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Abstract
In Luthers Vorrede an Papst Leo X. zu einer der wichtigsten Programmschriften der Reformation, Von der Freiheit eines Christenmenschen, kennzeichnet er diese als eyn kleyn buchle, ßo das papyr wirt angesehen, aber doch die gantz summa eyniß Christlichen leben darynnen begriffen, ßo der synn vorstanden wirt (WA 7, 11, 8–10). Eine ähnliche Summa hatte er vier Jahre zuvor selbst entdeckt und zweimal, 1516 zunächst noch unvollständig und 1518 dann noch einmal vollständig, herausgegeben. Im Vorwort der Theologia deutsch von 1518, von der hier die Rede ist, bekennt er: Es ist myr nehst der Biblien und S. Augustino nit vorkummen eyn buch, dar auß ich mehr erlernet hab und will, was got, Christus, mensch und alle ding seyn (WA 1, 378, 21–23). Wahrscheinlich hatte Luther die Theologia deutsch in einem Kodex gelesen, in den auch Predigten Taulers eingebunden waren (Otto 2003: 179). Anfänglich vermutete er sogar, die Theologia deutsch stamme aus der Feder Johannes Taulers: Aber nach muͤglichem gedencken zu schetzen ist die matery faßt nach der art des erleuchten doctors Tauleri, prediger ordens. Wenn man die Reihe, die Luther hier aufmacht, ausbuchstabiert, so erklärt er (sicher mit den nötigen Abstufungen) die Bibel, Augustinus, dann den Autor der Theologia und den Mystiker Tauler zu den wichtigsten ihn prägenden Texten bzw. Autoren. Indem er sie zu religiösen Autoritäten erhebt, stellt er sich explizit in eine Frömmigkeitstradition, die deutlich gegen die traditionelle Scholastik gerichtet war und mit einigen ihrer Vertreter wie z. B. mit Taulers Lehrer, Meister Eckart, im Häresieverdacht stand. Umso provokativer mutet es an, dass Luther die Neuherausgabe mit dem Satz begründet: dann diß edle Buchleyn, alß arm und ungesmuckt es ist yn worten und menschlicher weißheit, alßo und vill mehr reycher und ubirkostlich ist es in kunst und gotlicher weißheit (WA 1, 378, 18–21). Dass er dieses Büchlein, wie er es u. a. mit den Taulerpredigten tut, den theologischen