{"title":"Zukunftswert Partizipation: Keine soziale Teilhabe ohne digitale Teilhabe","authors":"Daniel Dettling","doi":"10.5771/9783845294308-11","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Es sind großflächige gesellschaftliche Entwicklungen (Megatrends), die mehr Partizipation möglich, vor allem aber auch nötig machen: Der demografische und Wertewandel, Individualisierung, Globalisierung und Digitalisierung sowie das Entstehen einer neuen Ökonomie, in der es um Wissen und Kreativität geht. Die digitale Welt ist partizipativer als die analoge und mediale Welt der Einbahnstraße der Fernseher und Zuschauer. Auch die neuen und künftigen Freiwilligen sind partizipativer und potenzialorientierter. Sie wollen mitreden und mitmachen. Mit Hilfe digitaler Medien und Tools lässt sich Partizipation auf eine neue Evolutionsebene heben. Die Unterscheidung zwischen Helfenden und Hilfebedürftigen, Kümmerern und Bekümmerten wird aufgehoben. Partizipation mit seinen Indikatoren Lernfähigkeit, Sinnstiftung, Resilienz, digitale Kompetenz, Zukunftsfreude, Selbstorganisation, Mut und Zugang wird zum Zukunftswert. Der Beitrag diskutiert den neuen Zukunftswert unter der Leitthese, dass soziale und digitale Teilhabe künftig einander bedingen. Die neue Netzwerkgesellschaft stellt gemeinnütziges bzw. gemeinwohlorientiertes Handeln vor neue Herausforderungen. Es geht nicht mehr um Masse und Kollektiv, sondern um Individuen und Konnektiv. Die traditionellen Organisationen der Zivilgesellschaft werden sich ändern und Kontrolle abgeben müssen, wenn sie in Zukunft noch relevant sein wollen. Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte. Gustav Heinemann, dritter Bundespräsident der Bundesrepublik Von der Zivilzur Netzwerkgesellschaft Die Idee und das Konzept der Zivilgesellschaft (bzw. Bürgergesellschaft) knüpft an zwei Traditionen an: an das angelsächsische politische Denken und an die Impulse aus den ostmitteleuropäischen Ländern vor und nach 1. 11 https://doi.org/10.5771/9783845294308-11 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 12.08.2021, 12:30:35. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1989. Die angelsächsische Tradition denkt (anders als etwa die deutsche) nicht in den Kategorien Staat versus Gesellschaft, sondern in den Kategorien „Civil Society and it’s Government.“ Das politische Denken beginnt nicht mit dem Staat, sondern mit der Gesellschaft und mit dem Bürger. Zivilgesellschaft enthält immer auch die Zumutung der Freiheit. Die zweite wichtige Traditionslinie der Zivilgesellschaft kommt aus den Demokratieund Dissidentenbewegungen in Polen, Tschechien, der DDR und anderen ostmitteleuropäischen Ländern nach 1945. Sie wehrten sich gegen die Dominanz des (kommunistischen) Staates über die Gesellschaft und die Bürger. Es war ein Aufstand der „zivilen“ Kräfte der Gesellschaft gegen die alles andere als „zivilen“ Apparate und Ausdrucksformen des Staates (Polizei, Militär, Geheimdienste). Die unsichtbare Zivilgesellschaft als Methode der Kooperation der drei Sektoren Staat, Markt und Gesellschaft In Teilen der deutschen Politik und der Wissenschaft ist heute ein Verständnis verbreitet, das die Zivilgesellschaft weniger als einen realen Teil der Gesellschaft betrachtet denn als eine bestimmte Art und Weise, wie die drei Sektoren Staat, Wirtschaft und Dritter Sektor gemeinsam („trilateral“) handeln, um gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Dieses Verständnis prägt bis heute die Debatte um Engagement, Partizipation und demokratische Teilhabe und macht es schwer, sich neu und innovativ den neuen Herausforderungen zu stellen. Nach der klassischen Philosophie realisiert sich die unsichtbare Zivilgesellschaft als Methode der Kooperation der drei Sektoren. Daniel Dettling 12 https://doi.org/10.5771/9783845294308-11 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 12.08.2021, 12:30:35. