Rüdiger Hachtmann, Franka Maubach, M. Roth
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Zeitdiagnose im Exil als vorläufige Deutung. Zur Einführung
1940 zeichnete Hans Tombrock (1895-1966) eine heute wohlbekannte Szene. Sie zeigt den Ausschluss einer Frau aus der »Volksgemeinschaft«. Der Titel des auf dem Cover dieses Bandes abgedruckten Bildes, Marie Sanders, verweist zwar auf eine individuelle Geschichte, die typisierte Darstellung aber auf ein allgemeines Schicksal – so, wie Bertolt Brecht in seiner 1935 im dänischen Exil entstandenen Ballade von der Judenhure Marie Sanders das Gesetz der Ausstoßung am Beispiel einer Szene verdichtete, die sich so oder ähnlich zugetragen haben konnte und zutrug. Tombrock, der 1933 Deutschland verließ, beschrieb mit den Mitteln adaptierender Bildkunst das entwürdigende Ritual, Frauen, die Beziehungen zu Juden hatten, zu stigmatisieren, indem eine fanatisierte Menge sie zwang, halbnackt durch die Straßen zu laufen, mit geschorenem Kopf und einem Schild um den Hals (»Marie Sanders war mit einem Jüd’ im Bett«). Dicht umschlossen von der gaffenden Masse – Kinder, die mit dem Finger auf sie zeigen, Frauen, die grinsen, und Männer, die starren –, wird das Opfer immer größer in der ihm zugeschriebenen Schuld und Scham. Tombrock zeigt im Bild, worauf Brecht im Genre der Dichtung verwiesen hatte: was die Nürnberger Gesetze im Alltag bedeuteten, was das nationalsozialistische System aus den Menschen und mit ihren Beziehungen machte. Vielleicht gelang gerade ihm das besonders gut, denn Tombrock war nicht erst im Exil ein Wandernder Hans Tombrock: Marie Sanders, 1940 (© Fritz-HüserInstitut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt).