{"title":"‚Deutschland als Mittelpunkt der Bildung‘. Zum Verhältnis von Sprache, Wissenschaft und Universität bei Schleiermacher","authors":"E. Müller","doi":"10.1515/9783110676631-004","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"„Wir errichten eine neue Schöpfung, die so viel als möglich Muster für die künftigen Zeitalter werden soll.“ Diese kühne Prognose, die Johann Gottlieb Fichte der Berliner Universität bereits einige Tage vor ihrer Eröffnung im Oktober 1810 stellte, hat sich auf bemerkenswerte Weise bewahrheitet. Tatsächlich ist das – allerdings vor allem mit den Namen Friedrich Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt verbundene – Universitätsmodell nicht nur zum Muster deutscher, sondern auch anderer europäischer und amerikanischer Universitäten geworden. Und es ist zu beobachten, dass dieser Export und der Siegeszug des preußisch-deutschen Universitätsmodells damit verbunden ist, dass Deutsch im 19. Jahrhundert für viele Jahrzehnte und unterschiedliche Disziplinen zur Wissenschaftssprache wird; noch 1937 wurde den Studenten der Sorbonne vermittelt, Deutsch sei die wesentliche Wissenschaftssprache. Dabei ist kaum noch genau zu unterscheiden, ob die Faszination von den hochgestimmten neuhumanistisch-idealistischen Reformentwürfen, von der – eher defizitär – realisierten Institution selbst oder von den großen Namen derjenigen ausging, die gerade in den ersten Jahrzehnten an dieser Universität lehrten. Universitätshistoriker sind sich relativ einig, dass ein Grund für die Überlegenheit des deutschen Universitätsmodells darin bestand, dass es eine Forschungsuniversität etablierte. Ein anderer Aspekt aber, der wenigstens in den Reformschriften einen wesentlichen Raum einnimmt, tritt dabei zurück: dass in ihnen nämlich das Verhältnis der Sprache (und auch der Nationalsprache) zur Wissenschaft und zu ihren Institutionen sowie die sprachliche Darlegung des Wissens selbst zum Gegenstand gemacht wird.","PeriodicalId":173685,"journal":{"name":"Über Wissenschaft reden","volume":"32 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-02-24","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"1","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Über Wissenschaft reden","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/9783110676631-004","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
„Wir errichten eine neue Schöpfung, die so viel als möglich Muster für die künftigen Zeitalter werden soll.“ Diese kühne Prognose, die Johann Gottlieb Fichte der Berliner Universität bereits einige Tage vor ihrer Eröffnung im Oktober 1810 stellte, hat sich auf bemerkenswerte Weise bewahrheitet. Tatsächlich ist das – allerdings vor allem mit den Namen Friedrich Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt verbundene – Universitätsmodell nicht nur zum Muster deutscher, sondern auch anderer europäischer und amerikanischer Universitäten geworden. Und es ist zu beobachten, dass dieser Export und der Siegeszug des preußisch-deutschen Universitätsmodells damit verbunden ist, dass Deutsch im 19. Jahrhundert für viele Jahrzehnte und unterschiedliche Disziplinen zur Wissenschaftssprache wird; noch 1937 wurde den Studenten der Sorbonne vermittelt, Deutsch sei die wesentliche Wissenschaftssprache. Dabei ist kaum noch genau zu unterscheiden, ob die Faszination von den hochgestimmten neuhumanistisch-idealistischen Reformentwürfen, von der – eher defizitär – realisierten Institution selbst oder von den großen Namen derjenigen ausging, die gerade in den ersten Jahrzehnten an dieser Universität lehrten. Universitätshistoriker sind sich relativ einig, dass ein Grund für die Überlegenheit des deutschen Universitätsmodells darin bestand, dass es eine Forschungsuniversität etablierte. Ein anderer Aspekt aber, der wenigstens in den Reformschriften einen wesentlichen Raum einnimmt, tritt dabei zurück: dass in ihnen nämlich das Verhältnis der Sprache (und auch der Nationalsprache) zur Wissenschaft und zu ihren Institutionen sowie die sprachliche Darlegung des Wissens selbst zum Gegenstand gemacht wird.