{"title":"Die historischen Avantgarden in Lateinamerika","authors":"","doi":"10.1515/9783110703450-008","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"Vor einiger Zeit fand in Berlin eine von Harald Wentzlaff-Eggebert veranstaltete internationale Tagung mit dem Titel Europäische Avantgarde im lateinamerikanischen Kontext statt.1 Ihr Veranstalter, der auch in der Folge mehrere Workshops und Sektionen zu diesem Thema organisierte und zum damaligen Zeitpunkt als der in Deutschland wohl beste Kenner der Materie bezeichnet werden darf, hatte zweifellos gute Gründe dafür, von „europäischer Avantgarde“ zu sprechen. Dennoch stellen sich mit Bezug auf den Titel der Veranstaltung Fragen. Zweifellos kann man für weite Strecken noch des 19. Jahrhunderts behaupten, dass innerhalb einer zunehmend globalen Literaturentwicklung die Impulse aus Europa kamen und dann etwa in Lateinamerika aufgenommen, abgewandelt und transformiert wurden. Aber spätestens mit dem hispanoamerikanischen Modernismo war dies nicht mehr der Fall, ging dieser doch – verkürzt gesagt – von Spanisch-Amerika und nicht länger von Spanien aus und entwickelte sich dieser Modernismus2 doch zunehmend zu einer literarisch-ästhetischen Bewegung, welche keineswegs nur in Spanien, sondern weltweit ihre Impulse aus Lateinamerika erhielt. Dies haben in den vergangenen Jahrzehnten die Forschungen längst aufgezeigt, die ich an gegebener Stelle in unserer Vorlesung zu den Romanischen Literaturen der Welt im 19. Jahrhundert auch bespreche. An dieser Stelle nur so viel: Der geokulturelle Dominantenwechsel, der sich mit der politischen Unabhängigkeit, der „Independencia“, in Hispanoamerika im literarischen Feld einstellte und über lange Zeiten die Romantik zwischen zwei Welten in ihrer Entwicklung bestimmte, veränderte sich mit dem hispanoamerikanischen Modernismus. Dies insoweit, als es zwar keinesfalls zu einer Independencia dieser Literaturen der spanischsprachigen Welt Amerikas gekommen wäre, wohl aber zur Neubestimmung einer Asymmetrie der Beziehungen,3 welche in diesem Falle zum ersten Mal den literarischen Ausgangsimpuls einer Bewegung in Lateinamerika verortete. Sollte nun all dies mit den historischen Avantgarden Lateinamerikas","PeriodicalId":427497,"journal":{"name":"Von den historischen Avantgarden bis nach der Postmoderne","volume":"13 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2021-02-08","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":null,"platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Von den historischen Avantgarden bis nach der Postmoderne","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.1515/9783110703450-008","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
Vor einiger Zeit fand in Berlin eine von Harald Wentzlaff-Eggebert veranstaltete internationale Tagung mit dem Titel Europäische Avantgarde im lateinamerikanischen Kontext statt.1 Ihr Veranstalter, der auch in der Folge mehrere Workshops und Sektionen zu diesem Thema organisierte und zum damaligen Zeitpunkt als der in Deutschland wohl beste Kenner der Materie bezeichnet werden darf, hatte zweifellos gute Gründe dafür, von „europäischer Avantgarde“ zu sprechen. Dennoch stellen sich mit Bezug auf den Titel der Veranstaltung Fragen. Zweifellos kann man für weite Strecken noch des 19. Jahrhunderts behaupten, dass innerhalb einer zunehmend globalen Literaturentwicklung die Impulse aus Europa kamen und dann etwa in Lateinamerika aufgenommen, abgewandelt und transformiert wurden. Aber spätestens mit dem hispanoamerikanischen Modernismo war dies nicht mehr der Fall, ging dieser doch – verkürzt gesagt – von Spanisch-Amerika und nicht länger von Spanien aus und entwickelte sich dieser Modernismus2 doch zunehmend zu einer literarisch-ästhetischen Bewegung, welche keineswegs nur in Spanien, sondern weltweit ihre Impulse aus Lateinamerika erhielt. Dies haben in den vergangenen Jahrzehnten die Forschungen längst aufgezeigt, die ich an gegebener Stelle in unserer Vorlesung zu den Romanischen Literaturen der Welt im 19. Jahrhundert auch bespreche. An dieser Stelle nur so viel: Der geokulturelle Dominantenwechsel, der sich mit der politischen Unabhängigkeit, der „Independencia“, in Hispanoamerika im literarischen Feld einstellte und über lange Zeiten die Romantik zwischen zwei Welten in ihrer Entwicklung bestimmte, veränderte sich mit dem hispanoamerikanischen Modernismus. Dies insoweit, als es zwar keinesfalls zu einer Independencia dieser Literaturen der spanischsprachigen Welt Amerikas gekommen wäre, wohl aber zur Neubestimmung einer Asymmetrie der Beziehungen,3 welche in diesem Falle zum ersten Mal den literarischen Ausgangsimpuls einer Bewegung in Lateinamerika verortete. Sollte nun all dies mit den historischen Avantgarden Lateinamerikas