M. Grütters
{"title":"大体上,从联邦层面讲,德国和文化政策制定等","authors":"M. Grütters","doi":"10.14361/9783839444917-002","DOIUrl":null,"url":null,"abstract":"© Elke Jung-Wolff Vielleicht geht es einigen unter Ihnen ähnlich: Noch vor den Begrüßungsworten meiner beiden Vorredner war ich auf das Tagungsthema »Kultur macht Heimat(en)« irgendwie eingestimmt. Denn in katholischen Akademien – zumal wenn ein so wunderbarer Kirchenraum das Herz des Tagungszentrums bildet – fühle ich mich immer gleich ein wenig »wie zuhause«. Ich bin in Münster in einem religiösen Elternhaus aufgewachsen, und der katholische Glaube hat nicht nur meine Kindheit geprägt. Die Atmosphäre in katholischen Einrichtungen wecken bei mir deshalb gute Erinnerungen, und ja: auch Heimatgefühle. Wenn Sinneseindrücke die Vergangenheit wachrufen und eine vertraute Welt entstehen lassen, sprechen Wissenschaftler vom »Proust-Effekt«. Denn niemand wusste das literarisch eindrücklicher zu schildern als der Namensgeber dieses Phänomens. In seinem berühmten Roman »Auf der Suche nach der Verlorenen Zeit« schildert Marcel Proust wie der Geschmack der Madeleines Combray, den Ort der Kindheit auferstehen lassen, ich zitiere: »die Leutchen aus dem Dorfe und ihre kleinen Häuser und die Kirche und ganz Combray und seine Umgebung (...) die Stadt und die Gärten« steigen »deutlich und greifbar« auf »aus seiner Tasse Tee«. Diese Erinnerung an Combray bildet dann den Ausgangspunkt eines gewaltigen Romanepos. Heimat und Herkunft bilden auch den Ausgangspunkt einer jeden Biografi e. Heimat und Herkunft haben auf deren Fortschreibung, haben auf die Erzählung unseres Lebens einen prägenden Einfl uss, sie bleiben immer Teil unserer Existenz. »Ich bin, also heimate ich«, so hat es Hölderlin einmal ausgedrückt. Dennoch ist »Heimat« ein Begriff, der viele Interpretationen und Projektionen, der unterschiedliche Deutungen und Vereinnahmungen zulässt. Er steht für Verbundenheit und dennoch spaltet er. Er verspricht Zugehörigkeit und wird doch als Mittel der Ausgrenzung missbraucht. Eben deshalb, meine Damen und Herren, dürfen wir die Deutungshoheit über diesen Begriff nicht den Rechtspopulisten und Rechtsextremen überlassen. Eben deshalb ist es wichtig, dass wir – wo auch immer wir uns im demokratischen Spektrum verorten – darüber diskutieren, was uns Heimat bedeutet, wie wir sie verstanden wissen und gestalten wollen.","PeriodicalId":143281,"journal":{"name":"Jahrbuch für Kulturpolitik 2019/20","volume":"49 1","pages":"0"},"PeriodicalIF":0.0000,"publicationDate":"2020-12-31","publicationTypes":"Journal Article","fieldsOfStudy":null,"isOpenAccess":false,"openAccessPdf":"","citationCount":"0","resultStr":"{\"title\":\"Heimat und Kulturpolitik aus der Perspektive des Bundes\",\"authors\":\"M. Grütters\",\"doi\":\"10.14361/9783839444917-002\",\"DOIUrl\":null,\"url\":null,\"abstract\":\"© Elke Jung-Wolff Vielleicht geht es einigen unter Ihnen ähnlich: Noch vor den Begrüßungsworten meiner beiden Vorredner war ich auf das Tagungsthema »Kultur macht Heimat(en)« irgendwie eingestimmt. Denn in katholischen Akademien – zumal wenn ein so wunderbarer Kirchenraum das Herz des Tagungszentrums bildet – fühle ich mich immer gleich ein wenig »wie zuhause«. Ich bin in Münster in einem religiösen Elternhaus aufgewachsen, und der katholische Glaube hat nicht nur meine Kindheit geprägt. Die Atmosphäre in katholischen Einrichtungen wecken bei mir deshalb gute Erinnerungen, und ja: auch Heimatgefühle. Wenn Sinneseindrücke die Vergangenheit wachrufen und eine vertraute Welt entstehen lassen, sprechen Wissenschaftler vom »Proust-Effekt«. Denn niemand wusste das literarisch eindrücklicher zu schildern als der Namensgeber dieses Phänomens. In seinem berühmten Roman »Auf der Suche nach der Verlorenen Zeit« schildert Marcel Proust wie der Geschmack der Madeleines Combray, den Ort der Kindheit auferstehen lassen, ich zitiere: »die Leutchen aus dem Dorfe und ihre kleinen Häuser und die Kirche und ganz Combray und seine Umgebung (...) die Stadt und die Gärten« steigen »deutlich und greifbar« auf »aus seiner Tasse Tee«. Diese Erinnerung an Combray bildet dann den Ausgangspunkt eines gewaltigen Romanepos. Heimat und Herkunft bilden auch den Ausgangspunkt einer jeden Biografi e. Heimat