{"title":"Wozu Narrativität? Interventionen der Erzählforschung in Recht und Politik","authors":"J. Reinhardt","doi":"10.5771/9783845292700-33","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Wenn man im Kontext der gegenwärtigen institutionellen Krise der Europäischen Union über die Bedeutung von Narrativen und Narrativität nachdenkt, kommt es darauf an, den Fokus und die Grenzen des damit verbundenen Erklärungsanspruchs deutlicher zu machen. Narrativität ist eine Kategorie der Literaturwissenschaften. Für die inhaltlichen Auseinandersetzungen über die Ausrichtung und Gestalt der Union, über die politischen und rechtlichen Grenzen der europäischen Integration, die Szenarien und Modelle der Zusammenarbeit etc. haben Literaturwissenschaft und »Erzählforschung« keine besonderen Kompetenzen. Um plausibel zu machen, was eine Analyse der Narrativität zum Verständnis der gegenwärtigen Diskussion um die Europäische Union beitragen kann, ist es zunächst erforderlich, den Begriff des Narrativs und die möglichen Anknüpfungspunkte der Erzählforschung zu schärfen (I.). Erzählungen über Europa sind allgegenwärtig und äußerst heterogen. Sie kommen in verschiedenen Medien vor, reichen von bruchstückhaften Alltagserzählungen bis zu komplexen Texten und erfüllen dabei ganz unterschiedliche Funktionen. Die Narratologie bezieht sich nicht nur auf das, was erzählt wird, also auf die verschiedenen Gehalte, sondern vor allem darauf, dass und wie erzählt wird. Sie bezieht sich auf die Inhalte als Ausdruck erzählerischer Leistungen. Diese Veränderung des Blickwinkels erlaubt eine Strukturanalyse der verschiedenen Europanarrative (II.). Was dabei deutlicher werden kann, sind die Koordinaten der Auseinandersetzung über den europäischen Integrationsprozess, der von widerstreitenden politischen Erzählungen begleitet wird, die das Verhältnis von Realismus und Idealismus, Möglichkeitsund Wirklichkeitsdenken aushandeln (III.).","PeriodicalId":294075,"journal":{"name":"Die Neuerfindung Europas","volume":"308 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2019-01-28","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Die Neuerfindung Europas","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/9783845292700-33","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Wenn man im Kontext der gegenwärtigen institutionellen Krise der Europäischen Union über die Bedeutung von Narrativen und Narrativität nachdenkt, kommt es darauf an, den Fokus und die Grenzen des damit verbundenen Erklärungsanspruchs deutlicher zu machen. Narrativität ist eine Kategorie der Literaturwissenschaften. Für die inhaltlichen Auseinandersetzungen über die Ausrichtung und Gestalt der Union, über die politischen und rechtlichen Grenzen der europäischen Integration, die Szenarien und Modelle der Zusammenarbeit etc. haben Literaturwissenschaft und »Erzählforschung« keine besonderen Kompetenzen. Um plausibel zu machen, was eine Analyse der Narrativität zum Verständnis der gegenwärtigen Diskussion um die Europäische Union beitragen kann, ist es zunächst erforderlich, den Begriff des Narrativs und die möglichen Anknüpfungspunkte der Erzählforschung zu schärfen (I.). Erzählungen über Europa sind allgegenwärtig und äußerst heterogen. Sie kommen in verschiedenen Medien vor, reichen von bruchstückhaften Alltagserzählungen bis zu komplexen Texten und erfüllen dabei ganz unterschiedliche Funktionen. Die Narratologie bezieht sich nicht nur auf das, was erzählt wird, also auf die verschiedenen Gehalte, sondern vor allem darauf, dass und wie erzählt wird. Sie bezieht sich auf die Inhalte als Ausdruck erzählerischer Leistungen. Diese Veränderung des Blickwinkels erlaubt eine Strukturanalyse der verschiedenen Europanarrative (II.). Was dabei deutlicher werden kann, sind die Koordinaten der Auseinandersetzung über den europäischen Integrationsprozess, der von widerstreitenden politischen Erzählungen begleitet wird, die das Verhältnis von Realismus und Idealismus, Möglichkeitsund Wirklichkeitsdenken aushandeln (III.).