{"title":"Metapher als Entzug – Metapher als Gabe: Wittgenstein mit Blumenberg lesen?","authors":"Matthias Kross","doi":"10.1515/9783110330595.75","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Das Geheimnis der Metapher(n) hat sich mittlerweile zu einem Gespenst der Philosophie entwickelt. Trotz zahlreicher Versuche ihrer Hegung durch Theoretisierung entzieht sich die Metapher doch hartnackig der philosophischen Analyse und Reduktion. Es liegt daher nahe, sie mit Blumenberg als Konstituens nicht nur der menschlichen Sprache zu fassen, sondern zugleich auch das, wofur die Metapher sprachlich steht, als Metapher fur das menschliche In-der-Welt-sein selbst zu nehmen. Das Uber-tragen wird auf diese Weise zum Absehen von den Fundierungen des menschlichen Weltbezugs, zu einer sprachlich-konzeptionelle Invention zur strategischen Wirklichkeitsvermeidung. Die Metapher wird damit zu einem nachgerade gespenstischen Wesen, namlich einem Figur des Widergangers, der kraft seiner Anwesenheit die unheimliche Abwesenheit der Wirklichkeit in standiger Prasenz halt und auf diese Weise den epochalen phanomenologichen Riss des Weltverhaltnisses des Menschen nicht zu heilen vermag. Demgegenuber eroffnet Wittgensteins Sprachkonzeption die Moglichkeit, die Metapher in ihrer gespenstischen Paradoxalitat als konstitutives Moment der menschlichen Selbstverstandigung uber Welt aufzufassen. Sie ist daher als eine weltstiftende Gabe der Sprache zu betrachten, durch die das Paradox des wirklichkeitsvermeidenden Weltbezugs sich allererst formulieren lasst. Die zu diskutierende These ist, ob in dieser Qualitat der Metapher nicht jenes Mystische zu verorten ist, das den jungen Wittgenstein der Abhandlung umgetrieben hat und das uns zu der Einsicht verhelfen konnte, dass Am Anfang die Metapher war. Aber anders als Blumenberg, der seine Metaphorologie mit Rucksicht auf die Lebenswelt in pragmatisch-anthropologischer Absicht entwickelte, wird das Postulat von der Vorgangigkeit der Metapher beim spaten Wittgenstein eben nicht pragmatisch, sondern praxeologisch gestutzt und therapeutisch gegen die Theorie gewendet: Das philosophische Studium der Metapher soll nicht allein belehren, sondern auch heilen – sein phantastisches Kalkul besteht darin, zugleich Trost fur Philosophie und Trost durch Philosophie zu spenden – consolatio philosophiae eben.","PeriodicalId":317292,"journal":{"name":"From ontos verlag: Publications of the Austrian Ludwig Wittgenstein Society - New Series","volume":"29 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2013-11-12","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"From ontos verlag: Publications of the Austrian Ludwig Wittgenstein Society - New Series","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/9783110330595.75","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Das Geheimnis der Metapher(n) hat sich mittlerweile zu einem Gespenst der Philosophie entwickelt. Trotz zahlreicher Versuche ihrer Hegung durch Theoretisierung entzieht sich die Metapher doch hartnackig der philosophischen Analyse und Reduktion. Es liegt daher nahe, sie mit Blumenberg als Konstituens nicht nur der menschlichen Sprache zu fassen, sondern zugleich auch das, wofur die Metapher sprachlich steht, als Metapher fur das menschliche In-der-Welt-sein selbst zu nehmen. Das Uber-tragen wird auf diese Weise zum Absehen von den Fundierungen des menschlichen Weltbezugs, zu einer sprachlich-konzeptionelle Invention zur strategischen Wirklichkeitsvermeidung. Die Metapher wird damit zu einem nachgerade gespenstischen Wesen, namlich einem Figur des Widergangers, der kraft seiner Anwesenheit die unheimliche Abwesenheit der Wirklichkeit in standiger Prasenz halt und auf diese Weise den epochalen phanomenologichen Riss des Weltverhaltnisses des Menschen nicht zu heilen vermag. Demgegenuber eroffnet Wittgensteins Sprachkonzeption die Moglichkeit, die Metapher in ihrer gespenstischen Paradoxalitat als konstitutives Moment der menschlichen Selbstverstandigung uber Welt aufzufassen. Sie ist daher als eine weltstiftende Gabe der Sprache zu betrachten, durch die das Paradox des wirklichkeitsvermeidenden Weltbezugs sich allererst formulieren lasst. Die zu diskutierende These ist, ob in dieser Qualitat der Metapher nicht jenes Mystische zu verorten ist, das den jungen Wittgenstein der Abhandlung umgetrieben hat und das uns zu der Einsicht verhelfen konnte, dass Am Anfang die Metapher war. Aber anders als Blumenberg, der seine Metaphorologie mit Rucksicht auf die Lebenswelt in pragmatisch-anthropologischer Absicht entwickelte, wird das Postulat von der Vorgangigkeit der Metapher beim spaten Wittgenstein eben nicht pragmatisch, sondern praxeologisch gestutzt und therapeutisch gegen die Theorie gewendet: Das philosophische Studium der Metapher soll nicht allein belehren, sondern auch heilen – sein phantastisches Kalkul besteht darin, zugleich Trost fur Philosophie und Trost durch Philosophie zu spenden – consolatio philosophiae eben.