{"title":"作为实验系统的艺术知识","authors":"Boris Roman Gibhardt","doi":"10.13109/KULT.2018.18.2.266","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"»Rodin-Lektüren« – darunter sind im Fall des so betitelten Buchs nicht Interpretationen von Rodins Werken gemeint, sondern historisch aufgefächerte und wissensgeschichtlich fundierte Annäherungen an die Deutung der Autorschaft Rodins. Die Monographie ist daher weniger eine darstellungsanalytische Annäherung an die Symbolik oder Poetik des Skulpturenwerks als eine Reflexion der epistemologischen Prämissen des Fachs Kunstgeschichte und der Geisteswissenschaften im weitesten Sinne. Mit der Rezeption des französischen Bildhauers ergab sich – wohl erstmalig in der Geschichte der Kunst – der Fall, dass Werk und Autor in einer historiographischen Setzung verschmolzen sind: Rodin, so der Ausgangspunkt von Brabants Überlegung, galt bereits zu seinen Lebzeiten als Inbegriff der »Moderne«. Denn für Kunstkritiker, Philosophen und Schriftsteller – darunter zu Lebzeiten des Künstlers etwa Georg Simmel, Rainer Maria Rilke und in der etwas jüngeren Kunstgeschichte Leo Steinberg, Josef Schmoll gen. Eisenwerth – avancierten Rodins Werke geradezu zu »Reflexionsmedien« (10) dessen, was die Moderne ausmache. Mit anderen Worten ging es in Deutungen der betreffenden Kunstwerke immer auch, und zwar laut Brabant vor allen Dingen, um Legitimationen, Historisierungen und Prognosen der kulturellen Gegenwart und Zukunft. Wie in der Einleitung gezeigt wird, dient dabei nicht zuletzt die künstlerische Subjektivität der Person Rodin dazu, den Moderne-Diskurs zu prägen: Immer wieder wurden Parallelen zwischen Werk und Künstler gezogen, und zwar ebenso im Sinne eines renaissancistischen und damit anachronistischen Biographismus und Geniekults wie auch im Sinne einer bewusst offenen Befragung des Spiegelverhältnisses, in dem Künstlerindividuum und Epochenkonstruktion stehen können. Bei dieser Feststellung geht es dem Autor nicht darum, hermeneutisch ›unsaubere‹ Deutungen zu entlarven oder aber die Unmöglichkeit einer von Gegenwartsdiagnosen und Genealogisierungen freien Interpretation von Kunst zu behaupten. Vielmehr wird zunächst ›nur‹ konstatiert, dass sich Diskurse nicht selten durch eine nachträgliche Stabilisierung auszeichnen und deshalb die tatsächliche Kontingenz, der die Entstehung von Wissen zu jeder Zeit entworfen ist, vergessen lassen. Gerade der Moderne-Diskurs, so Brabant, neigt dazu, jene Unwägbarkeit zu begradigen, die das Verständnis der Moderne zum Zeitpunkt ihres Entstehens charakterisierte (14). Dennoch lassen sich die Rodin-Deutungen im Zeichen dieses Diskurses nicht einfach als Entfaltungen eines sich verdichtenden Moderne-Paradigmas lesen, da zumindest in jüngerer Zeit die Hermeneutik schlechthin immer wieder als Konstruktion und Projektion entzaubert wurde (15). 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Mit anderen Worten ging es in Deutungen der betreffenden Kunstwerke immer auch, und zwar laut Brabant vor allen Dingen, um Legitimationen, Historisierungen und Prognosen der kulturellen Gegenwart und Zukunft. Wie in der Einleitung gezeigt wird, dient dabei nicht zuletzt die künstlerische Subjektivität der Person Rodin dazu, den Moderne-Diskurs zu prägen: Immer wieder wurden Parallelen zwischen Werk und Künstler gezogen, und zwar ebenso im Sinne eines renaissancistischen und damit anachronistischen Biographismus und Geniekults wie auch im Sinne einer bewusst offenen Befragung des Spiegelverhältnisses, in dem Künstlerindividuum und Epochenkonstruktion stehen können. Bei dieser Feststellung geht es dem Autor nicht darum, hermeneutisch ›unsaubere‹ Deutungen zu entlarven oder aber die Unmöglichkeit einer von Gegenwartsdiagnosen und Genealogisierungen freien Interpretation von Kunst zu behaupten. 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摘要
