{"title":"Tiefer blicken … Zu Möglichkeiten und Grenzen mehrdimensionaler diagnostischer Fallberatung in der Grundschule","authors":"T. Trautmann","doi":"10.37626/ga9783959871228.0.23","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Kinder sind nicht dümmer als Erwachsene, sie haben nur weniger Erfahrungen. Ungefähr so äußerte sich Janusz Korczak (vgl. 1972) in seinem Król Maciuś Pierwszy. In meiner langen Zusammenarbeit mit Marianne Nolte hatte ich niemals das Gefühl, Kinder wären in Mariannes Weltbild weniger erfahren oder gar dumm. Im Gegenteil – nach meiner Auffassung schätzte sie gerade unverstellte kindliche Wahrnehmung als besonders, andersartig, inspirierend und somit stets lohnend, sich damit gründlich zu beschäftigen. Auf dieser Denk-Art entstand der vorliegende Beitrag. Er will uns a. mit eigentümlichen kindlichen Selbstzeugnissen konfrontieren und b. zum eigenen Denken anregen – zum Denken über kindliche Welten, unsere individuellen und professionsspezifischen Modelle von Heranwachsenden und letztlich über unsere Kompetenzen, auf Augenhöhe mit ihnen zu arbeiten (vgl. Trautmann/Trautmann 2016 S. 226). Drittens (c) soll die Methode der Datengewinnung dargestellt werden – die zwischen einer Kindbegleitstudie1 und der mehrperspektivischen diagnostischen Fallberatung (MeDiFa) angesiedelt ist. Unser Gewährskind und Protagonist dafür soll der neunjährige Drittklässler Leo sein, der eingangs folgendermaßen skizziert werden soll. „Neben seiner Leidenschaft für Fußball, der er in den Hofpausen engagiert aber inkompetent nachgeht, ist Leo in seiner Klasse eher aufgrund der Tatsache bekannt, ein hervorragender Schachspieler zu sein. Dieses Können beschert ihm einen gewissen Grad der Anerkennung sowie Selbstbewusstsein und macht ihn für viele Kinder zu einem beliebten Schachpartner. Fast ebenso typisch für Leo ist seine ausgeprägte mathematische Begabung, was ihn vom Umfeld seiner mathematikbegabten Klasse jedoch nicht vergleichbar abhebt, genau so wie seine Fähigkeiten im Schachspiel. Fremden gegenüber scheint Leo generell eher mit Zurückhaltung und Wortkargheit zu begegnen“ (Trautmann 2014 S. 153). Im Beitrag soll anhand dieses Jungen die individuelle Ausprägung von Begabungen im schulischen Aufeinandertreffen von Disposition und Performanz dargestellt werden. Mittels einer am Arbeitsbereich Grundschulpädagogik entwickelten Form der mehrperspektivischen Prozessdiagnostik (vgl. Trautmann/ Schmidt/Bichtemann 2009) und einer Modellbildung mit & durch das Kind selbst sollen die Potenzen eines derartigen tieferen Blickens für die tägliche pädagogische Arbeit (re)konstruiert werden.","PeriodicalId":148571,"journal":{"name":"Alle Talente wertschätzen – Grenz- und Beziehungsgebiete der Mathematikdidaktik ausschöpfen","volume":"8 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"1900-01-01","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Alle Talente wertschätzen – Grenz- und Beziehungsgebiete der Mathematikdidaktik ausschöpfen","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.37626/ga9783959871228.0.23","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Kinder sind nicht dümmer als Erwachsene, sie haben nur weniger Erfahrungen. Ungefähr so äußerte sich Janusz Korczak (vgl. 1972) in seinem Król Maciuś Pierwszy. In meiner langen Zusammenarbeit mit Marianne Nolte hatte ich niemals das Gefühl, Kinder wären in Mariannes Weltbild weniger erfahren oder gar dumm. Im Gegenteil – nach meiner Auffassung schätzte sie gerade unverstellte kindliche Wahrnehmung als besonders, andersartig, inspirierend und somit stets lohnend, sich damit gründlich zu beschäftigen. Auf dieser Denk-Art entstand der vorliegende Beitrag. Er will uns a. mit eigentümlichen kindlichen Selbstzeugnissen konfrontieren und b. zum eigenen Denken anregen – zum Denken über kindliche Welten, unsere individuellen und professionsspezifischen Modelle von Heranwachsenden und letztlich über unsere Kompetenzen, auf Augenhöhe mit ihnen zu arbeiten (vgl. Trautmann/Trautmann 2016 S. 226). Drittens (c) soll die Methode der Datengewinnung dargestellt werden – die zwischen einer Kindbegleitstudie1 und der mehrperspektivischen diagnostischen Fallberatung (MeDiFa) angesiedelt ist. Unser Gewährskind und Protagonist dafür soll der neunjährige Drittklässler Leo sein, der eingangs folgendermaßen skizziert werden soll. „Neben seiner Leidenschaft für Fußball, der er in den Hofpausen engagiert aber inkompetent nachgeht, ist Leo in seiner Klasse eher aufgrund der Tatsache bekannt, ein hervorragender Schachspieler zu sein. Dieses Können beschert ihm einen gewissen Grad der Anerkennung sowie Selbstbewusstsein und macht ihn für viele Kinder zu einem beliebten Schachpartner. Fast ebenso typisch für Leo ist seine ausgeprägte mathematische Begabung, was ihn vom Umfeld seiner mathematikbegabten Klasse jedoch nicht vergleichbar abhebt, genau so wie seine Fähigkeiten im Schachspiel. Fremden gegenüber scheint Leo generell eher mit Zurückhaltung und Wortkargheit zu begegnen“ (Trautmann 2014 S. 153). Im Beitrag soll anhand dieses Jungen die individuelle Ausprägung von Begabungen im schulischen Aufeinandertreffen von Disposition und Performanz dargestellt werden. Mittels einer am Arbeitsbereich Grundschulpädagogik entwickelten Form der mehrperspektivischen Prozessdiagnostik (vgl. Trautmann/ Schmidt/Bichtemann 2009) und einer Modellbildung mit & durch das Kind selbst sollen die Potenzen eines derartigen tieferen Blickens für die tägliche pädagogische Arbeit (re)konstruiert werden.