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Abstract
1 Während der Tagung „Atem. Gestalterische, ökologische und soziopolitische Dimensionen, 1900–Gegenwart“ fand am 11.9.2019 an der Humboldt-Universität Berlin ein Podiumsgespräch zwischen Weltzien und Fox statt. Die Diskussion über dieses Thema hatte bereits vorher begonnen und hält an. Dabei werden hier auch bislang unpublizierte Arbeiten besprochen. Der folgende Text geht aus einem Dialog hervor, den der Künstler Anselmo Fox und der Kunstwissenschaftler Friedrich Weltzien über einen längeren Zeitraum hinweg miteinander geführt haben.1 Die Frage, die im Zentrum steht und die anhand einer Reihe von Arbeiten von Anselmo Fox diskutiert wird, lautet: Inwiefern kann der Atem als formgebend betrachtet werden? Wir wollen sehen, ob der Atem als Material und bildende Kraft verstanden werden kann, als Atem, der Struktur und Ordnung hervorbringt. Diskussionsgegenstand also ist der Atem als eine Potenz des Kunstmachens. Als Stoff ist der Atem eine aktive Substanz. Beim Einatmen handelt es sich im Vergleich zum Ausatmen um ein Gasgemisch mit ganz unterschiedlichen chemischen und physikalischen Charakteristika. Die Verhältnisse von Sauerstoff und Stickstoff differieren erheblich, Temperatur und Feuchtigkeit haben sich während des Verbleibs im Körper verändert. Insofern kann man das Material des Atems kaum von der Körperpraxis des Atmens abtrennen: Atem ist nur definierbar, solange jemand atmet. Ohne diese Tätigkeit hört der Atem auf, als Material identifizierbar zu sein. Als eine der zentralen Bestimmungen des Lebens gehört das Atmen zu den Tätigkeiten, die in unterschiedlicher Weise von allen Lebewesen ausgeführt werden. Das gilt für Einzeller ebenso wie für hochkomplexe Wirbeltiere. So ist es auch nicht erstaunlich, dass der Atem und die Seele eine uralte begriffliche Verbindung besitzen, die sich in vielen Sprachen finden lässt. Die lateinische anima etwa bezeichnet beides, und auch der altindische Wortstamm atma, beziehungsweise Friedrich Weltzien & Anselmo Fox im Gespräch