{"title":"煞车?新命令的二音区§§63/64刑法规定","authors":"J. Querengässer, Hans-Joachim Traub","doi":"10.1515/mks-2022-0024","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Zusammenfassung Mit den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung ist die Frage der Schuldfähigkeit im deutschen Strafrecht normativ eng verknüpft. Für die Anordnung einer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB stellen Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit (gem. §§ 20/21 StGB) eine Voraussetzung dar; eine Unterbringung in der Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB kann unabhängig von der Feststellung individueller Schuld und somit in Kombination mit §§ 20 oder 21 StGB oder auch ohne Einschränkung der Schuldfähigkeit angeordnet werden. Der vorliegende Artikel beschreibt und analysiert die Entwicklung der Neuanordnungen entsprechender Schuldfähigkeits-/Maßregelkombinationen in den Jahren 1995 bis 2018 auf Grundlage der Strafverfolgungsstatistik und nutzt dafür lineare und polynome Trendmodelle. Neben der absoluten und relativen Gesamtverteilung werden auch einzelne Populationsparamater der Subgruppen im Zeitverlauf verglichen. In beiden Sanktionen nahm der Anteil an verminderter Schuldfähigkeit deutlich ab und lag zuletzt jeweils bei unter 30%. Es überwiegen zunehmend die Kombinationen aus §§ 63/20 StGB bzw. § 64 StGB und voller Schuldfähigkeit. Bei ergänzender Betrachtung von Populationsparametern imponieren je nach Schuldfähigkeitsstufe differenzielle Entwicklungen. Am deutlichsten zeigt sich dies bei § 64 StGB und Vergehen gegen das BtMG: Während sich bei voll Schuldfähigen der Anteil derartiger Hauptdelikte auf über 40% verdoppelt, halbiert er sich bei vermindert Schuldfähigen auf unter 10%. Die möglichen Ursachen und Implikationen dieser Entwicklungen werden vor dem Hintergrund von allgemeinen Veränderungen in Epidemiologie und Deliktgeschehen diskutiert. Plausibel erklärbar wird das Ausmaß indes nur als Effekt einer geänderten Rechts- und Begutachtungspraxis. Die beobachtete Dichotomisierung der Neuanordnungen kann somit auch als vorweggenommene Neuordnung des Sanktionenrechts durch die Rechtspraxis interpretiert werden.","PeriodicalId":43577,"journal":{"name":"Monatsschrift Fur Kriminologie Und Strafrechtsreform","volume":"37 1","pages":"90 - 99"},"PeriodicalIF":0.6000,"publicationDate":"2023-04-06","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"Auslaufmodell verminderte Schuldfähigkeit? Die Dichotomisierung der Neuanordnungen gem. §§ 63/64 Strafgesetzbuch\",\"authors\":\"J. Querengässer, Hans-Joachim Traub\",\"doi\":\"10.1515/mks-2022-0024\",\"DOIUrl\":null,\"url\":null,\"abstract\":\"Zusammenfassung Mit den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung ist die Frage der Schuldfähigkeit im deutschen Strafrecht normativ eng verknüpft. 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Auslaufmodell verminderte Schuldfähigkeit? Die Dichotomisierung der Neuanordnungen gem. §§ 63/64 Strafgesetzbuch
Zusammenfassung Mit den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung ist die Frage der Schuldfähigkeit im deutschen Strafrecht normativ eng verknüpft. Für die Anordnung einer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB stellen Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit (gem. §§ 20/21 StGB) eine Voraussetzung dar; eine Unterbringung in der Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB kann unabhängig von der Feststellung individueller Schuld und somit in Kombination mit §§ 20 oder 21 StGB oder auch ohne Einschränkung der Schuldfähigkeit angeordnet werden. Der vorliegende Artikel beschreibt und analysiert die Entwicklung der Neuanordnungen entsprechender Schuldfähigkeits-/Maßregelkombinationen in den Jahren 1995 bis 2018 auf Grundlage der Strafverfolgungsstatistik und nutzt dafür lineare und polynome Trendmodelle. Neben der absoluten und relativen Gesamtverteilung werden auch einzelne Populationsparamater der Subgruppen im Zeitverlauf verglichen. In beiden Sanktionen nahm der Anteil an verminderter Schuldfähigkeit deutlich ab und lag zuletzt jeweils bei unter 30%. Es überwiegen zunehmend die Kombinationen aus §§ 63/20 StGB bzw. § 64 StGB und voller Schuldfähigkeit. Bei ergänzender Betrachtung von Populationsparametern imponieren je nach Schuldfähigkeitsstufe differenzielle Entwicklungen. Am deutlichsten zeigt sich dies bei § 64 StGB und Vergehen gegen das BtMG: Während sich bei voll Schuldfähigen der Anteil derartiger Hauptdelikte auf über 40% verdoppelt, halbiert er sich bei vermindert Schuldfähigen auf unter 10%. Die möglichen Ursachen und Implikationen dieser Entwicklungen werden vor dem Hintergrund von allgemeinen Veränderungen in Epidemiologie und Deliktgeschehen diskutiert. Plausibel erklärbar wird das Ausmaß indes nur als Effekt einer geänderten Rechts- und Begutachtungspraxis. Die beobachtete Dichotomisierung der Neuanordnungen kann somit auch als vorweggenommene Neuordnung des Sanktionenrechts durch die Rechtspraxis interpretiert werden.