Niels Boeing, A. Baier, Tom Hansing, C. Müller, K. Werner
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Der Fortschritt hat die Indus triemaloche vertrieben, unter der einst Hun derttausende schwitzten und litten; hat sau bere Arbeitsplätze gebracht, in denen Daten, Konzepte, Bilder oder Handreichungen pro duziert werden. Die Entwicklung zur nach industriellen Gesellschaft, deren Kommen Alain Touraine oder Daniel Bell vor über vier Jahrzehnten skizzierten, erscheint uns heute als die große Erfolgsgeschichte des späten 20. Jahrhunderts. Sie ist es nicht. Denn der vermeintliche Erfolg hatte einen hohen Preis. Die Innenstädte sind zu Kon sumzonen verkommen, mit denen der Waren verbrauch ungeahnte Dimensionen erreicht hat. Die schöne neue Welt der Dienstleistun gen hat neue prekäre Jobs hervorgebracht. Und die Produktion ist zu einem guten Teil in die Maquiladoras des globalen Südens ge wandert, in denen sich die Geschichte der industriellen Ausbeutung von Mensch und Ressourcen fortsetzt. Die verstädterte Gesell schaft des Kapitalismus ist in der Tat in jene „kritische Zone“ eingetreten, die der franzö sische Marxist und Urbanismustheoretiker Henri Lefebvre 1970 heraufziehen sah. Doch das muss so nicht bleiben: In der kriti schen Zone rührt sich etwas. Es könnte die Produktion der Dinge langfristig ebenso stark verändern, wie es die Erfindung der Fabrik tat – und die Stadt von morgen zu einer kollek tiven Fabrik ihrer Bewohner*innen machen, die über den Kapitalismus hinausweist. Ich möchte noch weitergehen und behaupte: Der Kapitalismus kann überhaupt nur in der Stadt abgelöst werden. Sie war einst der Ort, an dem sich die industrielle Produktionsweise verdichtete. 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Von der industriellen Stadt zur Community Fabrication
Das industrielle Zeitalter haust in westlichen Großstädten nur noch als Gespenst. Wo es einst lärmte und wuselte und stank, haben sich Kultur, Kreativität und Beschaulichkeit ausgebreitet. Im Essener ZollvereinPark etwa können Sie spazieren gehen, in der Brotfabrik in FrankfurtHausen ein Konzert besuchen, in den Zeisehallen in HamburgAltona einen Kinofilm sehen. Vorbei sind die Zeiten, als Kohle abgebaut und verarbeitet, im großen Stil Brot produziert oder eine Schiffsschrau be gegossen wurde. Die Liste ließe sich belie big erweitern um zahllose Werften, Hütten und Docks. Niemand weint diesen Zeiten eine Träne nach. Der Fortschritt hat die Indus triemaloche vertrieben, unter der einst Hun derttausende schwitzten und litten; hat sau bere Arbeitsplätze gebracht, in denen Daten, Konzepte, Bilder oder Handreichungen pro duziert werden. Die Entwicklung zur nach industriellen Gesellschaft, deren Kommen Alain Touraine oder Daniel Bell vor über vier Jahrzehnten skizzierten, erscheint uns heute als die große Erfolgsgeschichte des späten 20. Jahrhunderts. Sie ist es nicht. Denn der vermeintliche Erfolg hatte einen hohen Preis. Die Innenstädte sind zu Kon sumzonen verkommen, mit denen der Waren verbrauch ungeahnte Dimensionen erreicht hat. Die schöne neue Welt der Dienstleistun gen hat neue prekäre Jobs hervorgebracht. Und die Produktion ist zu einem guten Teil in die Maquiladoras des globalen Südens ge wandert, in denen sich die Geschichte der industriellen Ausbeutung von Mensch und Ressourcen fortsetzt. Die verstädterte Gesell schaft des Kapitalismus ist in der Tat in jene „kritische Zone“ eingetreten, die der franzö sische Marxist und Urbanismustheoretiker Henri Lefebvre 1970 heraufziehen sah. Doch das muss so nicht bleiben: In der kriti schen Zone rührt sich etwas. Es könnte die Produktion der Dinge langfristig ebenso stark verändern, wie es die Erfindung der Fabrik tat – und die Stadt von morgen zu einer kollek tiven Fabrik ihrer Bewohner*innen machen, die über den Kapitalismus hinausweist. Ich möchte noch weitergehen und behaupte: Der Kapitalismus kann überhaupt nur in der Stadt abgelöst werden. Sie war einst der Ort, an dem sich die industrielle Produktionsweise verdichtete. Sie ist heute die Verdichtung von Menschen und Möglichkeiten, die eine neue Produktionsweise erst denkbar macht.