werden sowie inwieweit das Internet und seine Infrastrukturen zur politischen Aktivierung und überhaupt Revitalisierung des Politischen fungieren können. Es gilt eine politische Bildung zu realisieren, die der Verbesserung unserer Demokratie – auch in kleinen Strukturen – dient. Dazu muss u.a. gelernt werden, kollaborative Dienste und das Potenzial der Communitys zur Selbstorganisation zu nutzen. Formen einer „flüssigen Demokratie” verlangen eine motivierende Begleitung. Wirklich effektive politische Teilhabe setzt einen mündigen Umgang mit den neuen Medien – eine gewisse Partizipationskompetenz – voraus (vgl. Hoffmann 2014). Das heißt auch, dass die Teilnahmebereitschaft in einem demokratischen Sinne eine Entscheidungsfähigkeit erfordert, die auf „Deutungswissen“ und „Erschließungskompetenz“ basiert (Negt 2011: 188). Kompetenz zur Medienanalyse und -kritik Medien beeinflussen die Art, wie die Welt wahrgenommen wird. Dies gilt auch für die subjektiven Bilder und Vorstellungen von Politik. Da dies alle Mitglieder einer Gesellschaft betrifft, kommt damit der Medienanalyse und -kritik in der politischen Bildung eine besondere Bedeutung zu. Medienkompetenz baut auf dem Strukturwissen über Medien auf. Medienbildung hat die gesellschaftlich wichtige Aufgabe, „Aneignungsund Dechiffrierungskompetenz“ zu vermitteln. In diesem Zusammenhang wird de","PeriodicalId":202239,"journal":{"name":"Aufwachsen mit Medien","volume":"21 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Aufwachsen mit Medien","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/9783845293844-297","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
引用次数: 0
Abstract
Die Digitalisierung von Kommunikationsmedien hat zu einer Verschränkung von Privatheit und Öffentlichkeit geführt. Aus einem journalistisch geprägten eindimensionalen Vermittlungssystem ist ein von vielen organisiertes wie nutzbares globales Kommunikationssystem geworden. (vgl. Jarren/Klinger 2017). Jugendliche müssen verstehen, wie Öffentlichkeit strukturiert ist und welche Normen und Regeln in welcher öffentlichen Sphäre gelten. Wie muss also eine neue Generation von Jugendlichen ausgebildet sein, um einerseits Informationen sachgerecht online zu verbreiten und andererseits den Realitätsgehalt von Informationen beurteilen zu können? Welche Rolle spielt der „klassische“ Journalismus in Zukunft und wie geht man mit Formen „unprofessioneller“ Berichterstattung um? (vgl. Köberer 2016). Das sind Fragen, mit denen sich die politische Bildung und die Medienbildung gleichermaßen befassen müssen. Die Entwicklung von Medienkompetenz muss dabei im Kontext der Entwicklung umfassender gesellschaftlichen Kompetenzen gedacht werden – über die gegenseitige Stützung der Kompetenzentwicklung in den einzelnen Handlungsfeldern der politischen Bildung entsteht erst ein Verständnis für gesellschaftliche Prozesse und Zusammenhänge, das es ermöglicht, die eigenen Aktivitäten zu verorten, zu verstetigen und Urteilsvermögen zu entwickeln. „Menschen werden nicht als politische Wesen geboren, aber sie leben immer in politisch bestimmten Räumen. Deshalb ist politisches Urteilsvermögen eine Voraussetzung jeder humanen Gesellschaft.“ (Oskar Negt) Die subjektiven Bilder und Vorstellungen von Politik sind, wie in kaum einem anderen Bereich, durch Medien beeinflusst und vermittelt. Die Berichterstattung zur Krise in der Ukraine, die Berichterstattung zu Russland und zu den Finanzproblemen Griechenlands und gegenwärtig die Berichterstattung über das Flüchtlingselend beispielsweise haben den etablierten Medien massive Kritik von einem nicht unerheblichen Teil ihrer Rezipien297 https://doi.org/10.5771/9783845293844-297 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 15.08.2021, 08:28:41. