{"title":"Vergeltungsbedürfnis und Strafrecht – Was sind die angemessenen Antworten auf das Verbrechen?","authors":"Uwe Murmann","doi":"10.5771/9783748922186-327","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Nachdem das Thema des Verbrechens im Rahmen dieser Ringvorlesung mittlerweile von vielen Seiten gleichsam eingekreist worden ist und dabei insbesondere vieles über die Kriminalität als empirisches Phänomen gesagt wurde, möchte ich mich als Strafrechtler dem rechtlichen Verständnis von Strafe zuwenden. Wenn wir Strafrecht betreiben, so gehört dazu immer auch, dass wir uns Rechenschaft darüber ablegen, welchem Zweck die Strafe dient. Und auch die im Einzelfall angemessene Strafe lässt sich nur bestimmen vor dem Hintergrund eines mit ihr verfolgten Zwecks.1 Jeder Richter, jeder Staatsanwalt, auch jeder Strafverteidiger, der seinen Beruf verantwortungsvoll betreibt, muss sich diesen Fragen stellen. Fragt man nach den angemessenen Antworten auf das Verbrechen, so scheint der Vergeltungsgedanke auf den ersten Blick in einem modernen Gemeinwesen keinen Platz mehr zu haben. Zu archaisch mutet er an, zu tief verbunden mit dunklen Rachegelüsten, die dem modernen Menschen zwar ganz sicher nicht fremd sind, von denen er aber meint, dass sie tieferen, dunklen Schichten seiner Persönlichkeit entstammen und deshalb schlecht zu aufgeklärter, moderner Kriminalpolitik passen. Dabei ist schon einmal festzuhalten, dass Vergeltung nicht mit Rache verwechselt werden darf; Rache ist tendenziell maßlos, Vergeltung zielt auf einen Ausgleich, verlangt also nach einer gewissen Angemessenheit.2 Dennoch ist es nach heutigem Verständnis sicher richtig, dass ein mittelalterliches, dem Talionsprinzip verpflichtetes vergeltendes Strafrecht („Auge I.","PeriodicalId":215954,"journal":{"name":"Das sogenannte Böse","volume":"35 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-11-16","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Das sogenannte Böse","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.5771/9783748922186-327","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
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Abstract
Nachdem das Thema des Verbrechens im Rahmen dieser Ringvorlesung mittlerweile von vielen Seiten gleichsam eingekreist worden ist und dabei insbesondere vieles über die Kriminalität als empirisches Phänomen gesagt wurde, möchte ich mich als Strafrechtler dem rechtlichen Verständnis von Strafe zuwenden. Wenn wir Strafrecht betreiben, so gehört dazu immer auch, dass wir uns Rechenschaft darüber ablegen, welchem Zweck die Strafe dient. Und auch die im Einzelfall angemessene Strafe lässt sich nur bestimmen vor dem Hintergrund eines mit ihr verfolgten Zwecks.1 Jeder Richter, jeder Staatsanwalt, auch jeder Strafverteidiger, der seinen Beruf verantwortungsvoll betreibt, muss sich diesen Fragen stellen. Fragt man nach den angemessenen Antworten auf das Verbrechen, so scheint der Vergeltungsgedanke auf den ersten Blick in einem modernen Gemeinwesen keinen Platz mehr zu haben. Zu archaisch mutet er an, zu tief verbunden mit dunklen Rachegelüsten, die dem modernen Menschen zwar ganz sicher nicht fremd sind, von denen er aber meint, dass sie tieferen, dunklen Schichten seiner Persönlichkeit entstammen und deshalb schlecht zu aufgeklärter, moderner Kriminalpolitik passen. Dabei ist schon einmal festzuhalten, dass Vergeltung nicht mit Rache verwechselt werden darf; Rache ist tendenziell maßlos, Vergeltung zielt auf einen Ausgleich, verlangt also nach einer gewissen Angemessenheit.2 Dennoch ist es nach heutigem Verständnis sicher richtig, dass ein mittelalterliches, dem Talionsprinzip verpflichtetes vergeltendes Strafrecht („Auge I.