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Quelle: „Die Zukunft der Gemeinnützigkeit“, Trendstudie Zukunftsinstitut (2014) Mit dem Begriff „Dritter Sektor“ ist hier jener Bereich menschlicher und sozialer Aktivitäten gemeint, der jenseits von Staat und Markt angesiedelt ist. Dabei meinen diese beiden „Sektoren“ der Gesellschaft jeweils ein bestimmtes Handlungsfeld bzw. einen bestimmten Gegenstandsbereich (Wirtschaft und/oder Staat), einen spezifischen Steuerungsund Koordinationsmechanismus (Markt oder Hierarchie) und jeweils unterschiedliche Motivationslagen (freiwillig versus Zwang). Was den Dritten Sektor ausmacht und wo seine Grenzen verlaufen, ist trotz intensiver Forschung nach wie vor umstritten. In jedem Falle gehört das weite Feld der freien Wohlfahrtspflege dazu. Was aber ist mit den sozialen Unternehmen, welche die freie Wohlfahrtspflege in eigenen Rechtsformen ausgliedern, um besser gerüstet zu sein für den wachsenden Wettbewerb auf den internationalen (europäischen) Dienstleistungsmärkten? In den USA zählen auch das Bildungsund das Gesundheitswesen zum Dritten Sektor und entsprechend wächst dessen Umfang und Bedeutung. Zukunftswert Partizipation: Keine soziale Teilhabe ohne digitale Teilhabe 13 https://doi.org/10.5771/9783845294308-11 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 12.08.2021, 12:30:35. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Keine Konkurrenz zwischen den Sektoren Wenn man einer verbreiteten Übung folgt und den Dritten Sektor negativ durch das zu bestimmen versucht, was er nicht ist und nicht sein will, wird das Dilemma noch deutlicher: Not for Profit ist die eine und Non-Governmental(-Organization) ist die andere Abgrenzung, und beide zusammen sollen sie den Dritten Sektor ausmachen, also alles umfassen, was nicht in der ökonomischen Logik um des Gewinnes willen und nicht in der staatlichen Logik als Regierungshandeln verstanden und betrieben wird. Die jeweiligen Systeme sind entweder zu robust oder zu fragil, um mit der Komplexität ihrer Umgebung klarzukommen. Jeder Sektor für sich funktioniert einzeln immer schlechter. Die Annahme einer Konkurrenz zwischen den Sektoren Staat, Markt und Zivilgesellschaft findet keinen empirischen Beleg. Künftig geht es um intelligente Kooperationen und eine neue Kultur der Zusammenarbeit. Gemeinnützige Werte sind heute nicht mehr das Monopol des Dritten Sektors. Hybride Formen an der Schnittstelle zwischen freier Marktwirtschaft und Gemeinnützigkeit wie soziale Startups und soziale Unternehmen sind Vorboten fundamentaler Veränderungen hin zu einer hyperkomplexen Netzwerkgesellschaft. Auch das Bild des Ersten Sektors, genauer: vom Sozialstaat als primären Wohlstandsgenerator verändert sich. Zivilgesellschaftliche, private und gemeinnützige Akteure üben zunehmend Funktionen aus, die historisch nur staatlichen Institutionen zugeschrieben waren. Stiftungen und Genossenschaften boomen und reagieren auf neue Trends Sozialstaat und Zivilgesellschaft wandeln sich in diesem Jahrhundert zu einer Beteiligungsgesellschaft der Sozialunternehmer. Genossenschaften, soziale Startups und Stiftungen erleben einen regelrechten Boom. Als Community-Manager leisten sie kollektive Selbsthilfe und organisierte Selbstorganisation. Allein die Zahl der Stiftungen hat sich in Deutschland seit 2000 mehr als verdoppelt (20.000). Und von den heute 8.000 Genossenschaften mit 22 Millionen Mitgliedern wurden allein seit 2006 2.000 neu gegründet. Neben den traditionellen Aufgabenfeldern Kreditwesen, Wohnen, Landwirtschaft und Konsum widmen sich die neuen Genossenschaften den Bereichen erneuerbare Energien, Breitbandversorgung, Gesundheitswesen und Pflege. Immer mehr von ihnen verstehen sich als Sozialinvestoren und setzen dabei auf eine Philosophie der wirkungsorientierten Vermögensanlage („Impact Investing“). In Zukunft werden sie verDaniel Dettling 14 https://doi.org/10.5771/9783845294308-11 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 12.08.2021, 12:30:35. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. suchen ihre Kapitalanlage mit Fördergeldern zu verbinden. So entstehen rund um den Bereich des „Caring“ neue und ökonomisch interessante Handlungsfelder: Kinderbetreuung, Bildung, Erziehung, Familien, Altenpflege, Wohnen, Nachbarschaften, Integration und Inklusion. Partizipation in der Post-Wachstumsgesellschaft: Share & Care Paradigmatisch für diese Entwicklung steht das Phänomen der „Share Economy“, eine neue Kultur des Teilens und Tauschens. Ihre Grundprinzipien lauten: Nutzen ist wichtiger als Besitzen, Zugang ist wichtiger als Eigentum und Geld spielt eine kleinere Rolle als Leistung, Wissen oder Kreativität. Im Kern geht es um das Prinzip „Share & Care“, den Tausch von Ressourcen und Dingen als Alternative zum Modus des Konsumierens und Geldmaximierens. Der US-Ökonom und Bestseller-Autor Jeremy Rifkin brachte den Trend bereits 2000 in seinem Buch „Access“ auf den Punkt: „Die Ära des Eigentums geht zu Ende, das Zeitalter des Zugangs beginnt.“ Das neue Medium Internet hat diese neue ökonomische Philosophie seitdem erheblich befördert und beschleunigt. „Wachstum“ wird dabei umdefiniert zu einem Mix aus Ökonomie, Ökologie und sozialem Engagement. Die Shareconomy ist kein temporäres Trendphänomen. Mit den zunehmenden Vernetzungsmöglichkeiten wird sie sich weiter entfalten und verbreiten. Die Generation der Digital Natives ist bereits zu zwei Dritteln als „Sharer“ aktiv. Diese Generation steht für eine neue Netzwerk-Mentalität. Dabei verlieren materielle Werte an Relevanz als Messinstrument von Reichtum, während eine neue Währung immer wichtiger wird: Vertrauen. Wachstum wird dabei umdefiniert: als Kombination aus Ökonomie, Ökologie und sozialem Engagement. An der Shareconomy beteiligen sich die Menschen aber nicht nur aus ethischen oder moralischen Gründen, sondern oft auch aus pragmatischen Motiven. Die Verbindung aus Partizipation und Konsum entfaltet enorme ökonomische Potenziale wie die Branchen Tourismus (Airbnb), Mobilität (Carsharing) und Lebensmittel (Foodsharing) zeigen. Dabei entstehen neue Organisationskategorien und – mindsets: „For-benefit“ als gleichwertige Alternative zu For-profit und Non-profit. 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Abstract
Es sind großflächige gesellschaftliche Entwicklungen (Megatrends), die mehr Partizipation möglich, vor allem aber auch nötig machen: Der demografische und Wertewandel, Individualisierung, Globalisierung und Digitalisierung sowie das Entstehen einer neuen Ökonomie, in der es um Wissen und Kreativität geht. Die digitale Welt ist partizipativer als die analoge und mediale Welt der Einbahnstraße der Fernseher und Zuschauer. Auch die neuen und künftigen Freiwilligen sind partizipativer und potenzialorientierter. Sie wollen mitreden und mitmachen. Mit Hilfe digitaler Medien und Tools lässt sich Partizipation auf eine neue Evolutionsebene heben. Die Unterscheidung zwischen Helfenden und Hilfebedürftigen, Kümmerern und Bekümmerten wird aufgehoben. Partizipation mit seinen Indikatoren Lernfähigkeit, Sinnstiftung, Resilienz, digitale Kompetenz, Zukunftsfreude, Selbstorganisation, Mut und Zugang wird zum Zukunftswert. Der Beitrag diskutiert den neuen Zukunftswert unter der Leitthese, dass soziale und digitale Teilhabe künftig einander bedingen. Die neue Netzwerkgesellschaft stellt gemeinnütziges bzw. gemeinwohlorientiertes Handeln vor neue Herausforderungen. Es geht nicht mehr um Masse und Kollektiv, sondern um Individuen und Konnektiv. Die traditionellen Organisationen der Zivilgesellschaft werden sich ändern und Kontrolle abgeben müssen, wenn sie in Zukunft noch relevant sein wollen. Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte. Gustav Heinemann, dritter Bundespräsident der Bundesrepublik Von der Zivilzur Netzwerkgesellschaft Die Idee und das Konzept der Zivilgesellschaft (bzw. Bürgergesellschaft) knüpft an zwei Traditionen an: an das angelsächsische politische Denken und an die Impulse aus den ostmitteleuropäischen Ländern vor und nach 1. 11 https://doi.org/10.5771/9783845294308-11 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 12.08.2021, 12:30:35. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1989. Die angelsächsische Tradition denkt (anders als etwa die deutsche) nicht in den Kategorien Staat versus Gesellschaft, sondern in den Kategorien „Civil Society and it’s Government.“ Das politische Denken beginnt nicht mit dem Staat, sondern mit der Gesellschaft und mit dem Bürger. Zivilgesellschaft enthält immer auch die Zumutung der Freiheit. Die zweite wichtige Traditionslinie der Zivilgesellschaft kommt aus den Demokratieund Dissidentenbewegungen in Polen, Tschechien, der DDR und anderen ostmitteleuropäischen Ländern nach 1945. Sie wehrten sich gegen die Dominanz des (kommunistischen) Staates über die Gesellschaft und die Bürger. Es war ein Aufstand der „zivilen“ Kräfte der Gesellschaft gegen die alles andere als „zivilen“ Apparate und Ausdrucksformen des Staates (Polizei, Militär, Geheimdienste). Die unsichtbare Zivilgesellschaft als Methode der Kooperation der drei Sektoren Staat, Markt und Gesellschaft In Teilen der deutschen Politik und der Wissenschaft ist heute ein Verständnis verbreitet, das die Zivilgesellschaft weniger als einen realen Teil der Gesellschaft betrachtet denn als eine bestimmte Art und Weise, wie die drei Sektoren Staat, Wirtschaft und Dritter Sektor gemeinsam („trilateral“) handeln, um gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Dieses Verständnis prägt bis heute die Debatte um Engagement, Partizipation und demokratische Teilhabe und macht es schwer, sich neu und innovativ den neuen Herausforderungen zu stellen. Nach der klassischen Philosophie realisiert sich die unsichtbare Zivilgesellschaft als Methode der Kooperation der drei Sektoren. Daniel Dettling 12 https://doi.org/10.5771/9783845294308-11 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 12.08.2021, 12:30:35. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Quelle: „Die Zukunft der Gemeinnützigkeit“, Trendstudie Zukunftsinstitut (2014) Mit dem Begriff „Dritter Sektor“ ist hier jener Bereich menschlicher und sozialer Aktivitäten gemeint, der jenseits von Staat und Markt angesiedelt ist. Dabei meinen diese beiden „Sektoren“ der Gesellschaft jeweils ein bestimmtes Handlungsfeld bzw. einen bestimmten Gegenstandsbereich (Wirtschaft und/oder Staat), einen spezifischen Steuerungsund Koordinationsmechanismus (Markt oder Hierarchie) und jeweils unterschiedliche Motivationslagen (freiwillig versus Zwang). Was den Dritten Sektor ausmacht und wo seine Grenzen verlaufen, ist trotz intensiver Forschung nach wie vor umstritten. In jedem Falle gehört das weite Feld der freien Wohlfahrtspflege dazu. Was aber ist mit den sozialen Unternehmen, welche die freie Wohlfahrtspflege in eigenen Rechtsformen ausgliedern, um besser gerüstet zu sein für den wachsenden Wettbewerb auf den internationalen (europäischen) Dienstleistungsmärkten? In den USA zählen auch das Bildungsund das Gesundheitswesen zum Dritten Sektor und entsprechend wächst dessen Umfang und Bedeutung. Zukunftswert Partizipation: Keine soziale Teilhabe ohne digitale Teilhabe 13 https://doi.org/10.5771/9783845294308-11 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 12.08.2021, 12:30:35. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Keine Konkurrenz zwischen den Sektoren Wenn man einer verbreiteten Übung folgt und den Dritten Sektor negativ durch das zu bestimmen versucht, was er nicht ist und nicht sein will, wird das Dilemma noch deutlicher: Not for Profit ist die eine und Non-Governmental(-Organization) ist die andere Abgrenzung, und beide zusammen sollen sie den Dritten Sektor ausmachen, also alles umfassen, was nicht in der ökonomischen Logik um des Gewinnes willen und nicht in der staatlichen Logik als Regierungshandeln verstanden und betrieben wird. Die jeweiligen Systeme sind entweder zu robust oder zu fragil, um mit der Komplexität ihrer Umgebung klarzukommen. Jeder Sektor für sich funktioniert einzeln immer schlechter. Die Annahme einer Konkurrenz zwischen den Sektoren Staat, Markt und Zivilgesellschaft findet keinen empirischen Beleg. Künftig geht es um intelligente Kooperationen und eine neue Kultur der Zusammenarbeit. Gemeinnützige Werte sind heute nicht mehr das Monopol des Dritten Sektors. Hybride Formen an der Schnittstelle zwischen freier Marktwirtschaft und Gemeinnützigkeit wie soziale Startups und soziale Unternehmen sind Vorboten fundamentaler Veränderungen hin zu einer hyperkomplexen Netzwerkgesellschaft. Auch das Bild des Ersten Sektors, genauer: vom Sozialstaat als primären Wohlstandsgenerator verändert sich. Zivilgesellschaftliche, private und gemeinnützige Akteure üben zunehmend Funktionen aus, die historisch nur staatlichen Institutionen zugeschrieben waren. Stiftungen und Genossenschaften boomen und reagieren auf neue Trends Sozialstaat und Zivilgesellschaft wandeln sich in diesem Jahrhundert zu einer Beteiligungsgesellschaft der Sozialunternehmer. Genossenschaften, soziale Startups und Stiftungen erleben einen regelrechten Boom. Als Community-Manager leisten sie kollektive Selbsthilfe und organisierte Selbstorganisation. Allein die Zahl der Stiftungen hat sich in Deutschland seit 2000 mehr als verdoppelt (20.000). Und von den heute 8.000 Genossenschaften mit 22 Millionen Mitgliedern wurden allein seit 2006 2.000 neu gegründet. Neben den traditionellen Aufgabenfeldern Kreditwesen, Wohnen, Landwirtschaft und Konsum widmen sich die neuen Genossenschaften den Bereichen erneuerbare Energien, Breitbandversorgung, Gesundheitswesen und Pflege. Immer mehr von ihnen verstehen sich als Sozialinvestoren und setzen dabei auf eine Philosophie der wirkungsorientierten Vermögensanlage („Impact Investing“). In Zukunft werden sie verDaniel Dettling 14 https://doi.org/10.5771/9783845294308-11 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 12.08.2021, 12:30:35. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. suchen ihre Kapitalanlage mit Fördergeldern zu verbinden. So entstehen rund um den Bereich des „Caring“ neue und ökonomisch interessante Handlungsfelder: Kinderbetreuung, Bildung, Erziehung, Familien, Altenpflege, Wohnen, Nachbarschaften, Integration und Inklusion. Partizipation in der Post-Wachstumsgesellschaft: Share & Care Paradigmatisch für diese Entwicklung steht das Phänomen der „Share Economy“, eine neue Kultur des Teilens und Tauschens. Ihre Grundprinzipien lauten: Nutzen ist wichtiger als Besitzen, Zugang ist wichtiger als Eigentum und Geld spielt eine kleinere Rolle als Leistung, Wissen oder Kreativität. Im Kern geht es um das Prinzip „Share & Care“, den Tausch von Ressourcen und Dingen als Alternative zum Modus des Konsumierens und Geldmaximierens. Der US-Ökonom und Bestseller-Autor Jeremy Rifkin brachte den Trend bereits 2000 in seinem Buch „Access“ auf den Punkt: „Die Ära des Eigentums geht zu Ende, das Zeitalter des Zugangs beginnt.“ Das neue Medium Internet hat diese neue ökonomische Philosophie seitdem erheblich befördert und beschleunigt. „Wachstum“ wird dabei umdefiniert zu einem Mix aus Ökonomie, Ökologie und sozialem Engagement. Die Shareconomy ist kein temporäres Trendphänomen. Mit den zunehmenden Vernetzungsmöglichkeiten wird sie sich weiter entfalten und verbreiten. Die Generation der Digital Natives ist bereits zu zwei Dritteln als „Sharer“ aktiv. Diese Generation steht für eine neue Netzwerk-Mentalität. Dabei verlieren materielle Werte an Relevanz als Messinstrument von Reichtum, während eine neue Währung immer wichtiger wird: Vertrauen. Wachstum wird dabei umdefiniert: als Kombination aus Ökonomie, Ökologie und sozialem Engagement. An der Shareconomy beteiligen sich die Menschen aber nicht nur aus ethischen oder moralischen Gründen, sondern oft auch aus pragmatischen Motiven. Die Verbindung aus Partizipation und Konsum entfaltet enorme ökonomische Potenziale wie die Branchen Tourismus (Airbnb), Mobilität (Carsharing) und Lebensmittel (Foodsharing) zeigen. Dabei entstehen neue Organisationskategorien und – mindsets: „For-benefit“ als gleichwertige Alternative zu For-profit und Non-profit. Das Ziel solcher For-benefit-Unternehmen ist es nicht, das beste Unternehmen in