und Herkunft haben auf deren Fortschreibung, haben auf die Erzählung unseres Lebens einen prägenden Einfl uss, sie bleiben immer Teil unserer Existenz. »Ich bin, also heimate ich«, so hat es Hölderlin einmal ausgedrückt. Dennoch ist »Heimat« ein Begriff, der viele Interpretationen und Projektionen, der unterschiedliche Deutungen und Vereinnahmungen zulässt. Er steht für Verbundenheit und dennoch spaltet er. Er verspricht Zugehörigkeit und wird doch als Mittel der Ausgrenzung missbraucht. Eben deshalb, meine Damen und Herren, dürfen wir die Deutungshoheit über diesen Begriff nicht den Rechtspopulisten und Rechtsextremen überlassen. Eben deshalb ist es wichtig, dass wir – wo auch immer wir uns im demokratischen Spektrum verorten – darüber diskutieren, was uns Heimat bedeutet, wie wir sie verstanden wissen und gestalten wollen.\",\"PeriodicalId\":143281,\"journal\":{\"name\":\"Jahrbuch für Kulturpolitik 2019/20\",\"volume\":\"49 1\",\"pages\":\"0\"},\"PeriodicalIF\":0.0000,\"publicationDate\":\"2020-12-31\",\"publicationTypes\":\"Journal Article\",\"fieldsOfStudy\":null,\"isOpenAccess\":false,\"openAccessPdf\":\"\",\"citationCount\":\"0\",\"resultStr\":null,\"platform\":\"Semanticscholar\",\"paperid\":null,\"PeriodicalName\":\"Jahrbuch für Kulturpolitik 2019/20\",\"FirstCategoryId\":\"1085\",\"ListUrlMain\":\"https://doi.org/10.14361/9783839444917-002\",\"RegionNum\":0,\"RegionCategory\":null,\"ArticlePicture\":[],\"TitleCN\":null,\"AbstractTextCN\":null,\"PMCID\":null,\"EPubDate\":\"\",\"PubModel\":\"\",\"JCR\":\"\",\"JCRName\":\"\",\"Score\":null,\"Total\":0}","platform":"Semanticscholar","paperid":null,"PeriodicalName":"Jahrbuch für Kulturpolitik 2019/20","FirstCategoryId":"1085","ListUrlMain":"https://doi.org/10.14361/9783839444917-002","RegionNum":0,"RegionCategory":null,"ArticlePicture":[],"TitleCN":null,"AbstractTextCN":null,"PMCID":null,"EPubDate":"","PubModel":"","JCR":"","JCRName":"","Score":null,"Total":0}
引用次数: 0
Heimat und Kulturpolitik aus der Perspektive des Bundes
© Elke Jung-Wolff Vielleicht geht es einigen unter Ihnen ähnlich: Noch vor den Begrüßungsworten meiner beiden Vorredner war ich auf das Tagungsthema »Kultur macht Heimat(en)« irgendwie eingestimmt. Denn in katholischen Akademien – zumal wenn ein so wunderbarer Kirchenraum das Herz des Tagungszentrums bildet – fühle ich mich immer gleich ein wenig »wie zuhause«. Ich bin in Münster in einem religiösen Elternhaus aufgewachsen, und der katholische Glaube hat nicht nur meine Kindheit geprägt. Die Atmosphäre in katholischen Einrichtungen wecken bei mir deshalb gute Erinnerungen, und ja: auch Heimatgefühle. Wenn Sinneseindrücke die Vergangenheit wachrufen und eine vertraute Welt entstehen lassen, sprechen Wissenschaftler vom »Proust-Effekt«. Denn niemand wusste das literarisch eindrücklicher zu schildern als der Namensgeber dieses Phänomens. In seinem berühmten Roman »Auf der Suche nach der Verlorenen Zeit« schildert Marcel Proust wie der Geschmack der Madeleines Combray, den Ort der Kindheit auferstehen lassen, ich zitiere: »die Leutchen aus dem Dorfe und ihre kleinen Häuser und die Kirche und ganz Combray und seine Umgebung (...) die Stadt und die Gärten« steigen »deutlich und greifbar« auf »aus seiner Tasse Tee«. Diese Erinnerung an Combray bildet dann den Ausgangspunkt eines gewaltigen Romanepos. Heimat und Herkunft bilden auch den Ausgangspunkt einer jeden Biografi e. Heimat und Herkunft haben auf deren Fortschreibung, haben auf die Erzählung unseres Lebens einen prägenden Einfl uss, sie bleiben immer Teil unserer Existenz. »Ich bin, also heimate ich«, so hat es Hölderlin einmal ausgedrückt. Dennoch ist »Heimat« ein Begriff, der viele Interpretationen und Projektionen, der unterschiedliche Deutungen und Vereinnahmungen zulässt. Er steht für Verbundenheit und dennoch spaltet er. Er verspricht Zugehörigkeit und wird doch als Mittel der Ausgrenzung missbraucht. Eben deshalb, meine Damen und Herren, dürfen wir die Deutungshoheit über diesen Begriff nicht den Rechtspopulisten und Rechtsextremen überlassen. Eben deshalb ist es wichtig, dass wir – wo auch immer wir uns im demokratischen Spektrum verorten – darüber diskutieren, was uns Heimat bedeutet, wie wir sie verstanden wissen und gestalten wollen.