{"title":"债务暴力和非私人的市场","authors":"David Graeber","doi":"10.1515/JBMP-2018-0006","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Wenn man sich in einem Jahrhundert an das Werk The Great Transformation 1 erinnert, dann als maßgebliche Antwort auf den großen liberalen Mythos. Dieser Mythos ist natürlich die Annahme, dass die »selbstregulierenden Märkte«, wie Polanyi sie nennt, irgendwie natürlich sind, dass sie von alleine entstehen, solange staatliche Eingriffe sie nicht daran hindern. Polanyi untersuchte genau den Zeitpunkt, an dem diese Ideologie zuerst in Erscheinung trat, und es gelang ihm zu zeigen, wie entscheidend die Einmischung des Staates ist, um »selbstre gulierende Märkte« überhaupt zu schaffen – ebenso wie der Staat auch weiterhin notwendig ist, um sie zu erhalten. Man braucht wohl kaum darauf hinzuweisen, dass die Einsichten Polanyis in der gegenwärtigen neoliberalen Zeit relevanter denn je sind. Die Ideologie, die Polanyi in den Vierzigerjahren für immer verschwunden wähnte, ist heute mit aller Macht zurückgekehrt – man könnte sogar sagen, sie sei zurückgekehrt, um sich grausam an den Schwächsten dieser Welt zu rächen. Doch die intellektuelle Landschaft hat sich dramatisch verändert. Unter denen, die heute als intellek tuelle Opposition durchgehen, ist die Vorstellung einer großen, allumfassenden Theorie in der Tradition Polanyis größtenteils in Ungnade gefallen. Gleichzeitig scheinen die hohen Theoretiker des Neoliberalismus – zumindest die anspruchs vollsten – frohgemut bereit zu sein, viele Einsichten Polanyis zu übernehmen. Die meisten Theoretiker würden unter Druck sogar offen zugeben, dass »der Markt« in Wirklichkeit gar kein empirischer Gegenstand ist, dass sie, wenn sie sich auf die »Märkte« beziehen, eigentlich über abstrakte Modelle sprechen, die man konstruiert, indem man ganz bestimmte Aspekte der Realität auswählt und alle anderen absichtlich außer Acht lässt, und dass selbstverständlich anhal tende politische Arbeit nötig ist, um Bedingungen zu schaffen, in denen diese Modelle zumindest den Anschein einer empirischen Form annehmen. 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