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. tinnen und Rezipienten eingebracht.1 Der Prozess der Mediatisierung (vgl. Krotz 2007) öffnet und vergrößert den Handlungsspielraum der Menschen auch im Hinblick auf neue Formen politischer Partizipation. Zugleich erhalten aber auch die Medien als Inszenierungsmaschinen bzw. diejenigen, die sie bedienen – wie z.B. die Wirtschaft –, immer mehr Möglichkeiten der Meinungsund Machtsteuerung. Beschäftigt man sich in gesellschaftlicher und normativer Perspektive mit der Vertrauenskrise der etablierten Medien und den Fragen der Beteiligung in der digitalen Gesellschaft, hat politische Bildung auch zu klären, wie sich Fragen nach der Übernahme von Verantwortung im Rahmen der Informationsbereitstellung und -steuerung im Rahmen digitaler Kommunikation verändern sowie wer verantwortlich ist und wofür (vgl. Köberer 2016). Politische Sozialisation bei Heranwachsenden Wenn man unter Sozialisation den Prozess versteht, in dem der Mensch zur sozialen, gesellschaftlich handlungsfähigen Persönlichkeit wird, dann liegt es auf der Hand, dass den Medien in diesem Prozess eine wichtige Rolle bei der Entwicklung kultureller Orientierung, von Weltbildern und Einstellungen sowie der Vermittlung von Werten zukommt. Insbesondere Orientierung über Moden, Lebensstile, Jargon und generell den Umgang miteinander wird schon von Kindern in den Medien gesucht. Medien bieten vielfältige Angebote für die Identitätsarbeit von Heranwachsenden. Damit gewinnen Medien als Sozialisationsinstanzen neben Elternhaus, Gleichaltrigen und Schule für Heranwachsende zunehmend an Bedeutung (vgl. Fritz u.a. 2003; Röll 2003: 51ff). Unter den Bedingungen der Digitalisierung hat die politische Sozialisation von Jugendlichen sich grundlegend gewandelt (vgl. Gapski u.a. 2017; 1. 1 „Das Vertrauen in Medien ist dramatisch gesunken. Es gibt viele Belege dafür, dass die Beziehung zwischen Publikum und Journalisten gestört ist. Auf der einen, der Zuschauer-Seite, wuchern Pauschalurteile über die vermeintliche ,Lügenpresse‘; die andere Seite reagiert darauf oft mit Trotz.“ https://uebermedien.de/ueber-uns/ (Zugriff: 30.11.2018) Das belegen auch Umfragen, die von Sendern und Verlagen in Auftrag gegeben wurden, wie die Umfrage der Zeit vom Dezember 2014. https:/ /www.zeit.de/politik/deutschland/2014-12/umfrage-medien-russland-putin-kriegsge fahr (30.11.2018) Vgl. auch: https://www.deutschlandfunk.de/vertrauenskrise-dermedien-kritischer-journalismus-ist.1148.de.html?dram:article_id=389381 (30.11.2018.). Detlef Endeward 298 https://doi.org/10.5771/9783845293844-297 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 15.08.2021, 08:28:41. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Röll 2003). Internet und seine Nutzung sind vor allem für junge Menschen heute so selbstverständlich wie Essen, Trinken oder Schlafen (JIMStudie 2017: 30). Die Mediennutzung der Jugendlichen kann man treffend mit „always on and mobile“ (Köberer 2016) zusammenfassen. Partizipation, ob lokal oder national, findet heute immer mehr in der digitalen Sphäre statt. Junge Menschen treten in der Regel nicht mehr in Parteien ein, sondern suchen sich z.B. bestimmte Themen, für die sie sich über OnlinePetitionen engagieren oder Nichtregierungsorganisationen (NGO’s), die sie unterstützen. Dies wirft Fragen auf hinsichtlich der Nachhaltigkeit dieser neuen Partizipationsformen (Köberer / Endeward 2016). Die Ergebnisse der JIM-Studie von 2017 zeigen, dass bei Jugendlichen durchaus politisches Interesse vorhanden ist und in den letzten Jahren sogar zugenommen hat. Der größte Teil von den Jugendlichen, denen es zumindest etwas wichtig ist, beim aktuellen Weltgeschehen auf dem Laufenden zu sein, geben an, dass sie häufig Neuigkeiten zu weltweiten Ereignissen aus den Fernsehnachrichten oder generell aus Berichten im Fernsehen erfahren (ebd.: 16). Auch die Nachrichten und Berichte im Radio werden nach wie vor häufig genutzt, mit zunehmendem Alter wird insbesondere das Internet als Informationsquelle bedeutsam – dabei nutzen 34 Prozent der Befragten Facebook, um sich über aktuelle Ereignisse in der Welt zu informieren (ebd.: 18). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen: „Medien werden nicht mehr vor allem deshalb konsumiert, um sich eine möglichst umfassende Sicht auf die Welt zu verschaffen. Es gibt auch den Wunsch, sich vor allem mit der eigenen Meinung wiederzufinden. Man kann nun eigene Bestätigungsmilieus gründen, sich in eine spezielle Wirklichkeit hineingoogeln, sich mit Gleichgesinnten in sozialen Netzwerken sein Weltbild teilen und vor allem bestätigen und dann die Frage stellen: Woran liegt das eigentlich, dass das, was ich denke, und das, was scheinbar die vielen anderen denken, gar nicht bei meinem Lehrer, bei den Politikern oder als Inhalt in meiner Tageszeitung vorkommt? So wird jeder zum Regisseur seiner eigenen Welterfahrung. Oder zum Gläubigen seiner eigenen Weltbildkonstruktionen“ (Bolz 2017: 10/11). Diese neuen Formen digitalisierter Kommunikation führen zudem zu einem Effekt, der in der Literatur als „Schweigespirale“2 bezeichnet wird. Das bedeutet, dass die digitale Massenkommunikation vor dem Hintergrund ihrer technischen Logik den Konformismus verstärkt, weil sie beste2 Der Begriff wurde von Elisabeth Nölle-Neumann in den 70er Jahren geprägt. Politische Sozialisation und Kompetenzbildung von Heranwachsenden 299 https://doi.org/10.5771/9783845293844-297 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 15.08.2021, 08:28:41. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. hende Mehrheitsmeinungen sichtbar macht und Nichtkonformes zurücksetzt, so dass es kaum noch wahrgenommen werden kann. Insgesamt gilt damit: Meinungen verstärken sich (Bolz 2017: 11). Die durch das Internet ausgelöste, stark gestiegene Kommunikationsdichte hat (neben vielen positiven Wirkungen) auch problematische Folgen, da sie zu Orientierungsschwierigkeiten und Informationsentwertung beigetragen hat. Der politische Dialog wird erschwert, die gesellschaftliche Polarisierung befördert und so die demokratische Willensbildung gefährdet (vgl. Busch 2017). Bezugnehmend auf den hier skizzierten Wandel der politischen Sozialisation von Heranwachsenden ergeben sich Herausforderungen für die schulische wie auch außerschulische Bildung. Konkret: Im Fokus sind Handlungsbzw. Lernfelder politischer Bildung in der digitalen Welt, in denen jeweils die Frage beantwortet werden muss, welche zeitgemäßen Formen politischer Bildung dem komplexen Handlungsfeld gerecht werden sowie inwieweit das Internet und seine Infrastrukturen zur politischen Aktivierung und überhaupt Revitalisierung des Politischen fungieren können. Es gilt eine politische Bildung zu realisieren, die der Verbesserung unserer Demokratie – auch in kleinen Strukturen – dient. Dazu muss u.a. gelernt werden, kollaborative Dienste und das Potenzial der Communitys zur Selbstorganisation zu nutzen. Formen einer „flüssigen Demokratie” verlangen eine motivierende Begleitung. Wirklich effektive politische Teilhabe setzt einen mündigen Umgang mit den neuen Medien – eine gewisse Partizipationskompetenz – voraus (vgl. Hoffmann 2014). Das heißt auch, dass die Teilnahmebereitschaft in einem demokratischen Sinne eine Entscheidungsfähigkeit erfordert, die auf „Deutungswissen“ und „Erschließungskompetenz“ basiert (Negt 2011: 188). Kompetenz zur Medienanalyse und -kritik Medien beeinflussen die Art, wie die Welt wahrgenommen wird. Dies gilt auch für die subjektiven Bilder und Vorstellungen von Politik. Da dies alle Mitglieder einer Gesellschaft betrifft, kommt damit der Medienanalyse und -kritik in der politischen Bildung eine besondere Bedeutung zu. Medienkompetenz baut auf dem Strukturwissen über Medien auf. Medienbildung hat die gesellschaftlich wichtige Aufgabe, „Aneignungsund Dechiffrierungskompetenz“ zu vermitteln. In diesem Zusammenhang wird de