{"title":"\"Die Zukunft besteht nur aus Alter, Krankheiten und Schmerzen.\"","authors":"Peter Rinnerthaler","doi":"10.54717/kidsmedia.4.2.2014.2","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Im realistischen Jugendroman der letzten 15 Jahre wird die Deformation des männlichen Körpers ungeschönt abgebildet: abgeschälte oder explodierende Gesichter, Körperteile in Tupperdöschen, Isolation im sozialen Umfeld und Chemotherapien, die zur völligen Dekonstruktion des Körpers führen. Die Bandbreite der formalen Darstellung von Deformation ist gross, und die sprachliche Abbildung der geschundenen Körper wird überwiegend durch die beschreibende Körperwahrnehmung der männlichen Protagonisten oder von Figuren aus deren Umfeld realisiert. Neben den Wahrnehmungsebenen der Romanfiguren wird der Körper über die Beschreibung von Schmerz, Krankheit und dem Körper per se konturiert. Durch die Hinwendung zur Deformation des männlichen Körpers erfolgt zugleich eine Hinwendung zum männlichen Körper an sich. Damit werden Konzepte von Männlichkeit realisiert, die von ambivalenten Grössen bestimmt werden: Härte, Fragilität, Ausgrenzung, Marginalisierung oder erhöhte Aufmerksamkeit. Ein zentraler Aspekt, der diesem Forschungsgebiet zugrunde liegt, ist die Frage nach der Darstellbarkeit von Schmerz, Krankheit und Deformation. Im realistischen Jugendroman wird auf medial-ästhetisierte, das Immunsystem in den Vordergrund rückende oder auch handlungsbezogene Narrativierungen zurückgegriffen, die sich über kulturelle Phänomene in die Biografie des männlichen Körpers einschreiben. \nIm Text Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie setzte sich Gotthold Ephraim Lessing vor rund 250 Jahren grundlegend mit der Frage auseinander, wie Schmerz in der Kunst darzustellen sei. Zudem formuliert Lessing jenen Vorteil, den die Literatur gegenüber der bildenden Kunst habe: die Möglichkeit Schmerz prozesshaft abzubilden. Diese Erkenntnis ist massgebend für die Analyse von Narrationen über deformierte, männliche Körper. Die Entwicklung der Figuren und deren körperliche Sphäre können so über zeitliche und räumliche Analyseparadigmen entschlüsselt werden: Es zeichnen sich zeitlich prekäre Wahrnehmungen, räumliche Semantisierungen und repetitive Handlungen ab. Darüber hinaus wird die klare Trennung der menschlichen Wahrnehmung zwischen dem Innen und dem Aussen des Körpers brüchig, da in der prozesshaften Narrativierung von Schmerz, Krankheit und/oder Deformation spezifische Formen der Figurenzeichnung und der Identitätsbildung realisiert werden können.","PeriodicalId":106402,"journal":{"name":"kids+media : Zeitschrift für Kinder- und Jugendmedienforschung","volume":"28 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2014-09-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"kids+media : Zeitschrift für Kinder- und Jugendmedienforschung","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.54717/kidsmedia.4.2.2014.2","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Im realistischen Jugendroman der letzten 15 Jahre wird die Deformation des männlichen Körpers ungeschönt abgebildet: abgeschälte oder explodierende Gesichter, Körperteile in Tupperdöschen, Isolation im sozialen Umfeld und Chemotherapien, die zur völligen Dekonstruktion des Körpers führen. Die Bandbreite der formalen Darstellung von Deformation ist gross, und die sprachliche Abbildung der geschundenen Körper wird überwiegend durch die beschreibende Körperwahrnehmung der männlichen Protagonisten oder von Figuren aus deren Umfeld realisiert. Neben den Wahrnehmungsebenen der Romanfiguren wird der Körper über die Beschreibung von Schmerz, Krankheit und dem Körper per se konturiert. Durch die Hinwendung zur Deformation des männlichen Körpers erfolgt zugleich eine Hinwendung zum männlichen Körper an sich. Damit werden Konzepte von Männlichkeit realisiert, die von ambivalenten Grössen bestimmt werden: Härte, Fragilität, Ausgrenzung, Marginalisierung oder erhöhte Aufmerksamkeit. Ein zentraler Aspekt, der diesem Forschungsgebiet zugrunde liegt, ist die Frage nach der Darstellbarkeit von Schmerz, Krankheit und Deformation. Im realistischen Jugendroman wird auf medial-ästhetisierte, das Immunsystem in den Vordergrund rückende oder auch handlungsbezogene Narrativierungen zurückgegriffen, die sich über kulturelle Phänomene in die Biografie des männlichen Körpers einschreiben.
Im Text Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie setzte sich Gotthold Ephraim Lessing vor rund 250 Jahren grundlegend mit der Frage auseinander, wie Schmerz in der Kunst darzustellen sei. Zudem formuliert Lessing jenen Vorteil, den die Literatur gegenüber der bildenden Kunst habe: die Möglichkeit Schmerz prozesshaft abzubilden. Diese Erkenntnis ist massgebend für die Analyse von Narrationen über deformierte, männliche Körper. Die Entwicklung der Figuren und deren körperliche Sphäre können so über zeitliche und räumliche Analyseparadigmen entschlüsselt werden: Es zeichnen sich zeitlich prekäre Wahrnehmungen, räumliche Semantisierungen und repetitive Handlungen ab. Darüber hinaus wird die klare Trennung der menschlichen Wahrnehmung zwischen dem Innen und dem Aussen des Körpers brüchig, da in der prozesshaften Narrativierung von Schmerz, Krankheit und/oder Deformation spezifische Formen der Figurenzeichnung und der Identitätsbildung realisiert werden können.