“罗丹阅读”——就这本书的标题而言,这并不意味着对罗丹作品的解读,而是对罗丹作者身份的历史扇形和基于知识的解读。因此,该专著与其说是对雕塑象征主义或诗学的分析方法,不如说是对艺术史和最广义的人文学科的认识论前提的反思。随着法国雕塑家的接受——可能是艺术史上第一次——作品和作者被融合在一个历史背景中:根据布拉班特的推理,罗丹在他的一生中已经被视为“现代性”的缩影。对于艺术评论家、哲学家和作家来说——包括艺术家生前的Georg Simmel、Rainer Maria Rilke,以及最近的艺术史上的Leo Steinberg、Josef Schmoll-gen.Eisenwerth——罗丹的作品已经成为现代性构成的“反思媒介”。换句话说,根据布拉班特的说法,对这些艺术品的解释一直是关于合法化、历史化以及对文化现状和未来的预测。如引言所示,罗丹的艺术主体性不仅有助于塑造现代性话语:作品和艺术家之间的相似之处被一次又一次地画出来,从文艺复兴的意义上来说,这是一本不合时宜的传记和对天才的崇拜,从故意公开质疑艺术家个人与时代建构之间的镜像关系的意义上说。在这一声明中,作者并不关心揭示解释学›不干净的解释,也不关心声称不可能在没有当代诊断和谱系的情况下对艺术进行解释。相反,最初只是›指出,话语往往以随后的稳定为特征,因此可以忘记旨在创造知识的实际偶然性。根据布拉班特的观点,现代话语尤其倾向于澄清现代性出现时理解的不确定性(14)。尽管如此,罗丹对这一话语符号的解释不能简单地解读为浓缩的现代主义范式的展开,因为解释学,至少在最近一段时间里,一直被视为建构和投射而不再抱有幻想(15)。然而,如果人们不想否定艺术与时代、艺术家主体与历史个体之间联系的所有合法性,那么在充分讨论了一般艺术和罗丹的
»Rodin-Lektüren« – darunter sind im Fall des so betitelten Buchs nicht Interpretationen von Rodins Werken gemeint, sondern historisch aufgefächerte und wissensgeschichtlich fundierte Annäherungen an die Deutung der Autorschaft Rodins. Die Monographie ist daher weniger eine darstellungsanalytische Annäherung an die Symbolik oder Poetik des Skulpturenwerks als eine Reflexion der epistemologischen Prämissen des Fachs Kunstgeschichte und der Geisteswissenschaften im weitesten Sinne. Mit der Rezeption des französischen Bildhauers ergab sich – wohl erstmalig in der Geschichte der Kunst – der Fall, dass Werk und Autor in einer historiographischen Setzung verschmolzen sind: Rodin, so der Ausgangspunkt von Brabants Überlegung, galt bereits zu seinen Lebzeiten als Inbegriff der »Moderne«. Denn für Kunstkritiker, Philosophen und Schriftsteller – darunter zu Lebzeiten des Künstlers etwa Georg Simmel, Rainer Maria Rilke und in der etwas jüngeren Kunstgeschichte Leo Steinberg, Josef Schmoll gen. Eisenwerth – avancierten Rodins Werke geradezu zu »Reflexionsmedien« (10) dessen, was die Moderne ausmache. Mit anderen Worten ging es in Deutungen der betreffenden Kunstwerke immer auch, und zwar laut Brabant vor allen Dingen, um Legitimationen, Historisierungen und Prognosen der kulturellen Gegenwart und Zukunft. Wie in der Einleitung gezeigt wird, dient dabei nicht zuletzt die künstlerische Subjektivität der Person Rodin dazu, den Moderne-Diskurs zu prägen: Immer wieder wurden Parallelen zwischen Werk und Künstler gezogen, und zwar ebenso im Sinne eines renaissancistischen und damit anachronistischen Biographismus und Geniekults wie auch im Sinne einer bewusst offenen Befragung des Spiegelverhältnisses, in dem Künstlerindividuum und Epochenkonstruktion stehen können. Bei dieser Feststellung geht es dem Autor nicht darum, hermeneutisch ›unsaubere‹ Deutungen zu entlarven oder aber die Unmöglichkeit einer von Gegenwartsdiagnosen und Genealogisierungen freien Interpretation von Kunst zu behaupten. Vielmehr wird zunächst ›nur‹ konstatiert, dass sich Diskurse nicht selten durch eine nachträgliche Stabilisierung auszeichnen und deshalb die tatsächliche Kontingenz, der die Entstehung von Wissen zu jeder Zeit entworfen ist, vergessen lassen. Gerade der Moderne-Diskurs, so Brabant, neigt dazu, jene Unwägbarkeit zu begradigen, die das Verständnis der Moderne zum Zeitpunkt ihres Entstehens charakterisierte (14). Dennoch lassen sich die Rodin-Deutungen im Zeichen dieses Diskurses nicht einfach als Entfaltungen eines sich verdichtenden Moderne-Paradigmas lesen, da zumindest in jüngerer Zeit die Hermeneutik schlechthin immer wieder als Konstruktion und Projektion entzaubert wurde (15). Will man aber nicht jede Legitimität des Zusammenhangs von Kunst und Epoche, von Künstlersubjekt und historischem Individuum, negieren, so ist erneut nach dem adäquaten Sprechen über Kunst im Allgemeinen und Rodins